Vor einem halben Jahrzehnt rückte Wasserstoff in den Blick deutscher und internationaler Energiestrategien – mittlerweile ist es um den hochgelobten Energieträger wieder ruhiger geworden. Das Hamburger Unternehmen MB Energy plant eines der in Deutschland größten Importprojekte für Ammoniak und damit auch für Wasserstoff. Volker Ebeling, 57, Vice President New Energy, Storage & Infrastructure bei MB Energy, sagte WELT, warum der internationale Hochlauf einer Wasserstoffwirtschaft so kompliziert ist.
WELT: Herr Ebeling, MB Energy will im Hamburger Hafen einen Importterminal für Ammoniak errichten. Das Unternehmen Air Products soll dieses Ammoniak dann in Wasserstoff und Stickstoff aufspalten. Wann startet dieses Projekt?
Volker Ebeling: Wir haben das Projekt 2022 offiziell vorgestellt. Vor gut einem Jahr haben wir den Genehmigungsantrag bei der Hamburger Umweltbehörde eingereicht, mehr als 1500 Seiten. Die Teilgenehmigung für die Beladung der Schiffe liegt bereits vor. Wir warten nun, dass der Antrag noch im Laufe dieses Jahres vollständig genehmigt wird.
WELT: Erst dann können Sie auch damit beginnen, die Infrastruktur aufzubauen.
Ebeling: Der Teil, den wir realisieren wollen, ist der Ammoniak-Terminal, also die schiffseitige Anlieferung von Ammoniak und Einlagerung in einem großen Tank. Auch die Auslagerung von Ammoniak aus dem Tank auf kleine und große Schiffe ist Teil unseres Genehmigungsantrages. Das ist der Teil, den MB Energy maßgeblich im Projekt voranbringt. Air Products plant, dieses Ammoniak in einer eigenen Anlage in Wasserstoff und Stickstoff aufzuspalten. Allerdings hat Air Products dafür bislang keinen Genehmigungsantrag gestellt. Das muss allerdings auch nicht unbedingt parallel zu unserem Genehmigungsverfahren laufen.
WELT: Was geschieht, wenn Air Products nicht in dieses Projekt einsteigt?
Ebeling: Wir haben uns entschlossen, mit Air Products als einem sehr kompetenten Partner zusammenzuarbeiten, einem der größten Wasserstoffunternehmen der Welt. Wir könnten das aber auch gemeinsam mit anderen Partnern realisieren, mit denen wir im Austausch stehen.
WELT: Unabhängig von einer Aufspaltung des Ammoniaks könnten Sie es nach Hamburg importieren und dann weiterverkaufen?
Ebeling: Das ist der große Vorteil, dass Ammoniak verschiedene Verwendungszwecke hat, die ja heute schon existieren. Wasserstoff in der Energiewirtschaft ist relativ neu. Aber Ammoniak wird heute schon in einer Größenordnung von 200 Millionen Tonnen hergestellt und weltweit verwendet. Der größte Teil davon, annähernd 80 Prozent, entfällt auf die Düngemittelindustrie. Der übrige Teil ist ein wichtiger Rohstoff oder Grundstoff für die Chemie für verschiedenste Anwendungszwecke. Ammoniak ist ein bekanntes Produkt mit existierenden Märkten. Die Produktion von Ammoniak ist allerdings sehr abhängig vom Preis für Erdgas. Der notwendige Wasserstoff für das Ammoniak wird heutzutage aus Erdgas gewonnen. Seit dem Beginn des Ukrainekrieges und den gestiegenen Erdgaspreisen geht in Europa der Trend stärker hin zum Import von Ammoniak.
WELT: Handelt MB Energy auch international mit Ammoniak?
Ebeling: Wir nehmen in diesen Wochen in Texas City, USA, eine der weltgrößten Ammoniak-Produktionsanlagen in Betrieb, an der wir maßgeblich beteiligt sind. Dort werden bis zu 1,3 Millionen Tonnen Ammoniak im Jahr produziert. Künftig könnte das auch sogenanntes „blaues“ Ammoniak sein, mit Wasserstoff, der aus Erdgas extrahiert wird. Das dabei freiwerdende Kohlendioxid wird mithilfe der CCS-Technologie dann unterirdisch dauerhaft eingelagert. „Blaues“ Ammoniak ist wichtig für die Skalierung, für den Hochlauf einer Wasserstoffwirtschaft. Dieser Hochlauf lässt sich in den kommenden Jahren mit „grünem“ Ammoniak, bei dem der Wasserstoff per Elektrolyse mithilfe von Ökostrom gewonnen wird, so nicht realisieren.
WELT: Wie wäre der Zeitplan, wenn Sie in Hamburg gemeinsam mit Air Products den Import und die Aufspaltung von Ammoniak starten?
Ebeling: Wir gehen davon aus, dass wir gegen Ende des Jahres einen Genehmigungsbescheid bekommen. Der nächste wesentliche Schritt wäre die finale Investitionsentscheidung. Zu dem Zeitpunkt müssen wir uns mit unseren Eigentümern darauf verständigen, dass diese geplante Investition im dreistelligen Millionenbereich eine wirtschaftliche Berechtigung hat, dass sie rentabel und wirtschaftlich vertretbar ist. Dafür müssen wir einschätzen können, wie viel Ammoniak tatsächlich für den Import nachgefragt wird. Das ist bei der Energiewende das größere Problem – die Nachfrage und die Bereitschaft von Kunden, für dieses Produkt einen bestimmten Preis zu bezahlen.
WELT: Sie sprechen mit potenziellen Kunden darüber, wer in den kommenden Jahren „blaues“ oder „grünes“ Ammoniak kaufen will?
Ebeling: Die einen sind Kunden direkt aus der bestehenden Ammoniakwirtschaft, zum Beispiel für die Herstellung von Düngemitteln. Außerdem setzen wir darauf, dass in den kommenden fünf bis zehn Jahre Ammoniak als Schiffskraftstoff relevant wird. Und wir sprechen mit Kunden, die Interesse daran haben, Ammoniak zu importieren und es in unserem Tank selbst umzuschlagen, für eigene Zwecke.
WELT: Wie schnell kann dieses Geschäft starten?
Ebeling: Wenn wir Ende dieses Jahres die Genehmigung bekommen, brauchen wir voraussichtlich sechs bis zwölf Monate, um abschließend die Investitionsentscheidung zu treffen, auch im Dialog mit potenziellen Kunden. Danach bräuchten wir zweieinhalb Jahre Bauzeit.
WELT Dieser Zeitplan wäre unabhängig von der Frage, ob sie mit Air Products hier in Hamburg zusammenarbeiten oder nicht.
Ebeling: Wir können mit der Genehmigung unseren Teil der Infrastruktur für den Import von Ammoniak errichten. Ich bin recht zuversichtlich, dass wir mit einer gewissen Verzögerung diesen Importweg für Wasserstoff brauchen werden. Man muss dann den geeigneten Partner finden. Wichtig ist dabei auch der Aufbau eines Wasserstoffnetzes in Hamburg und in Deutschland, der bereits begonnen hat. Wasserstoff ist schwierig auf Straße und auf der Schiene zu transportieren. Pipelines werden ein maßgeblicher Erfolgsfaktor für eine Wasserstoffwirtschaft sein.
WELT: „Blaues“ Ammoniak mit der Abtrennung von Kohlendioxid bei dessen Herstellung, könnte aus den USA kommen, sagen Sie. Doch woher können Sie große Mengen regenerativ erzeugtes, „grünes“ Ammoniak bekommen?
Ebeling: Da schließt sich der Kreis wieder mit Air Products, und zwar in Saudi-Arabien. Die neue Stadt Neom am Roten Meer soll zugleich auch der weltweit größte Standort für die Produktion von Wasserstoff mithilfe erneuerbarer Energien werden, also mit Strom zum Beispiel aus Solarparks. Dieses Projekt ist maßgeblich auch mit Air Products verbunden, das diesen Wasserstoff aus Saudi-Arabien in Form von Ammoniak exportieren will. Projekte für „grünes“ Ammoniak gibt es auch in Indien, im Oman, den Vereinigten Arabische Emiraten. Auch in Kanada wird an solchen Projekten gearbeitet, mit Strom zum Beispiel aus großen Windparks. Kanada ist sicherlich einer der hochrelevanten neuen, potenziellen Exportmärkte.
WELT: Haben Sie heute schon vor Augen, wie sich die importierten Mengen von Ammoniak in Hamburg entwickeln könnten?
Ebeling: Unter anderem beschäftigen sich maßgebliche deutsche Energieversorger aus der Stromwirtschaft mit dem Import von Ammoniak und Wasserstoff, mit Projekten bis hin nach Australien. Da ist mittlerweile ein globales, potenzielles Marktumfeld entstanden. Ich bin zuversichtlich, dass wir mit namhaften internationalen und deutschen Unternehmen dabei gute Fortschritte machen. In diesem Sinne sind wir nicht von der Investitionsentscheidung bei Air Products allein abhängig. Wenn Air Products morgen sagt, wir stellen unser Projekt ein, dann heißt das für uns nicht, dass wir unser Projekt auch einstellen.
WELT: Allmählich bildet sich also ein internationaler Markt für Wasserstoff.
Ebeling: Im Moment sind es im Wesentlichen Projekte im Aufbau. Wasserstoff ist nicht so leicht zu transportieren wie in der Verbindung mit Stickstoff als Ammoniak, deshalb spielt Ammoniak für eine Wasserstoffwirtschaft eine zentrale Rolle. Nach der Aufbruchstimmung für eine Wasserstoffwirtschaft vor etwa fünf Jahren hat sich inzwischen die Erkenntnis durchgesetzt, dass das mit einer hohen Komplexität verbunden ist. Das ist ein hochtechnisches Geschäft.
WELT: Haben Sie den Eindruck, dass die neue Bundesregierung das Thema Wasserstoff eher in den Hintergrund schiebt? Die Ampel-Koalition hat das ja als Prestigeprojekt betrachtet.
Ebeling: Das sehen wir nicht so. Unsere neue Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche hat Wasserstoffkenntnisse und bei diesem Thema einen soliden Hintergrund. Wir gehen davon aus, dass die Förderung von Wasserstoff auch auf der Agenda der neuen Regierung steht. In welchem Umfang, das ist heute noch nicht so ganz klar.
WELT: Waren die Erwartungen speziell in die Erzeugung von „grünem“ Wasserstoff bislang zu groß?
Ebeling: Es gab so etwas wie eine Goldgräberstimmung und damit auch eine gewisse Naivität. Man hat die Komplexität bei der Herstellung und dem Transport von Wasserstoff unterschätzt. Die Komplexität beim Aufbau einer Infrastruktur und eines Marktes braucht Zeit. Noch fehlen uns die Skalierungseffekte für den Hochlauf einer Wasserstoffwirtschaft. Wo dieser Wasserstoff dann zu welchem Preis tatsächlich eingesetzt werden wird, wissen wir heutzutage noch nicht.
WELT: Manche Unternehmen wie der Stahlkonzern ArcelorMittal oder der Flugzeughersteller Airbus stellen ihre Wasserstoffpläne inzwischen wieder zurück.
Ebeling: Die zeitlichen Ambitionen, die man am Anfang hatte, sind überholt. Ich glaube, es bleibt aber trotzdem eine Frage des „Wann“ und nicht des „Ob“ – es sei denn, wir würden die Emissions- und Klimaziele in großen Teilen aufgeben. Klar ist zum Beispiel, dass wir nicht alles elektrifizieren können. Für einen erheblichen Teil des Schwerlastverkehrs zum Beispiel bieten batterieelektrische Antriebe auf lange Sicht keine Lösung, man braucht dafür Wasserstoff-Brennstoffzellen. Diese Technologie wird für Reichweiten bis zu 1200 Kilometer geeignet sein.
WELT: Werden wind- und sonnenreiche Staaten wie Saudi-Arabien in absehbarer Zeit ihre Produktion von „grünem“ Wasserstoff, Ammoniak oder Methanol deutlich hochfahren?
Ebeling: Das findet ja bereits statt und die Bereitschaft ist auch durchaus da. Doch die Abnehmer sind bislang eben nicht so zahlreich, um solche Projekte tatsächlich zu unterstützen und zu sagen, wir kaufen den Wasserstoff. Das liegt daran, dass Wasserstoff heutzutage noch deutlich teurer ist als etwa Erdgas.
WELT: Es gibt viele geopolitische Unsicherheiten, unter anderem auch, dass die USA ihre Produktion von Erdgas und Erdöl und Kohle unter Präsident Donald Trump wieder deutlich steigern wollen. Erschwert das den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft?
Ebeling: Woher kam der Enthusiasmus für den „grünen“ Wasserstoff vor fünf Jahren? Sicher auch daher, dass wir gesagt haben, beim Erdgas haben wir – mit Blick auf Russland – etwas falsch gemacht, jetzt müssen wir die Energieversorgung umbauen. Inzwischen haben sich die Gaspreise aber wieder weitestgehend normalisiert, und die Preisunterschiede und Aufschläge für erneuerbare Energien sind wieder präsenter. Wir müssen lernen, beim Umbau der Energieversorgung etwas langfristiger zu denken und auch zu handeln. Derzeit ist die CO2-Besteuerung in der Europäischen Union noch nicht so hoch, dass damit automatisch die erneuerbaren Energieträger zu den fossilen Energien wettbewerbsfähig sind. Wir sind zum Beispiel beim Wasserstoff noch nicht auf einem äquivalenten Preisniveau wie beim Diesel.
WELT: Handelt die EU-Kommission beim Ausbau der erneuerbaren Energien und einer Wasserstoffwirtschaft nachvollziehbar und konsistent?
Ebeling: Das ist etwas verlangsamt worden. Aber wir sehen nach wie vor, dass die EU das konsequent voranbringt. Es werden steigende Quoten für den Einsatz von erneuerbaren Energien kommen. Allerdings wird vieles dabei heutzutage sehr eng reguliert. Warum muss es unbedingt nur „grüner“ Wasserstoff sein? Warum fangen wir nicht mit „blauem“ Wasserstoff an, wenn der schneller und billiger verfügbar ist? Der Industrie sagt man dann, Ihr müsst Eure Emissionen bis 2050 auf null senken, und mit welchen technologischen Mitteln die Unternehmen dahin kommen, das überlässt man ihnen selbst.
WELT: Wie gut fördert Hamburg den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft?
Ebeling: Wir haben einen sehr guten, offenen Austausch und eine erfreuliche Zusammenarbeit mit Politik und Wirtschaft, auch mit dem Hafen. Da sind die Interessen alle sehr gleichgerichtet. Die Bedeutung eines Projektes wie unserem geplanten Hamburger Importterminal wird hier klar erkannt. Auch bei einer steigenden Eigenerzeugung von erneuerbaren Energien und von Wasserstoff wird Deutschland weiterhin ein Energie-Importland bleiben. Zwischen 50 und 70 Prozent des erneuerbaren Wasserstoffs wird Deutschland künftig importieren müssen. Hamburg muss dabei eine zentrale Rolle spielen. Das ist der große Seehafen, das große Verteilzentrum für Deutschland und auch weiter Teile Europas. Bei einem Importanteil von 50 Prozent des erwarteten Wasserstoffbedarfs reden wir über eine Million Tonnen Wasserstoff, die eingeführt werden müssen. Das Tanklager für Ammoniak, das wir in Hamburg gerade konzipieren, ist für bis zu einer Million Tonnen Ammoniak-Import im Jahr geeignet. Wir rechnen mit 600.000 Tonnen Jahresumschlag beim Ammoniak, das entspräche etwa 100.000 Tonnen Wasserstoff. Viel Wasserstoff wird natürlich künftig auch durch Pipelines importiert werden müssen. Dafür brauchen wir in ganz Deutschland ein funktionsfähiges Wasserstoff-Kernnetz.
Seit Januar 2021 ist Volker Ebeling, 57, Senior Vice President, New Energy, Supply & Infrastructure bei MB Energy. Das Hamburger Unternehmen mit rund 1830 Mitarbeitenden gehört zur Firmengruppe von Marquard & Bahls der Familie Weisser. MB Energy ist eines der führenden Energiehandelsunternehmen in Deutschland, mit einem Verkaufsvolumen vor allem bei Mineralölprodukten von 12,9 Millionen Tonnen und einem Umsatz von 12,7 Milliarden Euro im vergangenen Jahr. Ebeling arbeitet seit mehr als 30 Jahren in der Energiebranche, unter anderem war er bei BP, Cargill und JP Morgan. Seit 2015 arbeitet er für MB Energy, das bis zu diesem Jahr Mabanaft hieß.
Olaf Preuß ist Wirtschaftsreporter von WELT und WELT AM SONNTAG für Hamburg und Norddeutschland. Die Energiewirtschaft zählt zu seinen Schwerpunktthemen.
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