Immer mehr junge Menschen in Deutschland haben keine Berufsausbildung und keinen Studienabschluss. Seit Jahren steigen die Zahlen. Fatal, weil Fachkräfte dringend gebraucht werden. Dabei können schon einfache Maßnahmen helfen.
Sie sind jung und ohne Abschluss: Immer mehr junge Menschen in Deutschland haben keine Berufsausbildung und auch keinen Hochschulabschluss. 1,6 Millionen 20- bis 34-Jährige waren es vergangenes Jahr. Jedes Jahr steigt die Quote an - in den vergangenen zwölf Jahren sind 460.000 junge Nicht-Qualifizierte dazugekommen, sagt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).
Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) sagt sogar, dass 2,8 Millionen junge Erwachsene ohne Berufsabschluss sind, fast jede und jeder Fünfte in dieser Altersgruppe. Dieser Unterschied kommt zustande, weil die BIBB-Statistik alle jungen Erwachsenen dieser Altersgruppe einbezieht, während das IAB nur die erwerbstätigen Personen betrachtet.
Der Azubischwund ist angesichts des Fachkräftemangels dramatisch: In Deutschland fehlen im bundesweiten Durchschnitt über 530.000 qualifizierte Arbeitskräfte. In den nächsten beiden Jahren kommen noch etwa 200.000 dazu - 2027 wird Deutschland schon knapp 730.000 Fachkräfte zu wenig haben, prognostiziert das Institut der deutschen Wirtschaft.
Viele schaffen Schulabschluss nicht
IAB-Professor Enzo Weber bewertet die hohen Zahlen im ntv-Podcast "Wieder was gelernt" kritisch. "Es gibt Engpässe im sozialen Bereich, in der Pflege, im Gesundheitsbereich, im technischen Bereich und in der IT. Zudem erfordern die Digitalisierung, der Einsatz von KI und der Umschwung hin zu grünen Technologien Fachkräfte und Hochqualifizierte." Dazu komme der demografische Wandel: "Über die nächsten 15 Jahre verlieren wir aus Alterungsgründen sieben Millionen Erwerbspersonen."
Für über drei Viertel der Arbeitsplätze in Deutschland braucht man eine entsprechende Ausbildung, die viele eben nicht haben. "Der Abschluss hat in Deutschland einen sehr hohen Signalwert", sagt Weber.
Das Problem beginnt schon in der Schulzeit. Zehntausende Jugendliche beenden die Schule jedes Jahr ohne Abschluss: 2021 haben 47.500 nicht mal den Hauptschulabschluss geschafft. Das sind rund sechs Prozent aller Schülerinnen und Schüler, so das Statistische Bundesamt. Und ohne Schulabschluss sind die Chancen auf einen Ausbildungsvertrag schlechter: Drei Viertel der jungen Leute ohne Berufsabschluss haben auch keinen Schulabschluss gemacht, steht im Berufsbildungsbericht.
"Zugewanderte sind nicht bildungsfauler"
Ein entscheidender Grund für die steigende Zahl an jungen Leuten ohne Ausbildung ist die Zuwanderung. Rund 45 Prozent der 20- bis 34-jährigen Geflüchteten aus Asylherkunftsländern wie Syrien oder Afghanistan haben laut der IAB-Studie keinen Berufsabschluss. Auch bei jungen Menschen aus anderen EU-Ländern ist die Quote gewachsen - und bei jungen Deutschen, wenn auch nicht ganz so stark.
"Das heißt nicht, dass Zugewanderte bildungsfauler sind, sondern da kommen viele Menschen aus ganz anderen Bildungssystemen nach Deutschland. Unsere berufliche Ausbildung ist einzigartig. Viele Zugewanderte können ihr Potenzial im deutschen Arbeitsmarkt nicht abrufen, arbeiten unter ihren Möglichkeiten."
Weber fordert deshalb, die Integration in den Arbeitsmarkt zu verstärken. "Wir müssen Kompetenzen anerkennen, berufsbegleitend weiterentwickeln und weiter qualifizieren - damit am Ende auch der Abschluss steht."
Mehr Lohn in Hilfsjobs
Ein weiterer Grund für den Azubimangel: einige junge Menschen entscheiden sich nach der Schule direkt zu arbeiten, oft in ungelernten Hilfsjobs. Dort verdienen sie sofort Geld, ohne eine langwierige Ausbildung zu durchlaufen. Der Lohn ist oft kurzfristig höher - auch, weil der Mindestlohn gestiegen ist.
Zum Vergleich: Azubis im ersten Ausbildungsjahr verdienen mindestens 680 Euro pro Monat; als Hilfsarbeiter kann man im Durchschnitt mehr als doppelt so viel bekommen. Das wird aber nicht so bleiben: Für Helfertätigkeiten werde sich die Arbeitsmarktlage verschlechtern, warnt Weber.
Gerade deshalb müsse mehr für die Ausbildung getan werden, unter anderem mit niederschwelligen Angeboten, "wo man parallel zum Job bestimmte Module in einer flexiblen Ausbildung absolviert und nach ein paar Jahren berufsbegleitend der Abschluss steht".
Der Experte empfiehlt zudem, Berufsberatung und Berufsorientierung auszubauen. Betriebe sollten in den Schulen und auf Messen präsenter sein. Es brauche praktische Eindrücke, wie Betriebsbesichtigungen, Schülerprojekte oder Praktika. Wichtig sei auch Online-Kommunikation in den sozialen Medien.
"Unternehmen und Bewerber kommunizieren aneinander vorbei"
In Deutschland klafft eine riesige Ausbildungslücke: Über 73.000 Ausbildungsplätze sind 2023 unbesetzt geblieben, das ist über ein Drittel. Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) sagt, dass jeder zweite Ausbildungsbetrieb zu wenige Azubis findet - ein neuer Rekord. Viele Firmen bekommen demnach nicht mal eine einzige Bewerbung.
Als Hauptgrund dafür nennen die Unternehmen: Es gibt nicht genügend geeignete Bewerber. Einige haben auch damit zu kämpfen, dass die Azubis plötzlich abspringen - immerhin rund jeder vierte Betrieb mit unbesetzten Ausbildungsplätzen ist von diesem "Ghosting" betroffen.
Oft passen die Ausbildungsangebote nicht mit den Berufswünschen der jungen Menschen zusammen. Schuld daran ist auch eine falsche Kommunikation, zeigt eine Umfrage von der Bertelsmann Stiftung und dem Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Die Unternehmen kommunizieren demnach auf anderen Kanälen als die jungen Leute. Sie würden mehr potenzielle Bewerber erreichen, wenn sie Youtube, Whatsapp und Tiktok nutzen. "Bei der Ausbildungsplatzsuche kommunizieren Unternehmen und junge Menschen zu häufig aneinander vorbei. Zum Beispiel bewerben 71 Prozent der Unternehmen ihre offenen Stellen bei Facebook. Aber nur ein Viertel der jungen Menschen sucht dort", sagt Bertelsmann-Ausbildungsexpertin Hellen Renk bei ntv.
Mit mehr Online-Kommunikation auf den richtigen Kanälen könnte auch ein weiteres Problem behoben werden: Jugendliche kennen nur einen Bruchteil der Ausbildungsberufe. Dabei können sie in einigen von ihnen langfristig überdurchschnittlich viel verdienen, steht in einer IW-Studie. Topverdiener sind demnach Fachkräfte in der technischen Forschung und Entwicklung. Manche Beschäftigte mit Ausbildung verdienen sogar mehr als Hochschulabsolventen.
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