Das historische Gebäude der Handwerkskammer Hamburg am Holstenwall wird gerade umfassend saniert, unter anderem bekommt das denkmalgeschützte Gewerbehaus, das im Jahr 1915 eingeweiht worden war, eine Photovoltaikanlage. Das passt – Hausherr Hjalmar Stemmann, der Kammerpräsident, verweist im Gespräch darauf, wie sehr die Technologien zum Klimaschutz die Entwicklung von Berufsbildern im Handwerk beeinflussen. Und welche Karriere derzeit die Wärmepumpe macht.

WELT AM SONNTAG: Herr Stemmann, über den Klimaschutz wurde während der Zeit der Ampelregierung Ende 2021 bis Anfang 2025 intensiv gestritten. Seit dem Regierungswechsel hin zu Union und SPD im Frühjahr ist es um das Thema deutlich ruhiger geworden. Wie nimmt das Handwerk diese Veränderung wahr?

Hjalmar Stemmann: Klimaschutz und Klimafolgenanpassung sind im Handwerk extrem präsent. Aus der Politik bekommen wir deutliche Signale dafür, dass dort derzeit die Hülle von Gebäuden nicht mehr die zentrale Rolle spielt, sondern dass stärker über die Steuerung der Energieträger gegangen wird, über CO2-Abgaben und anderes mehr. Um bei der Versorgung von Gebäuden mit Wärme und Strom umzusteuern, braucht man zum Beispiel Wärmepumpen und Solaranlagen. Wer soll diese Anlagen in den Häusern und auf den Dächern installieren und montieren, wer soll die vorhandene Technologie abstimmen? Das kann nur das Handwerk machen. Auch bei der Anpassung des Energieverbrauchs in den Gebäuden ist das Bau- und Ausbauhandwerk mit dabei. Das Malerhandwerk zum Beispiel kümmert sich unter anderem zum Beispiel um Wärmedämm-Verbundsysteme, das bleibt wichtig. Installateure betreuen Klima-, Wärme- und Kältetechnik, Dachdecker bereiten Dächer für moderne Technologien wie Solaranlagen auf, die dann Elektriker wiederum anschließen. Diese Aufzählung könnte ich noch lange fortsetzen. 

WAMS: Die Koalition von SPD, FDP und Grünen ist maßgeblich auch am Widerstand gegen Robert Habecks ,Heizungsgesetz‘ gescheitert. Ist die Wärmepumpe, um die es dabei vor allem ging, bei Immobilieneignern tatsächlich so unbeliebt, wie es in der Debatte einige Jahre lang erschien?

Stemmann: Das Handwerk ist bei diesem Gesetz nie einbezogen worden, das war aus unserer Sicht der größte ,handwerkliche‘ Fehler dabei. Mit der Expertise der Fachhandwerke wäre dieses Gesetz vernünftig aufgestellt worden. Kurze Fristen und absolut zu treffende Entscheidungen waren wesentliche Fehler dieses Gesetzes. Es fehlte die Technologieoffenheit, nicht jedes Haus war damals für eine Wärmepumpe geeignet. Und das Gesetz kam zu einem Zeitpunkt, zu dem die Industrie für Wärmepumpen gar nicht lieferfähig war. Es gab große Verzüge, die Handwerker hatten gar nicht die Anlagen, um sie zu installieren. Ich glaube gar nicht, dass die Bevölkerung – und erst recht nicht das Handwerk per se – gegen die Wärmepumpe ist. Es muss nur die richtige Wärmepumpe für den jeweiligen Gebäudetyp sein, und es müssen die ausgebildeten Handwerker da sein. Da hat sich in den vergangenen Jahren sehr viel getan, wir haben bei der Handwerkskammer und in der Innung viele Handwerker fortgebildet, damit die Installationen vernünftig funktionieren. Die Installation einer Wärmepumpe dauert zwei- bis zweieinhalbmal so lange wie die Installation einer Gastherme. Das wird sich im Laufe der Zeit ein wenig anpassen. Vor allem aber müssen die Wärmepumpen viel genauer auf den Haustyp abgestimmt werden. Man muss Anreize für solch eine neue Technologie schaffen und diejenigen mitnehmen, die es betrifft. Dann funktioniert das.

WAMS: Sehen die Kunden die Wärmepumpe heutzutage differenzierter als noch vor zwei, drei Jahren?

Stemmann: Auf jeden Fall. Der Druck ist aus dem Thema auch politisch herausgenommen worden. Heutzutage lässt sich darüber mit den Beteiligten sehr vernünftig sprechen. Und es stehen jetzt mehr Geräte überhaupt erst einmal zur Verfügung – zu Beginn dieser Debatte gab es ein Jahr Wartezeit für solch ein Gerät. Das hat sich völlig verändert. Die Industrie hat nachgezogen, das Handwerk ist weiter gut aufgestellt, und das Bewusstsein bei den Immobilienbesitzern hat sich verändert.

WAMS: Viele Gebäude bis hin zu Einfamilienhäusern werden immer mehr zu kleinen Kraftwerken, mithilfe von Fotovoltaikanlagen und auch von leistungsfähigen Batteriespeichern. Nutzen die Hauseigner und die Handwerker das Potenzial solcher Speichermedien schon ausreichend?

Stemmann: Die Handwerker sind darüber jedenfalls gut informiert. Wir haben das Energiebauzentrum der Handwerkskammer mit unseren Energielotsen am Elbcampus in Harburg. Da kann man sich sogar einen aus ausgemusterten Autobatterien bestehenden Großspeicher anschauen. Unsere Energieberater gehen in Betriebe, und sie beraten Hauseigentümer. Bei den Batteriespeichern ist noch viel Luft nach oben, es gibt noch nicht genügend eingebaute Geräte. Ein Ansatz wäre es, Autobatterien als stationäre Speicher in Häusern einzusetzen – und auch, Elektroautos selbst zu Energiespeichern in Verbindung mit Häusern zu machen. Da wird noch sehr viel passieren. Dass aber nun etwa Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche die Einspeisevergütung für kleine Fotovoltaikanlagen infrage stellt, trägt nicht gerade zur Planungssicherheit bei.

WAMS: Entstehen durch den Klimaschutz und die damit verbundenen Technologien aus Ihrer Sicht viele neue Berufsbilder im Handwerk?

Stemmann: Es ist eher so, dass sich die Handwerksunternehmen weiterentwickeln. Vor zehn Jahren gab es kaum Elektromobilität und noch sehr wenige E-Auto-Modelle. Das zog dann an, und Hamburg war die erste Stadt, in der eine Kfz-Innung ein Kompetenzzentrum für Elektromobilität aufgebaut hat. Heute lernen KfZ-Azubis ganz selbstverständlich die Arbeit mit Hochvoltsystemen. Jeder ausgelernte Geselle kennt sich heute mit Elektroantrieben aus. Diese inhaltlichen Veränderungen und Weiterentwicklungen gibt es natürlich auch in etlichen anderen Gewerken, vom Elektrohandwerk bis hin zur Klima- und Sanitärtechnik. Lerninhalte, Gesellen- und Meisterprüfungen werden ständig an die Entwicklungen angepasst.

WAMS: Dadurch werden Berufsbilder anspruchsvoller und spannender.

Stemmann: Absolut. Sanitär, Heizung, Klima hat zwar immer noch etwas mit Rohren, Toiletten und Waschbecken zu tun, aber eben auch mit der Installation von hochtechnologischen Heizungen, Wärmepumpen, Fotovoltaiksystemen und Warmwasserspeichern. Das ist schon eine kleine Raketenwissenschaft.

WAMS: Wie kann das Handwerk in den kommenden Jahren in der Stadt noch sichtbarer werden?

Stemmann: Auf ganz unterschiedlichen Wegen, zum Beispiel mit privaten Handwerkerhöfen, in denen sich mehrere Betriebe zusammentun. Wir achten darauf, dass Handwerkerhöfe verstärkt auch auf Konversionsflächen entstehen können, wie etwa auf dem Holsten-Areal in Altona. Das Handwerk darf nicht aus der Stadt verschwinden. Rund um die alte Holsten-Brauerei zum Beispiel gab es auf dem Gelände früher zig Werkstätten von Handwerksunternehmen, die speziell für Holsten gearbeitet haben, um Maschinen und Anlagen zu warten. Sie waren in Altona ein Teil des Stadtbildes. Wenn solch ein Quartier wie das Holsten-Areal oder auch Oberbillwerder neu entwickelt wird, darf es nicht sein, dass dort kein Handwerk mit dabei ist. Handwerk muss in den Quartieren sein, und wir müssen wieder in die Innenstadt zurück, wenn die Innenstadt neu belebt werden soll. 

WAMS: Wie funktionieren die – aktuell in Hamburg neun – Handwerkerhöfe, haben diese Einrichtungen ausreichend öffentliche Aufmerksamkeit?

Stemmann: Es gibt ja auch Handwerkerhöfe ohne Publikumsverkehr. Die Betriebe haben dort ihre Büros, Lager und vorbereitenden Werkstätten. Andere Handwerkerhöfe wiederum haben Publikumsverkehr, weil dort auch Werkstätten sind, in die Menschen Geräte oder Fahrzeuge zur Reparatur bringen. In der Meistermeile in Eimsbüttel zum Beispiel hat sich viel untereinander entwickelt – wenn der Zimmermann die Kapelle auf dem Friedhof in Niendorf renoviert, gibt er dem Malerbetrieb im Handwerkerhof den Hinweis, dass dort auch ein Maler gebraucht wird – und vermittelt ihn auch noch an die Friedhofsverwaltung. Oder die Gewerke tauschen bei Bedarf Material zu fairen Preisen untereinander aus. 

WAMS: Die Handwerksbetriebe müssen aber auch verstärkt in die Wohnquartiere selbst gehen.

Stemmann: Die Handwerkerhöfe sind nur eine Antwort darauf, dass aus klassischen Handwerksquartieren an vielen Stellen Wohnquartiere gemacht wurden. Wenn es eine wohnortnahe Versorgung mit Handwerksleistungen geben soll, müssen die Unternehmen natürlich verstärkt auch wieder in den Quartieren selbst angesiedelt werden, schon deshalb, weil es ja ein gesellschaftliches Ziel ist, Autoverkehre zu reduzieren. Wir wünschen uns sehr, dass Projekte für Handwerksunternehmen mit mehr Nachdruck verfolgt werden – und dass es tatsächlich auch eine echte Kompensation für die Handwerksunternehmen gibt, wenn Gewerbegebiet in Wohngebiet umgewandelt wird.

WAMS: Können Handwerksunternehmen mit Ladenlokalen in der Innenstadt wettbewerbsfähig bestehen?

Stemmann: Ein Schuster oder eine kleine Bäckerei kann nicht dieselben Mieten zahlen wie ein Filialunternehmen etwa des Einzelhandels. Dafür müssen schon entsprechende Mieten aufgerufen werden. Und es muss natürlich eine Bereitschaft der Kunden da sein, Schuhe reparieren zu lassen, wenn ein Schuster im lokalen Einzugsgebiet wirtschaftlich erfolgreich arbeiten soll.

WAMS: Welchen Beitrag kann Künstliche Intelligenz in absehbarer Zeit leisten, um Handwerksunternehmen wirtschaftlich zu stärken?

Stemmann: Es gibt schon viele KI-Lösungen, die auf die Anwendungen im Handwerk spezialisiert sind – nehmen wir zum Beispiel die elektronische Vermessung von Räumen oder auch Drohnenflüge für die Vermessung von Dächern. Künstliche Intelligenz kann aufgenommene Scans vervollständigen, Arbeitsabschnitte und das Endergebnis vorausschauend visualisieren. Auch in den Gesundheitshandwerken macht das Sinn: beim Vermessen von Fußsohlen bis zur Analyse von Zahnaufstellungen oder dem Vermessen von Augen. Die Industrie bietet dem Handwerk da sehr viele Möglichkeiten, die Handwerksunternehmen entwickeln diese modernen elektronischen Werkzeuge, darunter viele mit KI-Unterstützung, auch selbst weiter und geben den Herstellern entsprechende Rückmeldungen. 

WAMS: Digitalisierung und KI ersetzen das Handwerk aber nicht.

Stemmann: Meine große Hoffnung ist, dass Digitalisierung und Künstliche Intelligenz einen großen Beitrag dazu leisten können, den wachsenden Mangel an Fachkräften auszugleichen. Auch im Handwerk geht die Generation der Babyboomer jetzt allmählich in Rente, mit enorm viel Wissen. Dieses Wissen kann in KI-Systeme eingelernt und so an die nächste Generation weitergegeben werden. Sicher aber ist: Am Ende muss gebohrt, geschraubt, der Pinsel geschwungen und etwas hergestellt werden, um den Menschen zu dienen.

WAMS: Aber Verwaltungsaufgaben lassen sich digital verbessern.

Stemmann: Das ist schon in erheblichem Maße so, von der Angebotserstellung bis zur Buchhaltung. Zunehmend sind Betriebe auch mit Tablets und Smartphones unterwegs, und die KI liest aus dem Foto heraus, was vor Ort getan worden ist. Oder die KI sagt nach dem Kamerablick in die Werkzeugtasche oder in den Montagewagen rechtzeitig vor Abfahrt, welches am Einsatzort benötigte Werkzeug noch fehlt.

WAMS: Das Schuljahr ist inzwischen abgelaufen. Wissen Sie schon, ob die Lücke von Angebot und Nachfrage bei den Lehrstellen im Hamburger Handwerk eher größer oder kleiner wird?

Stemmann: Im Moment wissen wir es noch nicht, weil sich viele junge Menschen tendenziell später entscheiden, was sie nach dem Abschluss der allgemeinbildenden Schule tun wollen. Ein klareres Bild ergibt sich heutzutage eher Anfang Oktober als im August. Noch haben wir für dieses Ausbildungsjahr mehr als 400 Ausbildungsstellen offen – und schon mehr als 850 für den Start im Sommer 2026. Wir haben immer noch eine Lücke im Vergleich zu unseren guten Ausbildungszahlen in der Zeit vor der Pandemie, also bis 2019. Wir arbeiten uns langsam aus dem ,Corona-Tal‘ heraus. Von 2015 bis 2019 spielten übrigens junge Menschen mit Migrationshintergrund bei den hohen Ausbildungszahlen eine ganz besondere Rolle. 

WAMS: Wird es für die Unternehmen wieder schwieriger, junge Menschen für das Handwerk zu begeistern?

Stemmann: Die Studienneigung nimmt weiter zu und zugleich auch das Durchlavieren in angelernten Jobs – speziell die aber sind eine Sackgasse, aus der man später nur sehr schwer wieder herauskommt. Man verdient als junger Mensch anfangs womöglich schnell mehr als ein Auszubildender, wird aber nach einigen Jahren von gut ausgebildeten Menschen zwangsläufig abgehängt.

WAMS: Wie werden sich Angebot und Nachfrage bei den Ausbildungsplätzen mittelfristig entwickeln? 

Stemmann: Die Lücke wird kleiner, wir haben aber nach wie vor deutlich mehr Ausbildungsplätze im Handwerk als Bewerber dafür. Etwa 25 Prozent unserer Ausbildungsbetriebe meldeten uns in einer Umfrage, dass sie keine einzige ihrer Lehrstellen besetzen konnten.  

WAMS: Das Handwerk könnte mehr Frauen für die Ausbildung gewinnen.

Stemmann: Das wünsche ich mir ganz persönlich, und es ist ein großes Ziel des Handwerks generell. Mit derzeit knapp unter 19 Prozent der Lehrstellen im Handwerk insgesamt liegt Hamburg bundesweit leicht vorn, doch das reicht trotzdem längst nicht aus. Da ist noch sehr viel Luft nach oben. In die klassischen Männerhandwerke wie die Kfz-Mechatronik oder bei den Zimmerern gehen nicht so viele Frauen. Gerade habe ich einige der Meisterbriefe für die Zimmerleute unterschrieben – von etwa 20 Urkunden war nur eine einzige für eine Frau. Bei den Ausbildungsergebnissen in solchen Gewerken belegen in Landes- oder Bundesvergleichen aber gerade Frauen häufig die Spitzenplätze. Wir wissen – und ich weiß es von meiner eigenen Mutter im Zahntechnik-Gewerk mit Blick auf die 1950er-Jahre –, dass sich der Anteil von Frauen erhöhen lässt. Zum Beispiel auch mit Frauen in der Ausbildung als Vorbildern, mit denen wir im Handwerk werben.

WAMS: Bleibt der Anteil der einzelnen Schulabschlüsse bei den Auszubildenden im Handwerk stabil?

Stemmann: Ja, mit unter anderem etwa 20 Prozent Abiturienten, da liegt Hamburg im Bundesvergleich sehr weit vorn. Wichtig ist dabei: Nicht nur Abiturienten, auch Auszubildende mit anderen Schulabschlüssen können ihre Ausbildungen verkürzen, wenn sie besonders gute Leistungen zeigen.

Seit Mai 2019 führt Hjalmar Stemmann, 61, im Ehrenamt als Präsident die Handwerkskammer Hamburg. Als eine Körperschaft des öffentlichen Rechts vertritt die Handwerkskammer derzeit rund 15.000 Unternehmen mit mehr als 105.000 Beschäftigten. Hauptberuflich betreibt Stemmann zwei Unternehmen in der Branche der Dentaltechnologien. Politisch engagierte er sich unter anderem von 2008 bis 2015 als Abgeordneter in der CDU-Fraktion der Hamburgischen Bürgerschaft. Von 2010 bis 2019 war er Landesvorsitzender der Hamburger Mittelstands- und Wirtschaftsunion der CDU. Er ist verheiratet und Vater zweier Kinder.

Olaf Preuß ist Wirtschaftsreporter von WELT und WELT AM SONNTAG für Hamburg und Norddeutschland. Die Energiewirtschaft und auch das regionale Handwerk zählen zu seinen Schwerpunktthemen.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.