• Jens Spahn räumt Fehler im Umgang mit der geplatzten Richterwahl ein, Kanzler Merz spielt den Richterwahl-Streit herunter.
  • Bundespräsident Steinmeier kritisiert die Regierung nach dem Richterwahl-Streit scharf.
  • CSU-Chef Markus Söder und der CDU-Politiker Thomas Bareiß fordern, dass die SPD eine neue Kandidatin vorschlägt.
  • Brosius-Gersdorf steht in der Union vor allem wegen ihrer liberalen Haltung zu Abtreibung, Impfpflicht und AfD-Verbot in der Kritik – lange vor den umstrittenen Plagiatsvorwürfen.

Unionsfraktionschef Jens Spahn hat im Umgang mit dem geplatzten Wahltermin für drei neue Richter am Bundesverfassungsgericht Fehler eingeräumt. In einem Brief an seine Fraktion sprach er am Montag von einem "schweren Tag" für die Koalition. "Da gibt es nichts schönzureden", so Spahn. Eine vertagte Richterwahl sei jedoch "keine Staatskrise".

Spahn: Habe Bedenken gegen SPD-Kandidatin unterschätzt

Spahn gestand jedoch ein, die Bedenken innerhalb seiner Fraktion gegenüber der SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf unterschätzt zu haben. Dass der Eindruck entstanden sei, ein Plagiatsverdacht sei das zentrale Argument der Union, "hätte nicht passieren dürfen". Ein Kompromiss mit der SPD sei zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich gewesen – "daran haben beide Seiten ihren Anteil". Trotzdem zeigte sich Spahn zuversichtlich, mit der SPD eine Lösung zu finden. Eile sehe er dabei nicht.

Die Spitzen von Union und SPD beraten indes hinter den Kulissen intensiv über eine Lösung. Regierungssprecher Stefan Kornelius gab am Montag bekannt, dass Kanzler Friedrich Merz (CDU) und Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) "sehr ausführlich" zu einer Reihe von Themen telefoniert hätten. Ergebnisse wurden aber nicht kommuniziert. Kornelius sagte aber, er sei zuversichtlich, dass sich die Fraktionen dieses Falls nun annehmen würden.

Merz: Gescheiterte Wahl ist kein Beinbruch

Bundeskanzler Merz hatte den Streit um die Richterwahl im ARD-Sommerinterview am Sonntag heruntergespielt: "Das war am Freitag nicht schön. Aber das ist nun auch keine Krise, keine Krise der Demokratie, keine Krise der Regierung". Die Verschiebung der Wahl sei "nun wirklich kein Beinbruch". Merz betonte, es gebe aktuell keinen Zeitdruck. Man werde "mit der SPD in Ruhe besprechen", wie es weitergehe. Ziel sei, "für die nächste Runde gute Mehrheiten zu bekommen".

Zugleich räumte aber auch Merz ein, die Vorbehalte innerhalb der Unionsfraktion gegen die Frauke Brosius-Gersdorf unterschätzt zu haben: "Wir hätten natürlich früher erkennen können, dass da großer Unmut besteht."

Steinmeier hält Koalition für beschädigt

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte die Regierungskoalition hingegen scharf kritisiert und eindringlich zur Einigung aufgerufen. "Die Koalition hat sich jedenfalls selbst beschädigt", sagte Steinmeier am Sonntag im ZDF-Sommerinterview. Die Parteien der demokratischen Mitte müssten den Streit zügig beilegen, "denn es geht hier um Autorität und Funktionsfähigkeit des Verfassungsgerichtes". Die kurzfristige Absage der Richterwahl rühre auch an der Autorität des Parlaments, erklärte Steinmeier weiter. Er warnte davor, das Verfahren zu parteipolitisch aufzuladen.

Bareiß und Söder fordern neue Kandidatin

Der CDU-Abgeordnete Thomas Bareiß hatte dem "Tagesspiegel" bereits am Wochenende gesagt, der Koalitionspartner SPD solle eine neue Kandidatin vorschlagen. Kritik übte Bareiß auch an Unions-Fraktionschef Jens Spahn. Obwohl er die Kritik an den Positionen von Brosius-Gersdorf teile, hätte er sich in der Frage der Plagiatsvorwürfe etwas mehr Zurückhaltung gewünscht.

Forderung nach mehr ostdeutschen Verfassungsrichtern (zum Ausklappen)

Sachsen-Anhalts Landesbeauftragter für die Aufarbeitung der SED-Diktatur, Johannes Beleites, fordert eine stärkere ostdeutsche Repräsentation am Bundesverfassungsgericht. Er kritisierte, dass seit der Wiedervereinigung 48 Richter berufen worden seien, aber nur zwei davon aus Ostdeutschland stammten. "Demokratie hat immer auch etwas mit Repräsentation zu tun", so Beleites. Er zeigte sich besorgt, dass dieser Aspekt in der aktuellen Debatte über die Richterwahl kaum beachtet werde. Besonders mit Blick auf ein mögliches AfD-Verbotsverfahren sei es "fatal", wenn in Karlsruhe nur eine ostdeutsche Stimme vertreten sei – die spezifischen Erfahrungen und Perspektiven aus dem Osten dürften dabei nicht fehlen.

Auch CSU-Chef Markus Söder legte der SPD nahe, Frauke Brosius-Gersdorf durch eine andere Kandidatin zu ersetzen. Auf deren Nominierung habe "kein Segen" gelegen, sagte Söder am Montag im Anschluss an eine CSU-Vorstandssitzung in München. Die SPD solle im Herbst einen neuen Vorschlag machen, "der vielleicht besser geeignet ist".

Zugleich plädierte Söder für eine Reform des Wahlverfahrens. Künftig solle eine einfache Mehrheit im Bundestag ausreichen, um Verfassungsrichter zu wählen. Die aktuell notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit führe zu "zu kaum vertretbaren politischen Kompromiss- und Konsensverrenkungen", kritisierte der CSU-Vorsitzende. Es könne nicht sein, dass etwa die Linkspartei faktisch mitentscheide, wen die Union wähle. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) hatte sich zuletzt offen für Gespräche mit der Linken gezeigt.

Keine "Menschenwürdegarantie" für Ungeborene

Ungeachtet der Plagiatsvorwürfe hatte sich bereits vor der geplanten Richterwahl im Bundestag abgezeichnet, dass Brosius-Gersdorf in der Unionsfraktion keine Mehrheit bekommen würde.

Bei "Markus Lanz" zeigte sich Brosius-Gersdorf 2024 auch für ein AfD-Verbot offen. Bildrechte: picture alliance / teutopress | -

Einer der Hauptgründe war die Haltung der Richterin beim Thema Abtreibung. Die Potsdamer Professorin hatte sich als Mitglied einer Experten-Kommission dafür ausgesprochen, Abtreibungen in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten generell straffrei zu stellen. Außerdem soll sie geschrieben haben: "Meines Erachtens gibt es gute Gründe dafür, dass die Menschenwürdegarantie erst ab Geburt gilt."

Umstritten ist zudem Brosius-Gersdorfs Haltung zu einer Corona-Impfpflicht. In einem während der Corona-Zeit verfassten Papier hatte sie erklärt: "Man kann sogar darüber nachdenken, ob mittlerweile eine verfassungsrechtliche Pflicht zur Einführung einer Impfpflicht besteht." Auch hatte sich Brosius-Gersdorf in der Vergangenheit für ein AfD-Verbot, das Gendern des Grundgesetzes und das Tragen muslimischer Kopftücher bei Richterinnen offen gezeigt.

Abgesetzt wurde Brosius-Gersdorfs geplante Wahl aber erst, nachdem der österreichische Plagiatsprüfer Stefan Weber kurzfristig einen Post mit Zweifeln an der wissenschaftlichen Qualität von Brosius-Gersdorfs Doktorarbeit veröffentlicht hatte. Aus der Union hatte es daraufhin geheißen, die Vorwürfe müssten geprüft werden. Die Universität Hamburg – wo die Juristin promovierte – sieht dagegen keinen Anlass für eine Überprüfung, wie sie mitteilte.

SPD hält an Brosius-Gersdorf fest

Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Sonja Eichwede bekräftigte unterdessen, dass ihre Partei an Brosius-Gersdorf festhalten werde. Gegenüber Welt TV bestätigte sie den Plan der SPD-Fraktionsspitze, dass sich Brosius-Gersdorf in der Bundestagsfraktion von CDU/CSU vorstellen solle.

KNA/dpa/AFP/Reuters/epd (dni, jst)

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