Die monatelange Hetzkampagne gegen Fed-Chef Jerome Powell zeigt Wirkung: Beim Zinsentscheid der US-Notenbank entsteht der fatale Eindruck, dass der US-Präsident sie politisch geknechtet hat. Selbst wenn es nur so aussieht: Der Schaden ist verheerend.

Amerikas oberster Notenbanker hat Donald Trumps größten Traum erfüllt. Nach einer neunmonatigen öffentlichen Schmutzkampagne gegen ihn hat US-Zentralbankchef Jerome Powell das gemacht, was Trump seit Monaten unmissverständlich fordert: Er hat die Leitzinsen gesenkt.

Normalerweise sollte ein Zinsschritt um gerade mal 25 Basispunkte kein Anlass für eine große Kontroverse sein. Zumal es für die Entscheidung gute Gründe gibt: Die Konjunktur schwächelt. Der US-Jobmarkt ist wacklig, die Zahl der Arbeitslosen ist auf den höchsten Stand seit vier Jahren geklettert. Und Trumps Zollkrieg hängt wie ein Damoklesschwert über der Wirtschaft. Die Daten sprechen für eine Lockerung der Geldpolitik. So gut wie alle Analysten und Investoren haben sie erwartet. Doch das Problem ist, dass es längst nicht mehr um ökonomische Fakten geht. Selbst wenn Powell und die anderen Notenbanker beim Zinsentscheid nur den Daten gefolgt sein sollten, nimmt ihnen das kaum noch jemand ab.

Denn Trump hat vor dem Meeting unmissverständlich klargemacht, was er von Powell will: "Ich erwarte eine kräftige Zinssenkung. Er wird gar nicht anders können als zu senken. Die Lage ist wie gemacht dafür." Der fatale Eindruck setzt sich fest, dass die US-Notenbank nicht mehr unabhängig ist, sondern die Geldpolitik der größten Wirtschaft der Welt politisch aus dem Weißen Haus gelenkt wird. Auch wenn es anders sein sollte: Die Glaubwürdigkeit der Notenbank kann man damit beerdigen. Der Schaden ist verheerend – für die Fed, für die US-Wirtschaft und für den Dollar.

Hetzkampagne gegen den "totalen Loser" Powell

Was hat Trump Fed-Chef Powell nicht alles an den Kopf geworfen: Routinemäßig nannte er ihn "Herr zu spät" und einen "totalen Loser", befahl ihm ultimativ, "die Zinsen endlich zu senken, und zwar JETZT". Er rief die Zentralbank zum Putsch gegen ihren Chef auf: Der Gouverneursrat solle "die Kontrolle von Powell übernehmen". "Ich verstehe viel mehr von Zinsen als Powell", prahlte Trump, und suchte Wege, ihn und die Fed zu entmachten. Es darf wohl als Treppenwitz der Geschichte gelten, dass Trump selbst mit der Unsicherheit, die sein Zollhickhack ausgelöst hat, der wichtigste Grund dafür war, dass Powell die Zinsen nicht so schnell senkte, wie Trump es sich wünschte.

Doch Powell einfach zu entlassen, traute sich Trump nicht. Dafür feuerte er Fed-Gouverneurin Lisa Cook wegen angeblichen Hypothekenbetrugs. Ein Gericht hat den Rauswurf vorübergehend gestoppt, nur deshalb durfte Cook überhaupt an der gestrigen Zinssitzung teilnehmen. Zudem hat Trump im Gouverneursrat seine Lakaien platziert, um seine Macht über die Zinspolitik auszubauen, etwa seinen obersten Wirtschaftsberater Stephen Miran, der ihre Entscheidungen dem "Willen des Präsidenten" unterstellen will. Trump lässt sie sich bereits als potenzielle Nachfolger warmlaufen, um Powell zu schwächen: "Das sind keine normalen Zeiten. Trump veranstaltet gewissermaßen einen Schönheitswettbewerb um den Posten des Fed-Chefs", sagt der Harvard-Ökonom Ken Rogoff dem "Wall Street Journal".

All das dient einem Ziel: Trump will die Zentralbank unterwerfen, damit sie künftig Jobs und Wachstum auf Befehl liefert. Als letzte Bastion der wirtschaftlichen Vernunft in Trumps Politik des Chaos steht sie seinem autoritären Umbau der USA im Weg.

Unterwirft Trump die Fed wie im Zweiten Weltkrieg?

Dieses Vorspiel zum eigentlich banalen Zinsentscheid kann nicht ausgeblendet werden. US-Investoren sprechen bereits von einer "vergifteten Zinssenkung". Denn der Anschein, dass Trump die Fed mit politischem Druck gezwungen hat, zu parieren, lässt sich nicht von der Hand weisen und untergräbt ihre Unabhängigkeit. Das könnte den von Trump herbeigesehnten Effekt niedriger Zinsen, die das Wachstum ankurbeln sollen, zunichte machen. Der globale Chefstratege von JP Morgan warnt bereits, dass die Zinssenkung die Crashgefahr für die Märkte vergrößert, wenn sie als politische Einflussnahme wahrgenommen wird. "Falls die Entscheidung der Fed als Einknicken vor politischem Druck wahrgenommen wird, bedeutet das eine zusätzliche Risikobelastung für die US-Börsen und den Dollar."

Sogar Bundesbank-Vorstand Joachim Nagel warnt inzwischen vor den gravierenden Folgen, "sollte die Unabhängigkeit der Fed dauerhaft politisch untergraben werden". "Dies würde die wirtschaftliche und finanzielle Stabilität sowie den Wohlstand der USA gefährden." Denn sie ist einer der Grundpfeiler, auf dem die Rolle des Dollars als globale Leitwährung ruht. Die ganze Welt trägt ihre Ersparnisse in die USA, weil sie dort mit soliden Renditen auf Aktien und Staatsanleihen rechnen kann, die nicht durch politische Bauchentscheidungen im Oval Office bestimmt werden. Sondern von unabhängigen Wirtschaftsexperten an der Spitze der Fed.

Doch das gilt womöglich schon bald nicht mehr. In einer Bloomberg-Umfrage sind 95 Prozent der befragten Ökonomen über die Unabhängigkeit der US-Notenbank besorgt, ein gutes Drittel von ihnen sogar "extrem besorgt". Kein Wunder: Kevin Warsh, einer von Trumps Favoriten für den Posten als Powells Nachfolger, denkt laut darüber nach, die formale Trennung zwischen der Ausgabe von Staatsanleihen und den geldpolitischen Anleihenkäufen der Fed aufzuheben, die 1951 die Kriegsfinanzierung der US-Staatsschulden mit der Notenpresse beendete.

Die Zinsentscheidungen der Fed würden damit offiziell Trumps Haushaltspolitik unterstellt werden - wie im Zweiten Weltkrieg, als niedrige Zinsen den Sieg der USA gegen den Hitler-Faschismus garantieren sollten. Es wäre in gewisser Hinsicht nur folgerichtig. Inzwischen hat laut einer Umfrage von Gallup ohnehin eine Mehrheit der Amerikaner größeres Vertrauen, dass Trump das Richtige für die Wirtschaft tun wird, als Fed-Chef Jerome Powell.

Die Notenbanker haben noch mindestens zwei weitere Zinssenkungen in diesem Jahr angekündigt. Selbst wenn sie dafür die richtigen wirtschaftlichen Gründe anführen: Mit jedem weiteren Post, den Trump absetzt, wird sich der Eindruck ihrer Unterwerfung verstärken. Der Schaden, den er angerichtet hat, ist wahrscheinlich nicht mehr gut zu machen.

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