Sozial- und Seniorenverbände haben die mögliche Einführung eines sozialen Pflichtjahres für Rentner kritisiert. „Wir sollten zur Abwechslung mal anerkennen, was ältere Menschen in diesem Land leisten, anstatt ihnen das Gefühl zu vermitteln, dass sie faul sind und der Gesellschaft auf der Tasche liegen“, sagte Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

DIW-Präsident Fratzscher hatte zuvor ein „verpflichtendes soziales Jahr für alle Rentnerinnen und Rentner“ gefordert. Die ältere Generation müsse sich gesellschaftlich „stärker einbringen“. Die sogenannte Boomer-Generation (zwischen Mitte der 1950er bis Ende der 1960er Jahre Geborene) habe zu wenig Kinder bekommen. „Wieso sollten ausschließlich die Jungen für diese Lebensentscheidungen der Babyboomer geradestehen?“, hatte Fratzscher gefragt.

Laut Bentele pflegen viele Rentner Familienangehörige oder kümmern sich um Enkel, damit Eltern arbeiten können. Andere engagierten sich in Vereinen und Initiativen und handelten so im Sinne einer solidarischen Gesellschaft. „Da braucht es kein verordnetes soziales Pflichtjahr“, so Bentele.

Ähnlich äußerte sich Joachim Lautensack vom baden-württembergischen Seniorenverband Öffentlicher Dienst. Fast 44 Prozent der 65- bis 74-Jährigen seien ehrenamtlich aktiv, sagte er dem RND. Fratzschers Idee, über ein soziales Jahr von Rentnern mehr Generationengerechtigkeit zu schaffen, sei eine „dümmlich Forderung“.

In Baden-Württemberg würden bereits weit mehr als ein Drittel der Senioren ehrenamtlich tätig sein, in der Altersgruppe zwischen 65 und 74 laut Deutschem Freiwilligen-Survey 2019 sogar fast jeder Zweite (43,9 Prozent). „Hinzu kommen sicherlich noch sehr viele ebenfalls unverzichtbare Unterstützungsleistungen im familiären Bereich, die statistisch kaum zu erfassen sind“, sagte Lautensack.

„Millionen Menschen daraus einen Strick zu drehen, empfinden wir als respektlos“

Der Sozialverband Deutschland (SoVD) hatte den Vorschlag Fratzschers bereits am Freitag scharf kritisiert. „Die ‚Lebensentscheidung‘, keine vier Kinder zu bekommen, erfolgte bei Millionen Menschen auch aus finanziellen Gründen“, sagte SoVD-Chefin Michaela Engelmeier und verwies auf eine gestiegene Notwendigkeit zur Erwerbsarbeit für beide Partner wegen steigender Kosten. „Ihnen nun daraus einen Strick zu drehen, dass man sich zur Strafe gefälligst im Rentenalter engagieren müsse, empfinden wir als respektlos“, fügte Engelmeier hinzu.

Kritik kam auch vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB): „Ein Pflichtjahr für Rentner lehnen wir ab. Wer jahrzehntelang gearbeitet hat, hat seinen Ruhestand unbedingt verdient. Wir warnen davor, mit solchen Vorschlägen Generationen gegeneinander auszuspielen“, sagte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel. „Die Frage, wer tatsächlich auf wessen Kosten lebt, ist in allererster Linie eine Frage zwischen Reich und Arm, also zwischen Kapital und Arbeit, und nicht etwa zwischen den Generationen.“

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.