Die ThyssenKrupp-Tochter TKMS steht unmittelbar vor ihrem Börsendebüt. Mit U-Booten und Kriegsschiffen will sie zum maritimen Pendant von Deutschlands größtem Rüstungskonzern Rheinmetall werden. Der Moment ist günstig - aber es gibt einen wesentlichen Unterschied.
Wenn am Montag die Glocke an der Frankfurter Börse ertönt, beginnt für ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS) eine neue Ära - und womöglich sogar für den gesamten deutschen Rüstungssektor. Durch die Abspaltung und Börsennotierung seiner Marinesparte öffnet ThyssenKrupp sein traditionsreiches Geschäft für den Kapitalmarkt. TKMS ist das Kronjuwel des Industriekonzerns. "Mit der Börsennotierung schlagen wir ein neues Kapitel auf", sagte Konzernchef Miguel López Anfang der Woche.
Bei dem Börsengang handelt es sich um ein sogenanntes Spin-off. TKMS erhält also nicht unmittelbar Geld daraus. Als eigenständiges Unternehmen kann es aber künftig den Kapitalmarkt nutzen, um Forschung und Entwicklung sowie Investitionen zu finanzieren. Der Mutterkonzern behält eine Mehrheit von 51 Prozent. Dieser Anteil reicht aus, um die Kontrolle zu behalten und gleichzeitig Wert in einem Markt zu schaffen, der durch geopolitische Spannungen und steigende Verteidigungsausgaben an Bedeutung gewinnt.
49 Prozent der 63,5 Millionen TKMS-Aktien werden beim Börsengang automatisch an die bisherigen ThyssenKrupp-Aktionäre verteilt. Danach sind die Papiere frei handelbar - ein Börsengang ganz ohne Werbeaktionen und Buhlen um neue Aktionäre. Wer am Freitag 20 Thyssenkrupp-Papiere besaß, bekommt eine TKMS-Aktie dazu. Die Zeitenwende der Bundesregierung hat damit auch die deutsche Industrie erreicht. Rüstung, lange ein Rand- oder gar Schmuddelthema in der Öffentlichkeit und in Konzernstrategien, wird angesichts der geopolitischen Lage und höherer Verteidigungsausgaben zum Wachstumstreiber.
Deutschlands verborgenes Schwergewicht
López hofft, dass die Gesamtbewertung von ThyssenKrupp und TKMS an der Börse höher sein wird als die bisherige Bewertung von ThyssenKrupp allein. Davon würden die Anleger profitieren. Und der Konzern, weil er die Aktien je nach Bedarf als Währung bei Übernahmen nutzen kann. Fachleute gehen davon aus, dass es unter Europas Marinewerften zu Zusammenschlüssen kommen wird.
Hinter dem Kürzel TKMS steht Deutschlands größter Marineschiffbauer - ein Unternehmen mit 9100 Beschäftigten und jahrzehntelanger Tradition. In Kiel, Wismar und an internationalen Standorten entstehen hochkomplexe U-Boote, Fregatten und Korvetten, dazu Systeme für maritime Sicherheit und Spezialschiffe wie Minenräumer oder Forschungseinheiten.
TKMS versteht sich als Systemhaus der Meere: Vom Entwurf über den Bau bis zur Wartung begleitet es den gesamten Lebenszyklus militärischer Schiffe. Das Unternehmen ist weltweit führend beim Bau konventioneller U-Boote, die mit Brennstoffzellen-Antrieb wochenlang unter Wasser operieren können, ohne auftauchen zu müssen - eine Technologie, die TKMS international einen Spitzenplatz verschafft. Die Kieler Werft liefert ihre Schiffe nicht nur an die Bundesmarine, sondern auch an Staaten wie Norwegen, Singapur oder Ägypten.
Pralle Auftragsbücher
Finanziell präsentiert sich TKMS solide, aber mit großem Potenzial. In den ersten neun Monaten 2024/25 erwirtschaftete die Marine-Sparte einen Nettogewinn von 75,2 Millionen Euro nach gut 62 Millionen im Vorjahr. Entscheidend ist jedoch das mit Ordern im Umfang von 18,6 Milliarden Euro prall gefüllte Auftragsbuch. Allein im ersten Halbjahr des laufenden Geschäftsjahres stieg der Auftragseingang auf 5,6 Milliarden Euro, nach 669 Millionen im Vorjahreszeitraum. Das bedeutet genug Arbeit bis weit in die 2040er Jahre hinein.
Der Zeitpunkt für den Börsengang könnte günstiger kaum sein. Von der Aufrüstung im Rahmen nach dem russischen Angriff auf die Ukraine profitiert vor allem der Marinesektor: Deutschland modernisiert seine Flotte, die Bundeswehr hat Neubauten im Gesamtvolumen von über zehn Milliarden Euro beauftragt. Vier neue U-Boote der Klasse 212CD wurden bereits bestellt.
Staatliche Kontrolle mit "goldener Aktie"
Eine staatliche Kapitalbeteiligung, wie sie beim Rüstungselektroniker Hensoldt besteht, ist derzeit nicht vorgesehen. Während der Bund bei Hensoldt 25,1 Prozent der Aktien hält, begnügt er sich bei TKMS mit Kontrollrechten über die sogenannte goldene Aktie - ein Kompromiss zwischen Kapitalmarktfreiheit und strategischer Kontrolle.
Die goldene Aktie sichert dem Bund weitreichende Mitspracherechte. Ab einem Verkauf von 25 Prozent der Anteile kann die Bundesregierung ein Veto einlegen, ab fünf Prozent besitzt sie ein Vorkaufsrecht. Zudem erhält sie einen Sitz im Aufsichtsrat, der dafür sorgt, dass zentrale Entscheidungen in Kiel und Essen nicht ohne staatliche Rückendeckung getroffen werden.
Vergleich mit Rheinmetall und Hensoldt
TKMS weckt Erinnerungen an Rheinmetall, spezialisiert auf Panzer, Munition und militärische Fahrzeuge, der sich seit Beginn des Ukrainekriegs zum Börsenliebling entwickelt hat. Der Aktienkurs ist seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine um fast 1700 Prozent gestiegen und seit März 2023 im Dax vertreten. Hensoldt, einst aus dem Rüstungsgeschäft von Airbus hervorgegangen, konzentriert sich auf Sensorik, Radarsysteme und elektronische Aufklärung und wurde dank staatlicher Beteiligung ebenfalls zu einem der erfolgreichsten Verteidigungswerte am Markt. TKMS könnte zum maritimen Pendant dieser beiden werden.
Doch der Weg dorthin ist noch lang. Denn anders als Panzer oder Sensoren lassen sich U-Boote nicht in Serie fertigen. Jedes Schiff ist ein Einzelprojekt, oft eingebettet in internationale Verträge, deren politische Genehmigungen Jahre dauern. Analysten mahnen deshalb Geduld an. "TKMS ist kein Schnellboot, sondern ein Ozeanriese", heißt es in einem Kommentar von Bloomberg Intelligence.
Ein Marine-Champion für Europa?
Der Börsengang soll TKMS mehr Eigenständigkeit und einen direkten Zugang zum Kapitalmarkt verschaffen - und zugleich den hoch verschuldeten Mutterkonzern ThyssenKrupp von dem kostspieligen Geschäft finanziell entlasten. Für die Bundesregierung bietet er wiederum die Chance, den fragmentierten Marinesektor neu zu ordnen. Schon seit längerem wird über eine Konsolidierung deutscher Werften gesprochen sowie möglicherweise auch über eine europäische Kooperation nach dem Vorbild von Airbus.
Ob aus TKMS tatsächlich ein Marine-Champion entsteht, wird sich jedoch nicht am Montag in Frankfurt entscheiden - sondern in den kommenden Jahren, auf den Werften in Kiel und Wismar, zwischen Politik, Industrie und Markt.
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