Bei den europäischen Unterhändlern im Zollkonflikt mit den USA macht sich Frustration breit. Donald Trump torpediert die Verhandlungen mit immer neuen Forderungen. Der EU könnte bald nur noch die Wahl zwischen zwei schlechten Optionen bleiben. Diplomaten bereiten sich auf eine nie dagewesene Eskalation im Handelsstreit vor.

Angesichts neuer Rückschläge bei den Zollverhandlungen mit den USA bereitet sich die EU darauf vor, dass die Gespräche komplett scheitern könnten. Brüssel bevorzuge zwar weiterhin eindeutig eine Kompromisslösung bis zur von US-Präsident Donald Trump festgesetzten Deadline am 1. August. Ein Scheitern gelte in Brüssel inzwischen jedoch als mögliches Szenario, berichten das "Wall Street Journal" (WSJ) und "Bloomberg" übereinstimmend. Für diesen Fall entwerfen führende EU-Diplomaten demnach Pläne für einen massiven Gegenangriff.

Den Berichten zufolge haben Vertreter der US-Regierung EU-Handelskommissar Maros Sefkovic vergangene Woche informiert, dass Donald Trump weitere Zugeständnisse von Brüssel fordern wird, darunter einen Basiszoll von 15 Prozent oder mehr für nahezu alle Exporte aus Europa. Zudem sollen die Autozölle von 25 Prozent in Kraft bleiben und womöglich Zölle von 100 Prozent auf Medikamente hinzukommen. Die EU war bislang zähneknirschend bereit, Ausfuhrsteuern von 10 Prozent zu akzeptieren, sowie Öl, Gas und Mikrochips für zweistellige Milliardenbeträge zu kaufen, um Trump zu besänftigen. Mit seinen neuen Forderungen könnte der US-Präsident den Bogen überspannt haben.

Die Stimmung hat sich deutlich gedreht. Insbesondere Deutschland, das bislang aufgrund der Größe und Exportabhängigkeit seiner Wirtschaft auf einen Deal auch mit weitgehenden Zugeständnissen gedrängt hatte, sei angesichts der unnachgiebigen Zollattacken aus Washington der Kragen geplatzt und auf die konfrontativere Linie Frankreichs eingeschwenkt: "Alle Optionen sind auf dem Tisch", zitiert das "WSJ" einen deutschen Diplomaten. "Wenn sie Krieg wollen, bekommen sie Krieg."

Schwerste Waffe der EU zielt auf US-Tech-Konzerne

Laut "Bloomberg" wollen sich die Vertreter verschiedener EU-Länder noch in dieser Woche treffen, um einen Schlachtplan für ein No-Deal-Szenario zu entwerfen. Darin sollen erstmals Maßnahmen enthalten sein, die weit über die Gegenzölle in Höhe von 72 Milliarden Dollar auf Boeing-Flugzeuge, Whiskey, Jeans und Harley-Davidson-Motorräder hinausgehen, die bei der Kommission bereits in der Schublade liegen.

Insbesondere soll demnach nun auch Berlin bereit sein, erstmals überhaupt das Instrument zum Schutz vor Zwangsmaßnahmen (Anti-Coercion-Instrument/ACI) einzusetzen. Es ist die schlagkräftigste Waffe der EU im Handelskrieg und wurde geschaffen, um den Block oder eines seiner Mitgliedsländer vor unfairer Erpressung in den globalen Handelsbeziehungen zu schützen. Stellt die EU fest, dass Brüssels Handelspartner versuchen, die EU mit wirtschaftlichem Druck zu einer politischen Entscheidung zu zwingen, sind drakonische Vergeltungsmaßnahmen möglich. Im Gespräch sind laut den Medienberichten etwa Sondersteuern oder eine Einschränkung des Marktzugangs für US-Tech-Konzerne in Europa. Sie gelten als Trumps Achillesferse im Handelskrieg. Möglich ist auch, US-Firmen von öffentlichen Ausschreibungen in der EU auszuschließen.

Vor Ablauf der Frist vom 1. August, die Trump der EU und anderen Handelspartnern für einen Deal gesetzt hat, soll noch nichts passieren. Doch Handelskommissar Sefkovic und sein Team sind zunehmend frustriert über die unnachgiebige Haltung in Washington. Mehr als ein halbes Dutzend Mal hat Sefkovic in den vergangenen Monaten vor Ort in Washington den Spielraum für einen Kompromiss ausgelotet. Doch ein Durchbruch ist immer noch in weiter Ferne. Stattdessen schickte Trump einen Mahnbrief nach Brüssel und droht nun sogar mit Zöllen von 30 Prozent, statt wie zuvor 20 Prozent. Selbst die deutschen EU-Vertreter, die in der EU lange auf einen nachgiebigen Kurs gegenüber Trump gedrängt haben, sehen eine Einigung nicht mehr als das wahrscheinlichste Ergebnis des Konflikts.

"Alle Optionen werden wehtun"

Platzen die Verhandlungen und käme die Handels-Superwaffe der EU zum Einsatz, wäre das ein Wendepunkt in den transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen. Denn ein dauerhafter offener Konflikt würde für die Wirtschaft auf beiden Seiten des Atlantik verheerende Kosten nach sich ziehen. Für Deutschland etwa sind die USA mit Abstand der wichtigste Handelspartner. Obwohl ein ganzer Ozean und Zollhürden sie trennen, handelt die Bundesrepublik mehr mit dem Land in Übersee als mit ihrem Nachbarland und EU-Mitglied Frankreich.

Zu wie vielen weiteren Zugeständnissen die EU-Länder bereit sind, wird sich in den nächsten Tagen zeigen. Doch inzwischen setzt sich in Brüssel offenbar eine Erkenntnis durch: Einen schnellen, grundlegenden Deal wird es mit Trump wohl nicht geben. Die EU hat nur noch die Wahl zwischen Pest oder Cholera: Weiteres Entgegenkommen, das Marktanteile und Jobs kosten wird oder einen heftigen Schlagabtausch, der Wachstum und Beschäftigung ebenfalls massiv beschädigt, falls die Verhandlungen platzen. "Alle Optionen werden wehtun", zitiert das "WSJ" einen Diplomaten.

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