Keine zwei Monate ist es her, dass US-Präsident Donald Trump die Präsidentin der EU-Kommission auf seinem Golfplatz im schottischen Turnberry empfing, um über Zölle zu feilschen – oder besser, die Höhe der Abgaben zu diktieren. Um die drohenden Zölle so gering wie möglich zu halten, sagte Ursula von der Leyen dem US-Präsidenten zu, in den kommenden drei Jahren Energie im Wert von 750 Milliarden Dollar in den USA zu kaufen. Eine im Anschluss viel kritisierte Zusage.
Denn schnell stellten Marktbeobachter klar, dass der Milliardeneinkauf der Europäer womöglich ein leeres Versprechen bleibt. Es steht gar nicht in der Macht der EU-Kommissionspräsidentin, Zusagen über Öl-, Gas- und Urankäufe zu machen: Die Brüsseler Behörde selbst hat dafür kein Budget, ist kein Marktteilnehmer und hat auch keinerlei Einfluss darauf, welche Mengen Energie europäische Unternehmen zu welchem Preis bei welchem Anbieter einkaufen.
Wie wird Trump reagieren, wenn er merkt, dass von der Leyen versprach, was sie nicht halten kann? Womöglich reagiert er gar nicht, weil es ihm in Turnberry nur um die schnelle Schlagzeile ging und nicht um die Sache selbst.
Partnerschaft „auf einer neuen Ebene“
Womöglich aber antwortet er mit weiteren Zoll-Strafen. Eine ungemütliche Ungewissheit: Erfüllt die EU ihr enormes, milliardenschweres Einkaufsversprechen nicht, kann dies von Trump jederzeit als „Vertragsbruch“ gewertet werden, der ihm als Alibi für weitere Sanktionen und Forderungen dient.
Vor diesem Hintergrund erscheint es heikel, dass der deutsche Staatskonzern SEFE nur wenige Wochen nach dem Turnberry-Treffen eine „strategische Partnerschaft“ auf dem Gasmarkt ausgerechnet mit dem US-Rivalen China abschließt. Leere Versprechen für Trump, harte Deals mit Peking? Wie das in Washington ankommt, ist noch ungewiss.
SEFE heißt ausgeschrieben „Securing Energy for Europe GmbH“. Es handelt sich um die ehemalige Gazprom Germania, die frühere Deutschland-Tochter des russischen Energieriesen Gazprom. Das in Berlin ansässige Unternehmen war nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine 2022 zur Sicherstellung der deutschen Energieversorgung zunächst unter Treuhand gestellt – und bald darauf enteignet worden.
SEFE ist seither im Bundesbesitz, ebenso wie der Energiekonzern Uniper, eine Abspaltung des Eon-Konzerns, der unter ähnlichen Umständen verstaatlicht worden war. Im Aufsichtsrat der SEFE vertritt seither eine Referatsleiterin aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BWME) die Interessen des Eigentümers.
Am vergangenen Donnerstag traf sich nun auf der internationalen Energiemesse „Gastech“ in Mailand der Chief Operating Officer (COO) des deutschen Unternehmens, Frédéric Barnaud, mit Wang Yuning, dem stellvertretender Generaldirektor von UNIPEC, einem der weltweit führenden Energie-Handelsunternehmen aus Peking, das zum Reich des Ölmultis China Petrochemical Corporation (SINOPEC) gehört. Beide unterzeichneten eine „globale Handelskooperationsvereinbarung“ mit dem Ziel „die bestehende Zusammenarbeit auf den internationalen LNG-Märkten zu formalisieren und weiter zu vertiefen“.
„Meilenstein in der Partnerschaft“
Den beiden Staatskonzernen gehe es um eine „langfristige strategische Partnerschaft“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung, und zwar weltweit: „Durch die gezielte Nutzung komplementärer Stärken im Atlantik- und Pazifikraum streben beide Unternehmen an, ihre bestehenden und zukünftigen LNG-Portfolios zu optimieren und neue Wachstumschancen zu erschließen.“
„Diese Vereinbarung stellt einen bedeutenden Meilenstein in der Partnerschaft zwischen SEFE und UNIPEC dar“, freute sich der deutsche Manager Barnaud in Mailand: „Indem wir unsere Stärken bündeln, steigern wir die Versorgungssicherheit für unsere Kunden und erschließen neue Synergien.“ Für Yuning ist „die Unterzeichnung dieser Vereinbarung ein bedeutender Schritt, um unsere Partnerschaft auf die nächste Ebene zu heben.“
Wie genau diese strategische Partnerschaft operativ ausgestaltet werden soll, wurde aus der Verlautbarung nicht recht deutlich. Beide Länder, Deutschland und China treten vor allem als Käufer auf dem Weltmarkt für verflüssigtes Erdgas (LNG, Liquefied Natural Gas) auf. Auf der Anbieterseite dominieren diesen Markt die USA und das Emirat Katar. Will man sich etwa über Preise und Mengen abstimmen, also praktisch eine Art Einkaufskartell bilden? Das ginge eindeutig zulasten der USA und stünde womöglich im Konflikt mit den Regeln der Welthandelsorganisation WTO.
Auf Nachfrage von WELT erklärt SEFE, dass alle Handelsaktivitäten im Einklang mit nationalem und internationalem Recht stünden: „Preis- oder Mengenabsprachen sind selbstverständlich nicht Bestandteil der Vereinbarung“, betont ein Sprecher. Die Kooperation bezieht sich also offenbar nicht auf den Einkauf, sondern auf Bereiche, in denen beide Unternehmen als Zwischenhändler von LNG tätig sind.
Zum Beispiel gehe es „um die optimierte Steuerung von LNG-Lieferungen in Zielregionen mit attraktiven Marktbedingungen – gestützt auf die diversifizierten Lieferverträge und jeweiligen Absatzmärkte beider Unternehmen“, erklärt der SEFE-Sprecher: „Die Abstimmung der LNG-Lieferprozesse ermöglicht es beiden Partnern, ihre Marktposition zu stärken und Effizienzgewinne zu erzielen.“
Dass ausgerechnet ein Gas-Abkommen mit China helfen soll, „die Versorgungssicherheit für unsere Kunden“ zu steigern, wie SEFE-Manager Barnaud argumentiert, erscheint zunächst kontraintuitiv. Seit Jahren ist es das Leitmotiv deutscher Energie- und Sicherheitspolitik, sich unabhängiger von China zu machen. Schließlich dominiert das Riesenreich den Weltmarkt für die meisten Energie-Komponenten von Solarzellen bis hin zu Batterie-Rohstoffen, Mineralien und Seltenen Erden.
So bereitet es deutschen Sicherheitsbehörden zum Beispiel derzeit Kopfschmerzen, dass Millionen von Solaranlagen in Deutschland mit chinesischen Wechselrichtern ausgerüstet sind, die über das Internet aus dem Ausland steuerbar sind. Im Konfliktfall könnte auf Geheiß aus Peking eine nicht mehr kompensierbare Solarleistung über das Internet schlicht ausgeknipst – und Deutschland in den Blackout geschickt werden.
Ist also die neue deutsche Partnerschaft im sensitiven Energiesektor nicht etwas viel Kooperation mit dem Waffenbruder Russlands? Die Bundesregierung hat offenbar keine Störgefühle. Das Auswärtige Amt erklärt sich auf Nachfrage für nicht zuständig. Und das Bundeswirtschaftsministerium sieht keine geostrategische oder politische Komponente der deutsch-chinesischen LNG-Partnerschaft.
Die Reaktion erinnert ein wenig an die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die in der geopolitisch wichtigen Pipeline „Nord Stream“ zwischen Russland und Deutschland lange Zeit nur ein kommerzielles Projekt ohne jede politische Dimension sehen wollte. „Vielen Dank für Ihre Anfrage“, antwortete das Bundeswirtschaftsministerium WELT bezüglich der SEFE-UNIPEC-Kooperation: „Hier geht es um das operative Geschäft des Unternehmens, dazu müssten Sie sich bitte an das Unternehmen wenden.“
Vielleicht nimmt die Bundesregierung den Deal erneut zu sehr auf die leichte Schulter. Schließlich hat Chinas Machthaber Xi Jinping gerade mit Russlands Wladimir Putin vereinbart, das Pipeline-Projekt „Power of Siberia 2“ voranzubringen. Russische Gaslieferungen werden damit von Westeuropa in den Fernen Osten umgeleitet. Es kann damit nicht völlig ausgeschlossen werden, dass irgendwann russisches Gas über chinesische LNG-Terminals mit einem anderen Etikett versehen wieder auf dem Weltmarkt landet – und dann womöglich ungewollt auch Gegenstand der jetzt vereinbarten deutsch-chinesischen Handelskooperation wird.
Jedenfalls dürften Chinas Gasimporte via Pipeline in diesem Jahr von 70 Milliarden auf 79 Milliarden Kubikmeter ansteigen, sagt das Beratungshaus Rystad Energy voraus. Damit wird China der weltgrößte Importeur von Pipeline-Gas, vor Deutschland, das seine leitungsgebundene Energie hauptsächlich aus der norwegischen Nordsee bezieht. Offenbar dank russischer Gaslieferungen per Leitung gehen die LNG-Importe Chinas derzeit stark zurück. Das sorgt tendenziell für niedrigere Preise auf dem Weltmarkt, von denen auch Deutschland profitiert.
China hat ein starkes wirtschaftliches und auch geostrategisches Interesse an der Partnerschaft mit dem deutschen Importeur und Händler SEFE. Peking wirkt damit einer zu großen Energieabhängigkeit von Russland entgegen. Die Gaslieferungen über die russisch-chinesische Leitung „Power of Siberia“ können über den Flüssiggas-Handel ausbalanciert werden.
„Ich halte die Chinesen für sehr intelligent“, zitiert auf der Mailänder Gaskonferenz die Agentur „Bloomberg“ den Chevron-Manager Freeman Shaheen: „Sie werden zwar einige Geschäfte mit Russland machen, aber ich denke, dass es weiterhin eine Diversifizierung der Lieferungen nach China geben wird.“ Und das sei auch sinnvoll, so der Manager des amerikanischen Gaskonzerns: „Denn man möchte nicht, dass das, was in Europa passiert ist, auch anderswo passiert.“
Wertsteigerung vor dem SEFE-Verkauf
Mit Hilfe der deutschen SEFE baut China seine Marktpräsenz beim Flüssiggas aus: „Durch die Zusammenarbeit mit SEFE erhält UNIPEC Zugang zu Regasifizierungskapazitäten in europäischen Terminals“, erklärt Xiaoyi Deng, LNG-Expertin bei der Londoner Preisagentur Argus Media auf Nachfrage von WELT: „Dies ist für ein Unternehmen attraktiv, das seine Präsenz auf dem globalen LNG-Markt ausbauen und hinsichtlich der Bestimmung seiner Frachten flexibler werden möchte.“
Wie genau der Deal mit China zur deutschen Versorgungssicherheit beiträgt, bleibt hingegen unklar. Ein effizienterer LNG-Handel der deutschen SEFE würde natürlich wertsteigernd wirken und dem Bundeshaushalt guttun. Die Bundesregierung ist durch europäisches Wettbewerbsrecht verpflichtet, die staatlichen Beteiligungen sowohl an SEFE als auch an Uniper bis Ende 2028 auf unter 25 Prozent zu reduzieren.
Ob dies durch einen Börsengang geschieht oder durch den Verkauf der Anteile an einen strategischen Investor ist noch offen. Derzeit wird spekuliert, dass die Bundesregierung ihre beiden Beteiligungen SEFE und Uniper fusioniert, weil der Verkauf eines großen Unternehmens mehr Geld für den Bundeshaushalt einspielen könnte als der Verkauf zweier Einzelunternehmen.
Unüblich sind Energiegeschäfte zwischen geostrategischen Rivalen grundsätzlich nicht. Im Gegenteil: Auf dem stets hochpolitischen Energiemarkt schien es immer schon eher zweitrangig, wer gerade gegen wen Krieg führt oder konkurriert.
Das liegt an den hohen wechselseitigen Profiten und Abhängigkeiten: Selbst Russland schickte noch Erdgas über das Pipeline-System der Ukraine Richtung Westeuropa – und beglich dafür brav die Transit-Gebühren beim Kriegsgegner in Kiew – als längst die Granaten und Drohnen flogen. Und noch heute beziehen Länder der Europäischen Union Öl, Gas sowie Uran für seine Kernkraftwerke aus Russland – weil man glaubt, sich Sanktionen an dieser Stelle nicht leisten zu können.
Dieser Artikel wurde für das Wirtschaftskompetenzzentrum von WELT und „Business Insider Deutschland“ erstellt.
Daniel Wetzel ist Wirtschaftsredakteur in Berlin. Er berichtet über Energiewirtschaft und Klimapolitik. Er wurde 2007 vom Verein Deutscher Ingenieure (VDI) mit dem Robert-Mayer-Preis ausgezeichnet und vom Energiewirtschaftlichen Institut an der Universität Köln 2009 mit dem Theodor-Wessels-Preis.
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