Die Strahlkraft der reinen Lehre nimmt ab: Offene Märkte, die mehr Wohlstand für alle daran beteiligten Menschen schaffen können, gelten autoritären Herrschern als Bedrohung. China zeigt seit Jahrzehnten, was das bedeutet, es dringt immer weiter in den Weltmarkt vor und schottet den eigenen Markt strategisch ab. Noch komplizierter wird das ökonomische Bild inzwischen, weil seit dem Beginn seiner zweiten Amtszeit in diesem Jahr auch US-Präsident Donald Trump mit mannigfaltigen Zöllen den internationalen Handel erschwert und den Wettbewerb verzerrt.

Das Kiel Institut für Weltwirtschaft reagiert auf die zahlreichen Verwerfungen im Welthandel, auf die staatlichen Interventionen in den freien Austausch von Waren und Dienstleistungen, auf die Auswirkungen eines neuen imperialen Denkens und Handelns in Staaten wie Russland, China und den USA. Das älteste und renommierteste der deutschen Wirtschafts-Forschungsinstitute baut ein neues Forschungszentrum für Geoökonomie auf. Ein entsprechender Antrag des Kiel Instituts sei von der gemeinsamen Wissenschaftskonferenz von Bund und Ländern bewilligt worden, teilte das Kiel Institut am Freitag mit. Einher gehe damit die Erhöhung des Budgets um jährlich eine Million Euro und mehr wissenschaftliches Personal, darunter mehrere Professuren.

„Das neue Forschungszentrum Geoökonomie wird sich den wirtschaftlichen Herausforderungen einer sich wandelnden Weltordnung widmen. Ziel ist es, die zunehmende Verflechtung von Wirtschaft und Geopolitik wissenschaftlich zu erforschen und fundierte Politikberatung zur wirtschaftlichen Sicherheit Deutschlands und Europas bereitzustellen“, heißt es in der Stellungnahme des Instituts. Damit reagiere das Kiel Institut „auf eine der aktuellsten und drängendsten Herausforderungen unserer Zeit: die Sicherung wirtschaftlicher Stabilität und strategischer Handlungsfähigkeit in einer zunehmend fragmentierten Weltwirtschaft“.

Moritz Schularick, Präsident des Kiel Instituts, sagt: „Die Bewilligung für die dauerhafte Ausweitung unserer Forschung ist ein großartiger Erfolg. Schon seit dem Jahr 2022 hat es mit der ,Kiel Geoeconomics Initiative‘ frühzeitig begonnen, ein starkes internationales Forschungsnetzwerk aufzubauen und Pionierarbeit in der geoökonomischen Analyse geleistet – etwa mit dem vielbeachteten Ukraine Support Tracker oder Studien zu den ökonomischen Folgen einer Entkopplung von China. Diese Arbeiten haben das Kiel Institut national, aber auch international als Vorreiter in einem Feld etabliert, das weltweit rasant an Bedeutung gewinnt.“

Seit dem Beginn des Ukrainekrieges hat das Kiel Institut in zahlreichen Analysen zur Verteidigungsökonomie unter anderem dazu beigetragen, die Informationsbasis für eine effektivere Rüstungswirtschaft in Deutschland und in Europa zu verbreitern und das Verhältnis zwischen wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und Verteidigungsausgaben präziser zu beschreiben. Auch erklärten die Kieler Ökonomen um Schularick immer wieder nicht nur die militärische, sondern auch die ökonomische Notwendigkeit, der Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen Russlands Überfall beizustehen.

Gemeinsam mit drei anderen deutschen Topökonomen formulierte Schularick im Frühjahr das Konzept zweier Sondervermögen für die Modernisierung der Infrastruktur in Deutschland und für eine nachhaltige Aufrüstung. Die Koalition von Union und SPD zog dieses Papier als eine wesentliche Grundlage für ihre Finanzpolitik heran. In die Infrastruktur sollen in den kommenden zwölf Jahren 500 Milliarden Euro fließen, die der Bund im Rahmen des Sondervermögens als neue Schulden aufnimmt. Für die steigenden Verteidigungsausgaben hebt der Bund seine Schuldenbremse auf.

Bereits früh setzte sich Schularick für eine Anhebung der deutschen Verteidigungsausgaben deutlich über die früher geltende Marke von zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes hinaus ein. Mittlerweile strebt die Bundesregierung – im Kontext der Nato und auf Druck vor allem auch der USA – Verteidigungsausgaben in Höhe von 3,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes an, die durch die Ausgaben in die verteidigungsrelevante Infrastruktur noch erhöht werden.

Olaf Preuß ist Wirtschaftsreporter von WELT und WELT AM SONNTAG für Hamburg und Norddeutschland. Er berichtet unter anderem auch über die Rüstungswirtschaft und über den internationalen Handel.

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