Nachdem sich ein diplomatischer Konflikt zwischen der Bundesregierung und der pakistanischen Regierung zur Aufnahme von rund 2500 in Islamabad befindlichen Afghanen zuletzt dramatisch zugespitzt hatte, fordern die Parteien die Bundesregierung zum dringenden Handeln auf. Deutschland hatte seit der Machtübernahme der Taliban im Sommer 2021 Tausenden Afghanen Aufnahmezusagen erteilt, sie aber nicht direkt eingeflogen, sondern erst einmal für weitere Überprüfungen nach Islamabad reisen lassen. Der Prozess zog sich hin – eine Situation, die die pakistanische Regierung nicht mehr akzeptierte.

Recherchen der WELT AM SONNTAG hatte am Wochenende enthüllt, dass Pakistan damit begonnen hat, Afghanen mit deutscher Aufnahmezusage festzunehmen und in Lagern unterzubringen. Es geht bisher um rund 150 Fälle, ihr Verbleib ist teils unklar. Deutsche Beamte bemühen sich, Abschiebungen in die afghanische Heimat zu verhindern – meist erfolgreich. Der Streit steht stellvertretend für den schwierigen Spagat der Bundesregierung bei ihrem angekündigten neuen Umgang mit Aufnahmeprogrammen.

„Wer sich unter Einsatz seines Lebens für unser Land engagiert hat, darf nicht im Stich gelassen werden. Deutschland muss die Evakuierung der 2.400 Ortskräften mit Aufnahmezusage beschleunigen“, sagte der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion Adis Ahmetović. Man sehe die Situation in Pakistan „mit großer Sorge“. Aus der Unionsfraktion hieß es, man könne sich ohne genaue Kenntnis des Sachverhalts nicht äußern.

Die pakistanische Polizei führt Razzien durch

Schon Ende vergangenen Jahres pochte Islamabad laut WELT AM SONNTAG auf eine Klärung des Problems. Berlin sollte die von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) angemieteten Gästehäuser zunächst bis zum 31. März räumen; dann wurde die Frist auf den 30. Juni verlängert – ohne dass die Bundesregierung die offenen Fälle abarbeitete. Hintergrund ist auch, dass die für die letzten Prüfungen benötigten Mitarbeiter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) vor Ort fehlten, da sie wegen des indisch-pakistanischen Konflikts im Mai aus Sicherheitsgründen ausgeflogen wurden.

Kurz vor Ablauf der Frist Ende Juni begannen pakistanische Behörden dann mit Razzien in den Gästehäusern und nahmen einzelne Afghanen mit abgelaufenem Visum fest. Es herrsche „heilloses Chaos", sagte eine mit der Lage vertraute Person in Islamabad der WELT AM SONNTAG. „Unabhängig davon, wie man zu den Aufnahmeprogrammen steht, ist es ein Wahnsinn, wie mit dem Schicksal von Menschen umgegangen wird.“

Aus der Opposition kommt breite Kritik am Vorgehen der Bundesregierung. Deborah Düring, die außenpolitische Sprecherin der Grünen, spricht von einer „verantwortungslose Verzögerungstaktik“ der Bundesregierung: „Das aktuelle Vorgehen ist nicht nur zynisch gegenüber den Menschen, denen Schutz zugesagt wurde – es sendet auch ein verheerendes Signal an all jene, die sich in Zukunft für Deutschland engagieren könnten.“

Die Innenexpertin der Linken Clara Bünger sagte: „Wer Aufnahmezusagen nicht einhält, gefährdet Menschenleben – und verletzt geltendes Recht. Die Bundesregierung muss jetzt sofort handeln: Sie muss die Menschen evakuieren, Druck auf Pakistan ausüben und endlich ihrer rechtlichen Verpflichtung nachkommen.“

Die AfD spricht sich dafür aus, die bestehenden Aufnahmezusagen für afghanische Staatsbürger zurückziehen. „Diese Programme haben sich als Einfallstor für illegale Migration und islamistische Gefährder erwiesen und sind nicht mit dem deutschen Sicherheitsinteresse vereinbar“, sagte der außenpolitische Sprecher der Fraktion Markus Frohnmaier.

Der schwierige Umgang mit den Aufnahmeprogrammen

Das Bundesaufnahmeprogramm wurde aufgelegt, um Menschen in Sicherheit zu bringen, die wegen ihres Engagements für die Etablierung einer Demokratie nach westlichem Vorbild in Afghanistan nach der Rückeroberung des Landes durch die Taliban von Verfolgung bedroht sind. Ein weiteres Aufnahmeprogramm für syrische und staatenlose Schutzsuchende aus der Türkei existiert seit 2017, mit einem maximalen Kontingent von 3000 Personen pro Jahr. Dies wurde aber zuletzt selten ausgeschöpft.

Die Bundesregierung möchte laufende Aufnahmeprogramme „soweit wie möglich“ beenden und keine neuen starten, so steht es im Koalitionsvertrag. Außenminister Johann Wadephul (CDU) bekräftigte jedoch am Wochenende, sich an bestehende Aufnahmezusagen für in Pakistan festsitzende Personen halten zu wollen – sofern diese rechtlich bindend sind.

Ein erstinstanzliches Urteil von vergangenem Dienstag gibt dazu einen ersten Hinweis: Das Verwaltungsgericht Berlin hatte entschieden, dass Deutschland einer afghanischen Familie mit Aufnahmezusage ein Visum erteilen muss. Die Afghanin und ihre Familienmitglieder hatten schon 2023 die Zusage aus Deutschland bekommen, aber bis heute keine Einreisedokumente erhalten.

Die pakistanische Polizei hat ihr Vorgehen gegen Afghanen mit deutscher Aufnahmezusage zuletzt nochmals deutlich verschärft. Das führt zu teils bemerkenswerten Szenen an der Grenze: Weil Abgeschobene oft ihre Pässe zurücklassen müssen, bemühen sich deutsche Stellen, die Dokumente per Kurier auf die afghanische Seite der Grenze zu bringen. Dort können sie die Betroffenen wieder in Empfang nehmen – um damit wieder legal nach Pakistan einzureisen.

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