Oliver Blume gab sich diese Woche erstaunlich selbstkritisch. Er habe sich auf Prognosen zum Hochlauf der E-Mobilität verlassen, die nicht voll eingetroffen seien, räumte der Manager ein, der in Personalunion Chef von Porsche und Volkswagen ist. Mit dem Wissen von heute, sagte Blume, hätte er Porsche „vielleicht noch flexibler aufgestellt zwischen Verbrennern, Hybrid und reinen Elektroantrieben“.

Blume war mit seinem Eingeständnis nicht allein: Auch die Vorstandsvorsitzenden von Mercedes und BMW, Ola Källenius und Oliver Zipse, mussten für das erste halbe Jahr deutlich sinkende Gewinne vermelden. Bei BMW brach er um ein Viertel ein, bei VW um ein Drittel, bei Mercedes um mehr als die Hälfte, bei Porsche sogar um zwei Drittel. 

Deutschlands Autoindustrie steckt in der Krise. Die Verkaufszahlen haben weltweit längst nicht wieder das Vor-Pandemie-Niveau erreicht. Vor allem die Nachfrage nach den politisch erwünschten E-Autos liegt weit hinter allen Prognosen zurück, und die Umstellung erfordert von den Konzernen erhebliche Investitionen. Dazu kommt der globale Handelskonflikt: Die von US-Präsident Donald Trump verhängten Zölle sinken nun zwar auf 15 Prozent, liegen damit aber immer noch sechsmal höher als vor seiner Amtszeit. 

Doch die bedrohliche Lage könnte den Auto-Managern bei ihren Zukunftsvorhaben paradoxerweise sogar helfen – und ihnen die nötige argumentative Munition verleihen, das von der EU beschlossene Aus für Neuwagen-Verbrenner im Jahr 2035 zu kippen. Zudem könnte es ihnen Rückenwind geben, die starken Betriebsräte auf den Sanierungskurs mit Stellenabbau einzuschwören.

Denn für die Beschäftigten der Autobranche sind konfliktreiche Zeiten angebrochen. Bei Porsche etwa steht eine neue große Kürzungsrunde an, Zulieferer ZF Friedrichshafen verschärft trotz Protesten seinen Sparkurs und schließt betriebsbedingte Kündigungen jetzt nicht mehr aus.

Porsche-Chef Blume nutzte die schwachen Zahlen diese Woche denn auch, um eine strategische Kehrtwende anzukündigen. Das Unternehmen, das etwa den beliebten SUV Macan seit 2024 in der EU nur noch als E-Auto anbietet, werde wieder mehr in neue Verbrenner-Modelle investieren, erklärte er.

Mindestens bis „weit in die 2030er-Jahre“ hinein werde der Verbrenner bei Porsche eine wichtige Rolle spielen, so der Manager – also deutlich über das EU-Verbrennerverbot hinaus. Seine Botschaft: Porsche habe die schnelle Elektrifizierung ja gewollt, aber die Realität sei nun mal leider eine andere.

Auch Andreas Herrmann, Direktor am Institut für Mobilität St. Gallen, sieht Grund für harte Diskussionen: „Die Branche muss ihr Geschäftsmodell grundsätzlich überdenken. Durchwurschteln mit ein bisschen Kostenabbau wird nicht reichen“, sagt er. Nur bleibt für Veränderungen kaum Zeit. Spätestens 2026 will die EU das Verbrennerverbot überprüfen. Die Lobbyisten der Autobranche haben sich bereits in Stellung gebracht.

Vor wenigen Wochen legte der deutsche Autoverband VDA einen „Zehn-Punkte-Plan“ vor, der „Flexibilisierung und Technologieoffenheit als zentrale Säulen für Wettbewerbsfähigkeit“ vorsieht. Das sind die wichtigsten Stichworte der Branche gegen das Verbrenner-Aus – passend zu den schwachen Zahlen.

Der Zeitpunkt ist auch aus einem anderen Grund günstig. Denn die allgemeine Stimmung bei Politik und Bevölkerung in Sachen Klima hat sich gedreht. Solange die Autobranche in Europa als Kraftzentrum und Gewinnmaschine galt, war es für Politiker leicht, Einschnitte und Beiträge zum Klimaschutz zu fordern. Plötzlich wurde eher über Fördergelder für Lastenfahrräder gesprochen als über Abwrackprämien für den Neuwagenkauf. Die deutschen Auto-Manager galten derweil als diejenigen, die den Anschluss an die Weltspitze verpasst haben.

Doch inzwischen machen sich die Europäer angesichts der alarmierenden Bilanz-Zahlen und des Jobabbaus Sorgen um ihre Kernindustrie – und sehen nicht mehr die deutschen Manager, sondern die globalen Krisen und die regulierungsfreudige Politik als Risiko.

„Es war nur die Frage, wann der Realitätscheck einsetzt. Jetzt ist er relativ früh gekommen“, sagte etwa Arnd Franz im Gespräch mit WELT. Franz ist Chef von 67.000 Mitarbeitern beim wichtigen Stuttgarter Automobilzulieferer Mahle. Der Motorenhersteller bietet zwar längst auch Elektroantriebe und Kühlungen für E-Autos an. Geld verdient er damit jedoch kaum, dafür umso mehr mit der etablierten Verbrennertechnik.

Der Manager zeichnet ein düsteres Bild: 20.000 Jobs bei Mahle hingen am Verbrenner – und könnten nicht komplett durch Neugeschäft ersetzt werden. Laut den Branchenverbänden könnten europaweit sogar 280.000 Arbeitsplätze auf der Kippe stehen, da E-Autos deutlich weniger Bauteile brauchen, sagt er. „Europa verfolgt mit dem Verbot eine solitäre Strategie, die sich nirgendwo sonst auf der Welt wiederfindet.“

Verbiete die EU den Verbrenner, werde er eben in anderen Erdteilen gebaut. Auch in Mahle-Werken in Amerika und Fernost, aber sicher nicht mehr in Deutschland, wie Franz betont. Als Gründe führt er die hohen Strom- und Lohnstückkosten, Steuern und die Last der Bürokratie an.

Nicht nur die Verbände argumentieren, auch die Autobauer selbst werben bereits mit eigenen Konzepten um die Politik und die Gunst der Öffentlichkeit. BMW-Chef Zipse zum Beispiel will erreichen, dass die Regulierung nicht mehr nur bewertet, was ein Auto bei der Fahrt ausstößt. Seine Idee: Die Betrachtung solle die gesamte Lebensspanne von der Produktion bis zur Wiederverwertung umfassen.

Dann könnte BMW etwa mit dem Einsatz von grünem Stahl und recyclingfreundlichem Autobau punkten – und so Spielraum für schmutzigere Antriebe erreichen. Zudem will Zipse weiter an Wasserstoff-Autos arbeiten. Den Rest sollen Bio-Kraftstoffe und klimaneutrale, mit Strom erzeugte E-Fuels richten. Die will auch Porsche-Chef Blume langfristig in den 911er-Sportwagen einsetzen. Mit einer eigenen Pilotanlage in Südamerika erzeugt er bereits kleine Mengen an E-Fuels – bislang allerdings eher mit Werbe- als mit Klimawirkung.

Kritik von Klimaschützern

Kritiker wie die Klima-Allianz Deutschland argwöhnen jedoch, die Industrie könnte die Politik hinters Licht führen wollen. Ihr Verdacht: Die Manager könnten mit dem Argument, schon in Kürze seien große Mengen Kraftstoff aus Pflanzenöl und erneuerbaren Energien sowie Wasserstoff verfügbar, das Verbrennerverbot aushebeln. Wenn es dann aber doch keine klimaneutralen Kraftstoffe zu günstigen Preisen gebe, würden die Autofahrer einfach weiter fossiles Benzin tanken. Die Autokonzerne, die gar keine Tankstellen betreiben, könnten dann jede Verantwortung von sich weisen.

Schon jetzt suchen die Manager die Verantwortung für den schwachen Verkauf von E-Autos in Europa ohnehin eher nicht bei sich. Es gebe Probleme bei der Lebensdauer der Batterien, den Kosten für die elektrischen Fahrzeuge, die Verfügbarkeit von Ladeinfrastruktur, den Restwerten der Autos, der Ladegeschwindigkeit, sagt etwa Mahle-Chef Franz: „Überall ist noch etwas zu tun.“

Auch MAN-CEO Alexander Vlaskamp sagte vor Kurzem im WELT-Interview, in vielen Regionen Europas gebe es noch nicht genügend Ladesäulen. „Das Produkt ist da – und zwar das komplette Portfolio bis hin zu E-Müllwagen. Jetzt geht es aber um die Ladeinfrastruktur – und da hakt es“, so Vlaskamp.

Und die Manager haben noch einen weiteren Schuldigen an ihrer Misere aufgetan: die Kommunistische Partei Chinas. Die Regierung der Volksrepublik habe die heimischen E-Autoproduzenten zu stark gefördert und damit den Wettbewerb aus dem Ruder laufen lassen. Riesige Überkapazitäten in China drückten auf die Preise. Tatsächlich werden die deutschen Hersteller ihre Autos seit vielen Monaten in dem ostasiatischen Land kaum noch los.

Doch inzwischen erklären Blume, Källenius und Zipse diese Schwäche zur Strategie: Es gehe nicht darum, möglichst viele Autos zu verkaufen – sondern darum, durch Verknappung die Gewinnmargen zu halten. „Marge vor Menge“ heißt das Motto etwa bei Audi. Das gelingt allerdings nur begrenzt.

Leidtragende sind vor allem die Arbeitnehmer der Autoindustrie. Sie demonstrierten zuletzt ihre Macht bei Volkswagen mit dem Rauswurf von Personalchef Gunnar Kilian. Die Beschäftigten verübeln ihm, dass er einen großzügigen Haustarif abgeschafft hat. Das spart dem VW-Konzern Milliarden, geht aber auf Kosten der altgedienten Mitarbeiter.

Doch je dramatischer die Geschäftszahlen, desto höher der Druck auf die Gewerkschafter der IG Metall, bei Sanierungspaketen nicht als Bremser dazustehen. Nach einem Brief von Porsche-Chef Blume an die Arbeitnehmer, in dem er sie trotz bereits vereinbarter Stellenabbau-Programme auf ein weiteres Sparpaket vorbereitet hat, blieb es jedenfalls bei dem Autobauer bislang ungewöhnlich ruhig.

Christoph Kapalschinski ist Wirtschaftsredakteur. Er schreibt über die Auto-Branche.

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