Pol Antràs sitzt in einer Cafeteria an der Universität zu Köln. Gerade hat der gebürtige Spanier einen Vortrag auf der Jahrestagung des Vereins für Socialpolitik gehalten, der wichtigsten Ökonomen-Vereinigung in Deutschland. Der Blick aus dem Fenster geht auf eine Baustelle und Containerbauten, in denen Teile der Universität untergebracht sind. Antràs lehrt und forscht seit mehr als 20 Jahren an der Harvard University in den USA. Die Uni fechtet gerade einen Konflikt mit der Regierung von US-Präsident Donald Trump aus, die ihr Forschungsgelder in Höhe von mehr als zwei Milliarden Dollar streichen will.
WELT: Herr Antràs, fühlen Sie sich als in Europa geborener Wissenschaftler in den USA und an der Harvard University noch wohl?
Pol Antràs: Es ist ein gemischtes Gefühl. Ich bin erst im April US-Staatsbürger geworden – ausgerechnet zu einer Zeit, in der meine persönliche Zuneigung zu den Vereinigten Staaten nicht gerade auf ihrem Höhepunkt war. Mein Arbeitgeber steht unter starkem Beschuss durch die Trump-Administration. Ich finde, Harvard hat bislang bewundernswert reagiert. Ich bin stolz, ein Teil davon zu sein, mehr noch als früher.
WELT: Spüren Sie selbst die Folgen der Attacken von Donald Trump auf die Universität?
Antràs: Meine Arbeit ist dadurch nicht direkt beeinträchtigt. Die Universität hat zwar finanzielle Zwänge, hat aber die Gehälter nicht gekürzt. Meine Hauptsorge gilt den Studierenden. Die meisten meiner Studierenden sind im Ausland geboren, viele sind Chinesen. Einige sind diesen Sommer nicht nach Hause gefahren, aus Angst, nicht wieder in die USA einreisen zu können. Die Unsicherheit ist sehr groß.
WELT: Könnte diese Entwicklung dazu führen, dass Wissenschaftler in Richtung Europa abwandern?
Antràs: Das ist eine Chance für Europa. Viele brillante junge Köpfe werden zögern, in die USA zu kommen. Wer sie anziehen kann, ist künftig gut positioniert. Europa würde schon profitieren, wenn es seine eigenen Talente halten kann, statt sie ins Silicon Valley zu verlieren. Es ist ein angenehmer Ort zum Leben. Aber Europa hat auch Nachteile, vor allem weniger verfügbares Kapital und mehr Regulierung als die USA. Erlauben es die Regeln der EU, dass hier das nächste Google entsteht? Ich habe meine Zweifel. Auch für die Biotech-Branche ist das Umfeld schwierig, trotz Europas Stärke in der Pharmaindustrie. Und bei der Migration geht es nicht nur darum, eigene Leute in Deutschland zu halten. Ein Land, das ein Innovationszentrum sein will, muss Chinesen, Iraner, Russen – alle – willkommen heißen. Politisch ist das derzeit schwierig.
WELT: Das ist auch in den USA schwierig. Trump setzt zunehmend auf Abschottung – bei der Migration und bei den Zöllen. Welche Folgen hat das für die Weltwirtschaft?
Antràs: In Trumps erster Amtszeit dachten viele, die Zölle seien nur Verhandlungstaktik. Inzwischen ist klar, dass er dem Protektionismus verpflichtet ist. Er glaubt, die USA könnten 15 Prozent Zoll durchsetzen, ohne dass die anderen Handelspartner etwas dagegensetzen. Damit hat er bisher weitgehend recht behalten – ein Gewinn für die USA. Andererseits wird er sein Ziel, die Produktion in die USA zurückzuholen, damit wohl nicht erreichen. Die 15 Prozent werden nicht reichen, um die Kostenvorteile anderer Länder bei Halbleitern, Batterien oder E-Autos auszugleichen. Sie treffen eher Sektoren wie den europäischen Wein – da steigen Preise einfach. Selbst wenn Fabriken in die USA zurückkommen, sind sie hochautomatisiert; die Jobs kommen damit nicht zurück.
WELT: Wie sollte Europa auf Trumps Zölle reagieren?
Antràs: Schon im Dezember habe ich argumentiert, Europa solle nicht mit Vergeltungszöllen antworten. Das Ausbleiben der Vergeltung hatte dann nichts mit der Verteidigung des Freihandels zu tun, sondern mit der Ukraine. Das ärgerte die Leute, mich auch. In der Situation liegt aber eine Chance für Europa: Auch wenn die USA protektionistisch werden und den Handel erschweren, bleibt die Nachfrage nach globalen Wertschöpfungsketten bestehen. Europa sollte sich als verlässliche Alternative präsentieren, mit der Einladung an Unternehmen, Teile ihrer Wertschöpfung hier anzusiedeln. Dem Risiko, dass China die Märkte beispielsweise mit E‑Autos flutet, weil der US‑Markt blockiert ist, kann man mit anderen Maßnahmen als Zöllen begegnen. Dialog kann mehr erreichen als Drohungen.
WELT: Europa sollte also die WTO-Regeln weiter hochhalten?
Antràs: Ja, trotz der politischen Schwierigkeiten. Europa hat nicht die geopolitische Schlagkraft, um allein die Einhaltung zu erzwingen. Aber Kurs zu halten, könnte die Kosten dieser politischen Phase minimieren, durch die wir gerade gehen. Am Ende würde Europa als glaubwürdiger Hüter der regelbasierten Ordnung dastehen.
WELT: Sie betonen die Bedeutung von großen multinationalen Konzernen für die Wirtschaft in den USA. Mehr als die Hälfte der Industriejobs hängt beispielsweise von ihnen ab. Verändert Trumps Politik diese Struktur?
Antràs: Kurz gesagt: nein. Diese Regierung zielt nicht darauf ab, kleine und mittlere Unternehmen gegenüber großen zu stärken. Man könnte sagen, Protektionismus schade den großen Firmen, die globale Wertschöpfungsketten aufgebaut haben. In der Realität sind große Unternehmen aber besser darin, Ausnahmen und Schlupflöcher zu nutzen – genau wie bei der internationalen Besteuerung. Sie haben die Mittel, sich durch politische Einflussnahme zu schützen. Kleine und mittlere Unternehmen sind die Verlierer dieser Politik.
Staatsbeteiligung an Intel
WELT: Trump hat nun sogar eine Staatsbeteiligung an Intel gekauft. Fällt Ihnen dafür eine sinnvolle Begründung ein?
Antràs: Ich halte das für eine gefährliche Idee. Wenn der Staat sich in Unternehmen einkauft, um an Gewinnen beteiligt zu sein, stellt sich sofort die Frage: Warum nur zehn Prozent? Warum nicht gleich die Mehrheit? Staatseigentum rechtfertigt man üblicherweise mit öffentlichen Gütern oder fehlenden Märkten, aber nicht damit, an Unternehmensgewinnen teilzuhaben. Damit begeben wir uns auf eine schiefe Ebene – hin zu einem staatlich gelenkten Kapitalismus, der weder effizient noch demokratisch ist.
WELT: Europa ist den USA in den vergangenen Jahren bei der Industriepolitik gefolgt, nach dem Inflation Reduction Act von Joe Biden. Wird es auch nun auch bei Verstaatlichungen mitziehen?
Antràs: Nein, das glaube ich nicht. Es gibt in Europa durchaus ein Interesse an aktiver Industriepolitik – und in einigen Bereichen ist das auch sinnvoll. Aber sie muss maßvoll und strategisch erfolgen, nicht ideologisch oder kopflos. Europa hat andere Voraussetzungen als die USA, einige Sektoren brauchen hier tatsächlich Unterstützung. Dafür hat Mario Draghi im vergangenen Jahr die Vorlage geliefert.
WELT: Es geht in dem Bericht des früheren EZB-Präsidenten vor allem um den Rückstand Europas im IT-Bereich und bei der Produktivität. Kann Europa wieder aufschließen zu den USA?
Antràs: Einen Versuch ist es wert, der Erfolg ist aber nicht garantiert. Das Silicon Valley ist nicht entstanden, weil es in Kalifornien so sonnig ist. Es entstand durch eine Kombination von vielen Einflussfaktoren. Mit dem richtigen Anschub – sagen wir beispielsweise, Köln zu einem Innovationshub machen – können sich selbstverstärkende Kräfte entfalten. Es reicht nicht, nur Geld in Forschung zu stecken. Man muss die Rahmenbedingungen schaffen, damit Ideen wachsen können. Dafür braucht es auch eine offensive, talentfreundliche Einwanderungspolitik.
WELT: Braucht das bisher sehr exportabhängige Deutschland ein neues Wirtschaftsmodell?
Antràs: Nein. Das Modell, auf Exporte, Offenheit und Regeln zu setzen, ist im Grundsatz richtig. Im Rückblick waren die USA und Europa sicher naiv hinsichtlich der Geschwindigkeit und des Ausmaßes von Chinas Aufstieg – und der politischen Wende unter Xi Jinping. Das war ein Irrtum. Aber daraus kann man lernen. Man kann innovationsfördernde Politik stärken, ohne das eigene Modell über Bord zu werfen.
Dieser Artikel wurde für das Wirtschaftskompetenzzentrum von WELT und Business Insider erstellt.
Daniel Zwick ist Wirtschaftsredakteur in Berlin und berichtet für WELT über Wirtschafts- und Energiepolitik, Digitalisierung und Staatsmodernisierung.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.