Solarpaneele sind die Königsdisziplin. Mit Paketen so groß, dass der Bote dahinter verschwindet, ist es kaum möglich, die sperrige Fracht vom Paketwagen bis zur Haustür zu bekommen. Das berichten Vertreter von Verdi auf einem Pressetermin am Dienstag. Generell werden die Waren immer größer und schwerer: Onlinehändler verschicken Möbel, Säcke mit Hundefutter oder Autoreifen per Paketdienst zum Kunden. Zwischen 150 und 200 Paketen fährt ein Paketbote am Tag in den Städten aus. Wenn darunter viele derartige Versandstücke sind, gerät der Arbeitstag zur Tortur – und der Fahrer kann die Paketmenge oftmals trotz Überstunden nicht mehr bewältigen.
Die Arbeitsbedingungen vieler Paketfahrer sind seit Jahren ein Problemthema. Oft werden Fahrer aus osteuropäischen Ländern von in Deutschland ansässigen Subunternehmern angeworben und verteilen dann hierzulande in 12-Stunden-Tagen Paketsendungen im Akkordtempo. Eigentlich sollte das neue Postgesetz durch Meldepflichten und Zulassungsbestimmungen daran etwas ändern. Doch offensichtlich ist das bisher nicht gelungen. Denn nach einer empirisch angelegten 80-seitigen Studie im Auftrag der Gewerkschaft Verdi hat sich der Arbeitsalltag der Paketboten weiter verschlechtert.
Viele Paketboten fallen durch Krankheit aus
Die Studie „Beschäftigtenbefragung Paketdienste 2025“ wurde von dem gemeinnützigen Forschungs- und Beratungsunternehmen Input Consulting zusammen mit Verdi erarbeitet. Teilgenommen haben rund 2900 Beschäftigte, zwei Drittel davon waren Mitarbeiter der Deutschen Post. Darin gaben 89 Prozent der Befragten an, in den vergangenen zwölf Monaten mehr Arbeit in der gleichen Zeit schaffen zu müssen. Sie fühlten sich dabei gehetzt und mussten an die Grenze der Leistungsfähigkeit gehen. Jeder siebte Paketbote arbeitet laut der Umfrage über die gesetzlich erlaubten 48 Stunden in der Woche hinaus und berichtet von wöchentlich rund zehn Überstunden. Rund die Hälfte der Befragten gab an, keine Vergütung für die Mehrarbeit zu bekommen.
Ein Teil der Studie basiert auf dem vom Deutschen Gewerkschaftsbund ausgearbeiteten sogenannten Index-Gute-Arbeit. Diese Skala reicht von null bis 100 Punkte und bewertet die Zufriedenheit mit der Arbeit. Dabei ergab die Befragung zu den Kriterien Belastung, Ressourcen, Einkommen und Sicherheit der Jobs einen Indexwert von 40 Punkten, Verdi bewertet dies als „schlecht“. In der Gesamtwirtschaft erreicht dieser Wert hingegen 65 Punkte. Beim Verdienst der Paketboten kam in der Studie ein Wert von 34 Punkten heraus. Üblich bei Paketdiensten, die mit Subunternehmern arbeiten, ist eine Bezahlung nach dem Mindestlohn.
Eine Folge der Belastung sind Ausfälle wegen Krankheit. „Muskel- und Skeletterkrankungen sind bei uns die häufigsten Fälle. Die Krankenquote liegt bei zehn Prozent und höher“, sagt Ralf Cremerius, Betriebsratsvorsitzender Hermes Germany für die Region Köln, bei der Veranstaltung von Verdi. Immer öfter müssten Kollegen ihre Touren wegen Überlastung abbrechen.
Höherer Verdienst bei einem Job mit Tarifvertrag
Laut der Gewerkschaft sind bei Subunternehmen Verstöße gegen Höchstarbeitszeitgrenzen, die Nichtvergütung von Mehrarbeit sowie zu spät ausgezahlter Lohn weit verbreitet. „Es ist höchste Zeit für ein gesetzliches Verbot von Subunternehmen in der Paketbranche, um prekäre Arbeitsbedingungen, Ausbeutung und illegale Beschäftigung wirksam zu bekämpfen“, sagt Verdi-Vizechefin Andrea Kocsis. So wie es in der Fleisch verarbeitenden Industrie in Deutschland in den Jahren der Corona-Pandemie gelungen sei, solle das Ende der Fremdfirmen jetzt auch in der Paketzustellung umgesetzt werden. Die Bundesregierung solle dafür sorgen, dass ausschließlich bei den Paketdiensten angestellte Fahrer die Paketsendungen ausfahren. Zudem sieht die Gewerkschafterin für die Tagesarbeit der Zusteller eine 20-Kilogramm-Grenze als überfällig an, ab der Pakete nicht mehr von einem Zusteller allein befördert werden dürfen.
Tatsächlich ist die Branche der Paketzustellung zweigeteilt: Auf der einen Seite steht die Deutsche Post mit dem Paketdienst DHL, die mit eigenen Angestellten Briefe und Pakete zustellt. Für diese Mitarbeiter gelten Tarifverträge mit festgeschriebenen Arbeitszeiten und Vergütungen. Die Gewerkschaften Verdi sowie DPVKOM verfügen in dem Konzern über eine hohe Zahl an Mitgliedern. Im Durchschnitt liegt die Bezahlung um etwa 500 Euro im Monat höher als in einem Paketdienst, der Sendungen von Fahrern aus Fremdfirmen zustellen lässt.
Auf der anderen Seite finden sich Amazon, Hermes, DPD, GLS und UPS, also große Paketdienste, die nahezu ausschließlich mit Subunternehmen zusammenarbeiten. Amazon ist durch den Aufbau einer eigenen Paketzustellung in Deutschland zum zweitgrößten Branchenunternehmen aufgestiegen. Tarifverträge und Betriebsräte sind in diesen Paketdiensten eine Ausnahme und nicht die Regel. Bei Kontrollen der Arbeitsbedingungen vor Ort deckt der dafür zuständige Zoll immer einmal wieder spektakuläre Verstöße gegen Arbeitsgesetze auf.
Die Unternehmen selbst reagieren nur spärlich auf die Ergebnisse der Studie. „Als größter Paketdienstleister in Deutschland setzen wir seit jeher auf tarifierte sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze“, sagt ein Sprecher der Deutschen Post zu WELT. Mit immer mehr Paketen und immer weniger Briefen bleibe der Beruf bei der Post jedoch eine körperlich fordernde Tätigkeit. Deshalb unterstütze der Konzern eine verbindliche 20-Kilogramm-Gewichtsgrenze für Pakete.
„Ein Verbot von Subunternehmern im KEP-Bereich und eine Abschaffung von Werkverträgen stellt aus unserer Sicht keine Lösung dar“, sagt ein Sprecher von Hermes. KEP steht für Kurier-, Express- und Paketdienste. Werkverträge seien in der sozialen Marktwirtschaft ein bewährtes Instrument. „Vorschläge, die zu einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Paketzustellern führen, begrüßen wir ausdrücklich“, so der Sprecher weiter.
Die Situation könnte sich noch verschärfen. Die Plattformen Temu und Shein aus China hegen in Deutschland große Ausbaupläne. Dazu gehört auch die Idee einer eigenen Paketzustellung. Mit großer Wahrscheinlichkeit sitzen dann Fahrer von Subunternehmern in den Paketwagen.
Dieser Artikel wurde für das Wirtschaftskompetenzzentrum von WELT und Business Insider erstellt.
Birger Nicolai ist Wirtschaftskorrespondent in Hamburg. Er berichtet unter anderem über Schifffahrt, Logistik und Mittelstandsunternehmen. Die Arbeit der Paketboten kennt er aus Ortsterminen und gemeinsamen Touren.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.