Für Analysten, Investoren und Journalisten bringt der aktuelle Wettbewerbsprozess der US-Regierung gegen Google eine Schatztruhe an Aussagen über Unternehmensinterna, die die großen Netzkonzerne lieber geheim halten würden.
Jüngstes Juwel ist eine Aussage des Apple-Managers Eddy Cue, der am Mittwoch als Zeuge zu den Vereinbarungen zwischen Google und Apple aussagen musste: Demnach verliert Google erstmals seit Beginn der Zusammenarbeit zwischen Google und Apple Nutzer.
Damit sind auch die Werbeumsätze rückläufig – eine Aussage, die den Aktienkurs der Google-Mutter Alphabet innerhalb von Minuten unter Druck setzte. Innerhalb eines Tages verlor die Aktie über sieben Prozent an Wert, was einem Verlust von etwa 250 Milliarden US-Dollar an Marktkapitalisierung entspricht.
Google zahlt Apple seit 2005 einen Anteil seiner Werbeeinnahmen von Apple-Nutzern, damit Apple in seinem Browser Safari die Google-Suchmaschine als Standard festlegt. Zuerst ging es nur um wenige Millionen. 2022 zahlte Google an Apple dann laut Aussagen seiner Manager über 20 Milliarden Dollar pro Jahr. Dies entsprach laut den Gerichtsdokumenten 36 Prozent aller Werbeeinnahmen, die Google auf Apple-Geräten generierte.
Cue sagte aus, dass Apple im April erstmals seit mehr als zwei Jahrzehnten weniger Google-Suchen via Safari verzeichnete als im Vormonat. Stattdessen nutzen die Kunden verstärkt KI-Werkzeuge, um ihre Suchanfragen zu stellen.
Damit wird deutlich, wie sich KI auf den Markt für Internetsuche auswirkt. Durch Eddie Cues Aussagen ist erstmals eine qualitative Aussage im Markt auf der für Google vermutlich wichtigsten Plattform.
Die zahlungskräftigsten Kunden orientieren sich um
Ausgerechnet auf den lukrativen Märkten in Amerika und Europa gehen die zahlungskräftigsten Kunden, nämlich die Safari-Nutzer, dazu über, etwas anderes zu nutzen: Die Zahl der Suchen sinkt. Um diesen neuen Nutzer-Gewohnheiten gerecht zu werden, will Apple, so Cue weiter, künftig auch AI-Suchanbieter wie Perplexity als Alternative zu Google in Safari anbieten.
Diese sollen jedoch zunächst nicht als Standard festgelegt werden, da sie laut Cue noch Verbesserungen benötigten, insbesondere im Bereich der Indexierung. Cue sagte weiter, dass Apple keine Pläne hat, eine eigene Suchmaschine zu entwickeln.
Die Entwicklung wäre mit erheblichen Kosten und Ressourcen verbunden, der Markt für Internetsuche verändert sich durch KI-Technologien rasant, und eine eigene Suchmaschine würde Apples Fokus auf Datenschutz und Nutzererfahrung beeinträchtigen.
Das Geschäftsmodell von Google ist dadurch nicht sofort gefährdet. Allerdings hat Google erstmals ernst zu nehmende Konkurrenz in seinem Kerngeschäft, die von Konsumenten angenommen werden.
Der Konzern hat natürlich eine eigene KI-Version der klassischen Suche. Die KI mit Namen „Gemini“ setzt Google bereits jetzt ein, um Zusammenfassungen von Suchergebnissen anzuzeigen. Zudem hat Google gegenüber den Konkurrenten bei der Internetsuche via KI einen wesentlichen Start-Vorteil: Die Index-Datenbank, die Google für die klassische Internetsuche betreibt, liefert auch die Daten für das Training der KI.
Die Konkurrenten dagegen müssen entweder weiterhin Google-Suchen als Grundlagen für ihre KI-Ergebnisse nutzen, oder aber erst einmal selbst einen Suchindex aufbauen. Auch kennt Google die Nutzer-Präferenzen seiner eigenen Nutzer, und kann deswegen beim Training seiner KI Informationen zur Relevanz von Webseiten nutzen.
Erstmals gewichtige Herausforderung im Kerngeschäft
Google ist zudem Marktführer für Internetbrowser, Googles Chrome ist der meistgenutzte Browser weltweit. Sollten KI-Systeme künftig den Browser ablösen, wie etwa Microsoft-Chef Satya Nadella annimmt, dann könnte Google direkt in Chrome entsprechende Funktionen integrieren.
Der Konzern befindet sich in der bestmöglichen Position, um die Herausforderung durch KI anzunehmen. Das aber ändert nichts daran, dass es für Google erstmals seit seiner Gründung eine ernsthafte Herausforderung im Kerngeschäft gibt.
Auch Apple steht vor einer ähnlichen Herausforderung: Eddy Cue sagte weiter aus, dass künstliche Intelligenz innerhalb der kommenden 10 Jahre sogar das iPhone selbst obsolet machen könnte. „So verrückt es auch klingen mag, in zehn Jahren brauchen Sie vielleicht kein iPhone mehr“, sagte er.
Die technologische Revolution durch künstliche Intelligenz wird, so Cue, für viel mehr neuen Wettbewerb im Technologiesektor sorgen, als dies durch Regulierung möglich wäre.
Cue stellte damit auch die Sinnhaftigkeit von langjährigen Wettbewerbs-Prozessen der Regulierer in den USA und Europa angesichts der schnelllebigen Tech-Welt infrage: „Wirklicher Wettbewerb ist nur durch technologische Veränderungen möglich. Technologieveränderungen schaffen diese Chancen. KI ist ein neuer Technologiewandel und schafft neue Chancen für neue Marktteilnehmer.“
Cue vertritt die Position vom ausreichenden Wettbewerb im Markt auch deswegen, da für Apple das mögliche Ende der Partnerschaft mit Google zugleich einen erheblichen Einbruch der Werbeeinnahmen bedeuten würde, an denen der Konzern bislang beteiligt ist.
Apple könnte diesen Einbruch teilweise auffangen, indem der Konzern auch den KI-Anbietern einen Anteil am Umsatz abverlangt. Dabei gibt es nur ein Problem. Selbst nach konservativen Schätzungen sind aktuell die Kosten für die Supercomputer-Rechenzeit hinter den KI-Suchanfragen mindestens um den Faktor zehn höher als die für eine konventionelle Suchanfrage.
Damit aber bleibt die Suche via KI vorerst ein Verlustgeschäft für die Anbieter, da sie mehr kostet, als sie an Werbeeinnahmen bringt.
Benedikt Fuest ist Wirtschaftskorrespondent für Innovation, Netzwelt und IT.
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