Achtung, Trinkgeld-Erpresser machen sich breit in Deutschland. Man findet sie mittlerweile an der Kasse im Selbstbedienungsbiergarten genauso wie in der Bahnhofsbäckerei.

Wer sich bei Frühlingstemperaturen ein Bier holt oder kurz vor dem Sprung in den Zug noch ein Brötchen kaufen will, wird dort jäh gestoppt, wenn er bargeldlos zahlen will: durch bunte Felder mit Prozentzahlen auf dem Bildschirm des Kartenlesegeräts, die auf den Preis aufgeschlagen werden. Mit etwas Glück ist die niedrigste Zahl eine Fünf, wer Pech hat, muss mindestens eine Zehn drücken, um seinen Kauf abschließen zu können.

Trinkgeld hat sich als Zeichen der Dankbarkeit für guten Service eingebürgert, etwa in Restaurants. Dagegen ist nichts zu sagen, es ist vielerorts sogar geboten. Doch am Tresen eines Biergartens oder einer Bäckerei ist die exklusive Aufforderung für Kartenzahler eine Unverschämtheit. Wer ohne Münzen und Scheine durchs Leben geht, soll einen Aufschlag zahlen – nicht selten, nachdem er zuvor geduldig gewartet hatte, ehe er dran kam. Trinkgeld für nichts.

Es geht zügig um nennenswerte Beträge: Während Barzahler in trinkgelduntypischen Läden den Rechnungsbetrag höchstens um ein, zwei, vielleicht auch einmal fünf Cent aufrunden – bevor das lästige Kupfergeld in der Hosentasche überhandnimmt – geht es bei jenen, die ihre Plastikkarte oder das Smartphone hinhalten, schnell um ein, zwei, vielleicht auch einmal fünf Euro.

In Imbissen und Fast-Food-Restaurants ist Trinkgeld bislang kaum ein Thema. Jeder Zweite gibt dort gar nichts, andere runden höchstens auf – nur wenige geben mehr als zehn Prozent. Dies hatten im Vorjahr die Zahlungsdienstleister Mastercard und SumUp bei 1000 Verbrauchern erfragt. In Restaurants und Cafés, den beliebtesten Trinkgeld-Spots, ist es ganz anders: Dort geben nur fünf Prozent kein Trinkgeld.

Für all jene Geschäftsleute, die sich bislang bei den Zusatzzahlungen übergangen fühlen, kommen die bunten Felder mit den Prozentzahlen gerade recht. Sie hoffen, ihre Kunden klammheimlich umerziehen zu können– neudeutsch Nudging genannt.

Ja, schon klar, auch Kartenzahler werden nicht gezwungen, etwas zu geben. Sie werden auch nicht erpresst. Auf dem Lesegerät gibt es immer die Option, sich zu weigern. Dieses Feld muss der Kunde aber erst einmal finden. In besonders dreisten Fällen findet sich die Rettung gut versteckt unter dem Feld „Anderer Betrag“. Erst wer da draufdrückt, kann sich für null Euro entscheiden.

Das ist nicht angenehm im Angesicht des Kassierers. Aber es ist der einzige Weg, sich zu wehren. Trauen Sie sich.

Karsten Seibel ist Wirtschaftsredakteur in Berlin. Er berichtet unter anderem über Haushalts- und Steuerpolitik.

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