Olaf Scholz war im Sommer 2021 am Ziel. Mehr als 130 Länder einigten sich auf einen globalen Mindeststeuersatz von 15 Prozent für Unternehmen. Scholz, damals noch Finanzminister, sprach von einem „kolossalen Fortschritt im Bereich der internationalen Besteuerung“.

Drei Jahre hatte er die Mindeststeuer als Instrument im Kampf gegen Steueroasen immer wieder auf die Tagesordnung von Treffen mit seinen Amtskollegen anderer Länder gesetzt. Scholz setzte die Regelung nicht alleine durch, aber er gehörte zu den wichtigsten Treibern jener Einigung, die von der Industrieländerorganisation OECD umgesetzt und von vielen alleine schon wegen der Beteiligung so vieler Staaten als historisch angesehen wurde.

Jetzt gibt es Meinungsverschiedenheiten in der Regierung um die 15-Prozent-Mindeststeuer. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) möchte das Lieblingsprojekt seines Vorgängers wieder abschaffen, bevor es überhaupt in allen Ländern umgesetzt ist. Vizekanzler und SPD-Chef Lars Klingbeil verteidigt es dagegen als unerlässliches Instrument für mehr Steuergerechtigkeit.

Bemerkenswert ist, wie öffentlich die beiden Spitzenmänner der schwarz-roten Koalition ihre Differenzen zuletzt austrugen. Auslöser ist einmal mehr US-Präsident Donald Trump, der von multilateralen Abkommen bekanntlich wenig hält und durch Drohungen erreichte, dass ausgerechnet US-Konzerne, die für ihre aggressive Steuergestaltung bekannt sind, von der globalen Mindeststeuer ausgenommen werden. WELT beantwortet die wichtigsten Fragen zu dem Konflikt um das Scholz-Erbe.

Was ist bislang passiert?

Alles begann mit einer Bemerkung von Merz nach einem Treffen mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) und dessen Kabinett auf der Zugspitze. Der CDU-Vorsitzende hatte darauf verwiesen, dass der bayerische Finanzminister Albert Füracker (CSU) dafür geworben habe, die Mindestbesteuerung in Europa nicht aufrechtzuerhalten, weil die Vereinigten Staaten ausgestiegen seien und das Konzept ohnehin keine Zukunft habe. Merz fügte hinzu: „Diese Einschätzung teile ich.“

Daraufhin stellte Klingbeil während einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem französischen Amtskollegen Eric Lombard auf Schloss Genshagen in Brandenburg klar, dass er mittlerweile mit dem Kanzler telefoniert habe. „Der Bundeskanzler und ich, wir sind uns einig, dass wir an einer globalen Mindeststeuer festhalten“, sagte der Finanzminister. Es klang nach einem Rüffel.

Ein Rüffel, den Merz wiederum zwei Tage später nicht auf sich sitzen lassen wollte. Das Konzept der globalen Mindeststeuer sei im Kern richtig, sagte er während seiner Sommerpressekonferenz vor der Hauptstadtpresse in Berlin. Es setze allerdings voraus, dass sich die großen Industrienationen der Welt daran beteiligten. „Wenn das einzelne nicht tun, dann wird es schwierig, das umzusetzen.“

Worum geht es?

Trump hatte bereits kurz nach der Amtsübernahme im Januar mit Strafsteuern für europäische Unternehmen gedroht, falls die Regeln der globalen Mindeststeuer für Töchter von US-Unternehmen im Ausland gelten. Im Juni wurde dieser Streit dann auf Ebene der G 7, der großen Industrieländer, beigelegt. Das Ergebnis: Die Regeln der globalen Mindeststeuer greifen nicht bei US-Unternehmen, im Gegenzug werden Töchter von ausländischen Unternehmen in den USA nicht stärker belastet.

Zum Programm von US-Präsident Trump gehört es, die Steuern in den Vereinigten Staaten deutlich zu senken. Es soll für Unternehmen attraktiver werden, in den USA zu produzieren und dort Arbeitsplätze zu schaffen, statt Waren in Asien und Europa fertigen zu lassen und diese dann in Richtung USA zu exportieren.

Je tiefer die US-Steuern sinken, desto mehr werden die Vereinigten Staaten selbst zu einer Steueroase. „Sollten sich die USA zu einem Niedrigsteuerland entwickeln, in dem Unternehmen effektiv weniger als 15 Prozent Steuern zahlen, dann steht das System der globalen Mindeststeuer vor einer Zerreißprobe“, sagt Florian Neumeier, Leiter der Steuerabteilung des Wirtschaftsforschungsinstituts Ifo in München.

Denn dann müsste eigentlich ein für die Durchsetzung der globalen Mindeststeuer entscheidender Mechanismus greifen: Länder wie Deutschland könnten US-Unternehmen im Ausland steuerlich stärker belasten. Sie dürften die zum globalen Mindestsatz von 15 Prozent fehlenden Steuern verlangen. Diese Regel soll es für Unternehmen unattraktiv machen, Gewinne überhaupt in Steueroasen zu verlagern. „Verzichtet man auf dieses Instrument, dann verfehlt die globale Mindeststeuer ihre Wirkung“, sagt Neumeier.

Noch ist unklar, ob die anderen Länder im Fall der USA auf dieses Instrument tatsächlich verzichten würden. Aus Sicht des Ifo-Experten liegt dies allerdings nahe, ansonsten sei mit erneuten Gegenmaßnahmen der Trump-Regierung zu rechnen. Die hat man bei den Strafsteuern durch die G-7-Einigung gerade erst verhindert.

Aber haben die USA nicht eine eigene Mindeststeuer?

Das stimmt. Seit 2017 gibt es in den Vereinigten Staaten das GILTI-System. Das Akronym steht für „Global Intangible Low-Taxed Income“. Der effektive Satz liegt aktuell zwischen 10,5 Prozent und etwas mehr als 13 Prozent. Diese Mindeststeuer soll verhindern, dass Unternehmen immaterielle Wirtschaftsgüter, etwa Patente und Lizenzen, aus den USA heraus in Niedrigsteuerländer verlagern.

Finanzminister Klingbeil sieht deshalb auch kein Problem darin, dass die Vereinigten Staaten bei der von der OECD ausgehandelten globalen Mindeststeuer nicht mitmachen. Die G-7-Einigung sei kein Nachteil. „Damit können OECD- und US-Mindeststeuern nebeneinander bestehen“, sagte er Ende Juni.

Arne Schnitger, Partner für internationales Steuerrecht bei PwC Deutschland, verweist jedoch auf einen wichtigen Unterschied. Die amerikanische Mindeststeuer bezieht sich auf alle Steuern, die ein US-Konzern weltweit zahlen muss. „Im Gegensatz dazu erfordern die Regelungen der globalen Mindestbesteuerung eine Landesbetrachtung“, sagt er.

Für ein US-Unternehmen mit Auslandsdependancen reicht es also, wenn es im weltweiten Durchschnitt auf den US-Mindeststeuersatz kommt. Es kann also gleichzeitig in Steueroasen und in Hochsteuerländern aktiv sein – in dem einen zahlt es weniger, in dem anderen mehr – Hauptsache der Durchschnitt stimmt. Ein europäischer Konzern muss hingegen in jedem einzelnen Land mindestens 15 Prozent Steuern auf seine Gewinne zahlen. Diese unterschiedlichen Konzepte führten zu entsprechend unterschiedlichen Wettbewerbsbedingungen, sagt Schnitger.

Was sagen Vertreter der deutschen Wirtschaft dazu?

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) fordert in einem vierseitigen Positionspapier, das WELT vorliegt, die „Aussetzung und Vereinfachung der globalen Mindeststeuer“. Die Steuer habe sich zu einem „hochkomplexen Bürokratiemonster“ entwickelt. Nun werde ihr durch die G-7-Vereinbarung die Geschäftsgrundlage entzogen.

„Ohne die Beteiligung der Vereinigten Staaten verliert die Mindeststeuer ihren globalen Charakter und führt primär zu Wettbewerbsnachteilen für den Wirtschaftsstandort Deutschland und Europa“, heiß es darin.

Da auch Indien und China die globale Mindeststeuer bisher nicht umgesetzt hätten, bewege sich der „größte Teil der globalen Wirtschaft“ außerhalb solcher Vorgaben. Der administrative Aufwand für die Unternehmen, aber auch für die Finanzverwaltung sei gewaltig, das zusätzliche Steueraufkommen für den Staat dagegen marginal.

Wie viel bringt die Mindeststeuer Deutschland überhaupt?

Nicht so viel, wie einst gedacht. Als der Finanzminister noch Olaf Scholz hieß, verwies sein Ministerium noch auf Schätzungen der EU-Steuerbeobachtungsstelle, nach der Deutschland mit einem Plus von 5,7 Milliarden Euro im Jahr könne.

Vor zwei Jahren war dann nur noch von erwarteten Mehreinnahmen zwischen 1,5 und 1,7 Milliarden Euro die Rede. Dies hatte damals das Münchner Ifo-Institut im Auftrag des Finanzministeriums berechnet.

„Diese Schätzung hat weiterhin bestand“, sagt Ifo-Steuerexperte Neumeier. Schon vor zwei Jahren habe man im Basisszenario die Vereinigten Staaten außen vor gelassen, da man nicht davon ausging, dass diese ihre GILTI-Steuer zugunsten der globalen Mindeststeuer aufgeben würden.

PwC-Partner Schnitger geht davon aus, dass die zu erwartenden Mehreinnahmen für den deutschen Staat eher noch geringer ausfallen. „Nach den jüngsten Beschlüssen auf Ebene der G 7 sind keine weiteren Steuereinnahmen in Bezug auf US-Unternehmen zu erwarten“, sagt er. Zudem sei wahrscheinlich, dass auch andere Staaten dem Beispiel folgten.

Karsten Seibel ist Wirtschaftsredakteur in Berlin. Er berichtet unter anderem über Haushalts- und Steuerpolitik.

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