Die US-Wirtschaftszeitung „Wall Street Journal“ brachte vor wenigen Tagen einen Report mit der Überschrift „Meet the Guy Who Drives a Street-Legal Chinese EV in the U.S. (Triff den Typen, der ein straßenzugelassenes chinesisches Elektroauto in den USA fährt)“. Denn Amerika sperrt die oft sehr preisgünstigen Modelle aus China konsequent aus: Die Fahrzeuge sind normalerweise nicht zugelassen und werden daher nicht verkauft.
Der Chef des französischen Autozulieferers Valeo, Christophe Périllat, fordert, die EU müsse gleichziehen. Er will beim EU-Autogipfel am Freitag vorschlagen, dass ausschließlich in Europa produzierte Autos chinesischer Hersteller erlaubt werden – und keine Importe mehr. Sein Wort hat Gewicht, denn Valeo gehört mit 120.000 Mitarbeitern weltweit, davon 8000 an 22 deutschen Standorten, zu den größten europäischen Herstellern.
WELT: Monsieur Perillat, Sie sind am Freitag beim Treffen der Autoindustrie mit EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen dabei. Was treibt Sie um?
Christophe Périllat: Es gibt zwei Risiken, die viele Jobs bedrohen. Das eine ist die Umstellung vom Verbrenner auf Elektroautos, die weniger Bauteile und damit weniger Arbeitskraft brauchen. Dieser Weg ist aber unausweichlich. Das zweite Risiko ist dagegen vermeidbar: das Verschwinden der europäischen Autoindustrie – und ihrer 13 Millionen Arbeitsplätze – aufgrund einer Wettbewerbslücke, die dazu geführt hat, dass in Europa verkaufte Autos aus importierten Teilen, insbesondere aus China, hergestellt werden.
WELT: Was schlagen Sie vor?
Périllat: Die EU muss gleiche Wettbewerbsbedingungen schaffen, indem sie eine Mindestanforderung für den europäischen Anteil an in Europa verkauften Fahrzeugen einführt. Auf diese Weise verhindern wir, dass die industrielle Basis aus Europa verschwindet. Neue Akteure werden dabei weiterhin in Europa zugelassen, sie sind sogar willkommen. Aber die in Europa verkauften Produkte müssen auch in Europa hergestellt werden.
WELT: Wie soll das gehen?
Périllat: Die halbe Welt macht es uns vor. Es geht nicht darum, neue Spieler auszusperren, sondern hereinzuholen. Die USA verlangen, dass Autos mit mindestens 75 Prozent in den USA gefertigten Teilen gebaut werden. Es geht um tiefe Lokalisierung, nicht nur darum, importierte Teile zusammenzuschrauben. Ähnlich macht es Südamerika. In Indien müssen sogar 80 Prozent der Wertschöpfung im Inland sein. Und in China sind die Autos ohnehin zu 100 Prozent lokalisiert.
WELT: Welche Hürden wollen Sie aufstellen? Noch höhere Strafzölle, als die EU bereits verhängt hat?
Périllat: Wenn die lokale Quote nicht erfüllt wird, gibt es genug Instrumente – Zölle, Vorschriften für Zulassungen, sonstige Auflagen. Ich bin überzeugt, dass das kein Problem sein wird. Die meisten Weltregionen wenden solche Regeln ja bereits an. Die Autoindustrie ist daran gewöhnt, die Produkte zu lokalisieren, um solche Regulierungen zu entsprechen.
WELT: Kritiker warnen, die US-Autoindustrie werde so vor der neuen, technologisch überlegenen Konkurrenz geschützt, könne es sich bequem machen – und falle so auf dem Weltmarkt immer weiter zurück.
Périllat: Ich rede nicht davon, etwas gegen China zu tun – sondern etwas für Europa. Vor fairem Wettbewerb haben wir keine Angst. Wir sollten deshalb chinesische Autohersteller und Zulieferer mit ihrer Technologie in Europa willkommen heißen. Aber nur, wenn sie ihre Technologie in Europa produzieren, statt sie aus China zu importieren.
WELT: Wollen Sie nicht nur Ihr Geschäft sichern?
Périllat: Es geht um Fairness. Auch Valeo kann mit in Europa produzierten Teilen nicht gegen Unternehmen bestehen, die in China produzieren. Deshalb produzieren wir für den chinesischen Markt seit Jahrzehnten vor Ort. Das muss auch umgekehrt gelten.
WELT: Für die europäischen Autofahrer würde das bedeuten, dass sie keine China-Autos kaufen können. Wird sich nicht der Wunsch nach billigen Autos durchsetzen?
Périllat: Das liegt ganz bei den politischen Entscheidungsträgern. Aber wenn es keine Jobs mehr gibt, gibt es auch keine Autokäufer mehr. Natürlich muss auch die europäische Industrie daran arbeiten, bezahlbar zu bleiben. Und europäische Autofahrer werden weiter chinesische Autos kaufen können – aber diese werden in Europa hergestellt sein.
WELT: Können Sie die jungen Marken in China überzeugen, Valeo-Produkte zu nutzen?
Périllat: Ja. Wir schreiben in China 50 Prozent unseres Umsatzes mit lokalen Marken – das ist ein Erfolg, aber es ist noch Luft nach oben
WELT: Kommt von diesen Teilen irgendetwas aus Europa?
Périllat: Nein, alles für China stellen wir in China her. Das gleich gilt für Amerika und Europa. Wir exportieren – anders als die Chinesen – nicht über Kontinente hinaus.
WELT: In Brüssel geht es am Freitag auch um das für 2035 geplante Verbrenner-Aus.
Périllat: Unsere Position ist: Wir müssen 100 Prozent Elektroantriebe bis 2035 erreichen. Aber wir müssen Ausnahmen für solche Plug-in-Hybride und Range Extender machen, die mehr als 100 Kilometer vollelektrisch fahren können und erst auf langen Fahrten auf Benzin umschalten. 90 Prozent der Fahrten werden dann elektrisch stattfinden – das ist eine gute Zielgröße, die ja auch die deutschen Autohersteller fordern.
WELT: In der Realität nutzen viele Menschen die Möglichkeit, ihr Hybrid-Auto zu laden, gar nicht, sondern fahren nur mit Benzin. Ihre Rechnung geht nicht auf.
Périllat: Das stimmt, hat aber eine einfache Ursache: Bei Dienstwagen zahlt heute der Arbeitgeber das Benzin, aber den Strom zu Hause nicht. Wir haben daher Wall Boxes für zu Hause entwickelt, die erkennen, ob der Dienstwagen lädt. Oder – noch einfach: Arbeitgeber sollten höchstens eine Benzin-Tankfüllung pro Monat zahlen. Das bringt die Leute dazu, die Ladefunktion zu nutzen – vor allem, wenn mit dem technischen Fortschritt auch dort die rein elektrische Reichweite steigt.
WELT: Sind Hybridautos und Range Extender überhaupt zukunftsfähig?
Périllat: Ich erwarte, dass sich langfristig reine Batterie-Autos durchsetzen werden, weil sie billiger sind und die Batterien besser werden. Aber lassen wir das doch den Markt entscheiden. Wir müssen Autos anbieten, die die Leute kaufen und fahren wollen.
WELT: Die deutschen Autohersteller verlangen von der EU, die Tankstellen zur stärkeren Beimischung von E-Fuels oder Biokraftstoffen zu verpflichten, um den rechnerischen CO₂-Ausstoß ihrer Flotten zu senken. Stimmen Sie zu?
Périllat: Nein. Wenn Sie aus Strom erst E-Fuels herstellen, um diese dann zu verbrennen, verschwenden Sie Energie. Mit der gleichen Strommenge kommen Sie mit einem reinen Elektroauto fünfmal so weit. Wir können auch mit E-Fuels den reinen Verbrenner nicht mehr retten – allenfalls in kleinen Nischen.
Der Franzose Christophe Périllat ist seit 2020 Chef des französischen Autozulieferers Valeo. Sein Konzern beliefert Autohersteller weltweit etwa mit Antriebssystem, Lichtanlagen und Kühlungen, aber auch mit Lidar-Sensoren für das autonome Fahren. Valeo ist börsennotiert.
Dieses Interview entstand im Wirtschafts-Kompetenzzentrum von WELT und Business Insider.
Christoph Kapalschinski berichtet als Redakteur über die Auto-Industrie.
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