Saudi-Arabien investiert Unsummen in die Diversifizierung der heimischen Wirtschaft. Trotzdem bleibt die Dominanz des Ölgeschäfts ungebrochen. Doch der niedrige Ölpreis testet die Finanzen des Königsreichs - und die Schulden wachsen rasant.
Saudi Aramco bleibt auch in unsicheren Zeiten ein gigantisches Unternehmen: Im ersten Quartal des Jahres musste der saudische Ölkonzern seine Dividende um ein Drittel kürzen. Für den Zeitraum von Januar bis März wurden trotzdem 21,36 Milliarden US-Dollar an die Anleger ausgeschüttet.
"Die Dynamik des Welthandels hat die Energiemärkte im ersten Quartal 2025 beeinflusst, die wirtschaftliche Unsicherheit hat sich auf die Ölpreise ausgewirkt", sagte Aramco-Chef Amin H. Nasser in einer Stellungnahme. "Vor diesem Hintergrund hat die robuste Finanzleistung von Aramco einmal mehr die einzigartige Größe des Unternehmens, seine Zuverlässigkeit und Flexibilität, den Wert seiner kostengünstigen Tätigkeiten und seinen Schwerpunkt auf Effizienz und fortschrittliche Technologie unter Beweis gestellt."
Die Finanzpresse sieht das Quartalsergebnis kritischer als der Aramco-Chef: "Ölpreisverfall belastet die Erträge, Aramco-Schulden nähern sich Drei-Jahres-Hoch", schreibt etwa das Wirtschaftsportal Bloomberg über den Jahresstart. Denn das Unternehmen kann die enorm hohe Dividende wegen sinkender Ölpreise schon länger nicht mehr mit seinen Gewinnen decken. Aramco muss für die Ausschüttung Kredite aufnehmen: Im ersten Quartal stieg die Nettoverschuldung gegenüber dem vorherigen Quartal (Q4/2024) um 18 Prozent auf umgerechnet 24,6 Mrd. Dollar.
Riad hängt am Aramco-Tropf
Das Problem für Aramco-Chef Nasser ist: Wenn sich die Ölpreise nicht erholen, muss er für die Dividende in Zukunft wahrscheinlich weitere Kredite aufnehmen. Der größte Anteilseigner des Unternehmens und somit Profiteur der Ausschüttung ist nämlich Saudi-Arabien selbst. 97,6 Prozent der Firmenanteile befinden sich in den Händen des Golfstaats: 81,5 Prozent der Anteile kontrolliert das Königshaus, der saudische Staatsfonds PIF hält 16,1 Prozent. Nur 2,4 Prozent befinden sich in öffentlicher Hand und werden frei an der Börse gehandelt.
Die ungewöhnliche Struktur ist nicht verwunderlich, denn die Einnahmen von Aramco sind das Fundament des saudischen Reichtums. Die Königsfamilie finanziert mit den Öl-Milliarden ihren Alltag, aber auch den Staat: Renten werden damit bezahlt, Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, das Militär, aber auch Löhne von Regierungsbeamten. Das Königreich ist auf hohe Ausschüttungen von Aramco angewiesen, um den Haushalt zu stabilisieren. Im ersten Quartal war das Ölgeschäft für 56 Prozent (Q1 2024: 62 Prozent) aller saudischen Staatseinnahmen verantwortlich.
Kurzum: Fallen die Ölpreise, leeren sich die Kassen von Aramco - und somit die Kassen der Königsfamilie und der saudischen Bevölkerung.
Öl? Bitte 30 US-Dollar teurer
Doch diese Entwicklung lässt sich womöglich nicht stoppen. Zum Jahresstart konnte Aramco das saudische Öl im Schnitt für 76 US-Dollar pro Barrel verkaufen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) schätzt, dass Saudi-Arabien für einen ausgeglichenen Haushalt einen Ölpreis von gut 93 US-Dollar benötigt. Aktuell liegt er sogar nur bei 63 Dollar. Denn er wird von Zollkrieg und Opec-Streit belastet. Diese Schocks sind aber erst im April aufgetreten und damit in das Quartal von Aramco bisher gar nicht eingepreist. Trotzdem waren die Öleinnahmen bereits 17 Prozent niedriger als im Vorjahr.
Eine Trendwende scheint unwahrscheinlich: Die Zollpause von US-Präsident Trump und China hat für einen neuen Handelsoptimismus gesorgt, aber sie dauert vorerst nur 90 Tage. Die USA, die Volksrepublik oder andere wichtige Volkswirtschaften könnten im weiteren Jahresverlauf nach wie vor in eine Rezession oder sogar in eine Wirtschaftskrise abrutschen - dann würden die Ölpreise weiter fallen.
Streit im Ölkartell
Diese Entwicklung befeuert das Königreich derzeit selbst: Saudi-Arabien ist Anführer der Opec. Als solcher hat das Land Anfang Mai überraschend angekündigt, dass das Ölkartell seine Ölproduktion auch im Juni erhöhen wird - den zweiten Monat in Folge.
Saudi-Arabien möchte Quertreiber maßregeln: Der Irak und Kasachstan ignorieren die Förderquoten der Opec seit einiger Zeit, um ihre Einnahmen zu erhöhen. Mit dem zusätzlichen Angebot an Öl möchte Riad die Preise drücken und dieser Praxis ein Ende setzen - wie es aussieht, erfolgreich: Nach der Ankündigung fielen die Ölpreise auf den niedrigsten Stand seit mehr als vier Jahren. Doch damit sinken auch die Einnahmen von Aramco.
Erschwerend kommt inzwischen hinzu: Auch der Iran kehrt womöglich als großer Lieferant an den Ölmarkt zurück und könnte die Preise weiter drücken.
Imagepflege statt Rendite
In den vergangenen Jahren hat das Königreich Unsummen investiert, um seine Öl-Abhängigkeit zu beenden und neue Geldquellen im In- und Ausland zu erschließen. Der Staatsfonds PIF ist an etlichen Unternehmen im Finanz- und Gesundheitssektor beteiligt, in der Luftfahrt oder im Energiebereich.
Diversifizierung bedeutet im Fall von Saudi-Arabien allerdings auch: Riad hat mit Jahresgehältern im dreistelligen Millionenbereich Profisportler wie Cristiano Ronaldo oder den Golfer Jon Rahm an den Golf gelockt. Das Königreich hat den englischen Fußballverein Newcastle United gekauft und ist seit einigen Jahren Gastgeber eines teuren Formel-1-Rennens - und über Aramco auch Hauptsponsor der Rennserie. Bis 2030 möchte das Land 38 Milliarden US-Dollar in den E-Sport investieren, um das Königreich in das globale Gaming-Zentrum zu verwandeln.
Das Problem: Diese Investments polieren das Image von Saudi-Arabien auf, spülen aber kein Geld in die Kassen - genauso wenig wie bisher Neom, das Prestigeprojekt von Mohammed bin Salman. Der saudische Kronprinz baut im Nordwesten des Landes eine gigantische, visionäre und autarke Planstadt: The Line - die Linie - soll sich 170 Kilometer lang schnurgerade von der Wüste bis zum Roten Meer erstrecken. Eine Mauer, höher als das Empire State Building in New York, soll die Stadt umgeben. Ein 200 Meter breites und begrüntes Dach soll die Bewohner vor der Sonneneinstrahlung schützen.
Mehr Schulden als jemals zuvor
Das Königreich hat bereits mehr als 50 Milliarden Dollar in die Linienstadt investiert, aber seit einiger Zeit häufen sich Berichte über größere Rückschläge: Im März berichtete das "Wall Street Journal" von explodierenden Kosten. Einige Pläne mussten deswegen pausiert, verschoben oder sogar gestrichen werden. Die Stadt ist aber weit von der Fertigstellung entfernt: Der saudische Finanzminister nannte im November ein Zeitfenster von 50 Jahren, in dem weitere Investitionen notwendig sind.
Kurzum: Wenn die Ölpreise nicht deutlich steigen, kann Riad seine Ausgaben nicht mehr mit seinen Einnahmen decken. Das Königreich müsste wie Aramco Schulden aufnehmen, um Rechnungen zu bezahlen und neue Investitionen zu finanzieren. Einer Schätzung zufolge müsste der Ölpreis auf 103 Dollar je Barrel klettern, um speziell die Megaprojekte von Kronprinz MBS ohne neue Schulden bezahlen zu können.
Die Realität sieht anders aus: Saudi-Arabien hat sich in den ersten drei Monaten des Jahres bereits 15 Milliarden Dollar an den Kapitalmärkten geliehen und damit mehr Geld als jemals zuvor in einem Quartal. Die US-Bank Goldman Sachs schätzt, dass das Defizit bis zum Jahresende wegen der niedrigen Ölpreise auf 70 Milliarden Dollar anwachsen könnte. Noch vor einem halben Jahr hatte das saudische Finanzministerium mit einem Minus von 27 Milliarden US-Dollar kalkuliert. In Riad türmen sich die Schulden auf - nicht nur bei Aramco.
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