Kai-Uwe Steck blickt starr nach vorn, als die Richter ihr Urteil im Saal P1.1 des Gerichtsgebäudes in Siegburg, einer Außenstelle des Landgerichts Bonn, an diesem Dienstag verkünden. Noch in seinem Schlusswort am vorletzten Prozesstag hatte der Cum-Ex-Kronzeuge, der selbst einst Millionen mit dem Steuerbetrug verdiente, beteuert, er habe mehr zur Aufklärung beigetragen als jeder andere in dieser Industrie. Er bat um Vergebung – und darum, nicht bestraft zu werden.

Seinen Wunsch erfüllten ihm die Richter nicht: Sie verurteilten ihn wegen schwerer Steuerhinterziehung in fünf Fällen im Zusammenhang mit Cum-Ex-Deals zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wird. Zudem muss Steck 23,5 Millionen Euro seiner Tatbeute zurückzahlen.

Dennoch fiel das Urteil (Aktenzeichen 62 KLS 1/24) deutlich milder aus als die Forderung der Kölner Staatsanwaltschaft: Die Ankläger hatten drei Jahre und acht Monate Freiheitsstrafe, ein vierjähriges Berufsverbot und die Einziehung von Taterträgen in Höhe von rund 26 Millionen Euro beantragt.

427 Millionen Euro Steuerschaden

Die Kammer begründete ihre Entscheidung damit, dass Steck eine zentrale Figur im System der Cum-Ex-Geschäfte war und damit auch Verantwortung für einen massiven Steuerschaden trägt. Dieser beträgt laut Staatsanwaltschaft Köln rund 427 Millionen Euro, von denen er selbst 23,5 Millionen vereinnahmte, sagte der Vorsitzende Richter Sebastian Hausen.

Strafmildernd wirke jedoch, dass Steck als Kronzeuge mit seinen Aussagen und seinem Insiderwissen wesentlich zur Aufklärung des Steuerbetrugs und auch zur Verurteilung anderer Täter beigetragen habe, betonte der Vorsitzende Richter. Steck habe die Ermittlungen enorm beschleunigt. Durch seine Angaben seien außerdem 660 Millionen Euro von Banken und anderen Akteuren an den Staat zurückgeflossen.

Kai-Uwe Steck gehörte über lange Zeit zu den Schlüsselfiguren im Cum-Ex-Skandal – einem Betrugssystem, bei dem Banken, Aktienhändler und Juristen sich Kapitalertragsteuern erstatten ließen, die vorher nicht gezahlt wurden. Gemeinsam mit seinem Mentor Hanno Berger, der bis heute als einer der prominentesten Cum-Ex-Betrüger gilt, verkaufte Steck die Modelle auch an vermögende Privatpersonen und erdachte neue Strukturen. Mit ihrer Kanzlei „Berger, Steck & Kollegen“ verdienten Berger und er Millionen – auf Kosten des Fiskus.

Als die Staatsanwaltschaft mit groß angelegten Razzien gegen die Cum-Ex-Branche vorging und Steck erfuhr, dass auch gegen ihn ermittelt wurde, brach er mit seinen früheren Weggefährten – und mit der Industrie, die ihn reich gemacht hatte. 2016 wechselte der Steueranwalt als erster Hauptbeschuldigter die Seiten und wurde einer der zentralen Kronzeugen der Kölner Staatsanwaltschaft.

In stundenlangen Vernehmungen zwischen November 2016 und Frühjahr 2017, legte er Abläufe und Strategien des komplexen Steuerbetrugs offen, brachte weitere Komplizen dazu, ebenfalls auszusagen. Zudem trat er über fünf Jahre in Cum-Ex-Prozessen gegen andere Mittäter als Zeuge auf – bis schließlich auch gegen ihn Anklage erhoben wurde.

Seinen Schritt Kronzeuge zu werden, erklärte Steck am vorletzten Prozesstag mit den Worten: „Ich habe damit Verantwortung übernommen – in Taten und Worten (…)“. Er könne die Vergangenheit nicht ungeschehen machen. Aber er habe alles, was in seiner Macht gestanden habe, dafür eingesetzt, diesen Fehler wiedergutzumachen. Ohne Rücksicht auf die persönlichen Folgen, die das mit sich brachte. Das wäre nicht nur eine rechtliche Pflicht, sondern auch eine moralische Entscheidung gewesen.

Keine Straffreiheit trotz Aussage

Der Vorsitzende Richter Hausen würdigte die Verdienste Stecks als Kronzeuge: Der Angeklagte sei der erste Stein gewesen, der sich aus dem geschlossenen System herauslöste und andere Beschuldigte, insbesondere Aktienhändler, motivierte ihr Wissen mit den Behörden zu teilen. Zwar hätten die Ermittler schon viele Daten gehabt, aber der Angeklagte habe dazu beigetragen, dass die Ermittler die Strukturen dahinter verstanden hätten. Er habe als erster Cum-Ex-Insider, der sich den Vernehmungen stellte, das schwarze Loch zu den Transaktionen mit dem Wissen eines Praktikers gefüllt.

Trotzdem entschied sich das Gericht nicht dazu, von Strafe abzusehen. Wie die Staatsanwaltschaft sah die Kammer besonders kritisch, dass Steck seine Tatbeute bislang nicht vollständig zurückgezahlt hat. Ursprünglich hatte er im Prozess gegen seinen Kanzleipartner Hanno Berger zugesagt, die rund 50 Millionen Euro aus den Cum-Ex-Geschäften zurückzuüberweisen – darunter 13,6 Millionen Euro aus Deals mit der Hamburger M.M. Warburg-Bank. Doch trotz Aufforderung überwies Steck nur elf Millionen an den Fiskus.

„Die übrigen von ihm vereinnahmten Profite hat er für sich behalten“, hielt Staatsanwalt Schletz bereits seinem Plädoyer Ende Mai fest. Laut Staatsanwalt Schletz zeigt das, wie der Angeklagte tickt: Wer sein Unrecht einsehe und Verhalten auch bereue, der agiere anders. Zudem gestand Steck im Laufe des Prozesses, dass die angeblich auf ein Treuhandkonto überwiesenen 50 Millionen Euro fast vollständig in zwei Firmen geflossen seien, die beide später insolvent gingen.

Nach dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft hatte Steck bereits versucht, sein Verhalten in seinem Schlusswort zu erklären: „Elf Millionen Euro konnte ich bisher zurückzahlen, mehr ging bis anhin nicht“, sagte er vor Gericht. Er werde weiter sein Bestes geben und etwa Millionenzahlungen von seinen früheren Anwälten gerichtlich zurückzufordern. Wenn das gelinge, gehe das Geld an die Staatskasse.

Der Vorsitzende Richter kritisierte jedoch, dass die Kammer damals nach dem Berger-Verfahren von einem Einziehungsbescheid abgesehen hätte, weil sie darauf vertraute, dass Steck das versprochene Geld zurückzahle. Der Kronzeuge habe es so dargestellt, als hätte er die Zahlung schon auf den Weg gebracht. Doch diese Erwartung sei enttäuscht worden, der Angeklagte habe nicht gezahlt und es fehlten bis heute 2,6 Millionen Euro. Für die Kammer sei dies schwer nachvollziehbar. Trotzdem, so betonte die Kammer, bleibe festzuhalten: 2025 hat kein anderer individuell Angeklagter im Cum-Ex-Komplex eine höhere Rückzahlung geleistet als Steck.

Die Forderung von Stecks Verteidiger Gerhard Strate, die Einziehung der Taterträge in einem abgetrennten Verfahren zu entscheiden, wies die Kammer ab. Auch die Argumente Strates, wonach das Verfahren wegen „zwei gravierenden Verstößen“ gegen seinen Mandanten eingestellt hätte werden müsste, ließen die Richter nur begrenzt oder gar nicht gelten.

Verteidiger machte Staatsanwaltschaft schwere Vorwürfe

Stecks Verteidiger Gerhard Strate erhob im Prozess schwere Vorwürfe gegen die Kölner Staatsanwaltschaft. Sie habe seinen Mandanten über Jahre hinweg immer wieder als Zeugen aussagen lassen – anstatt ihn frühzeitig anzuklagen. Das sei keine Rücksichtnahme auf den Kronzeugen gewesen, wie die damals zuständige Staatsanwältin Anne Brorhilker und frühere Verteidiger behaupteten, sondern Taktik: So habe Steck ohne anwaltliche Schweigepflicht weiter aussagen können. Mit einer Anklage wäre das nicht mehr möglich gewesen. So sei Steck zum „Spielball strategischer Überlegungen“ geworden.

Zudem wirft Strate der Staatsanwaltschaft vor, dass die damals zuständige Staatsanwältin Anne Brorhilker Steck und seinen Verteidigern zugesagt habe, sich für die Einstellung des Verfahrens im Rahmen der Kronzeugenregelung einzusetzen. Den nötigen Antrag beim Gericht hätte sie jedoch nie gestellt.

Strate forderte deshalb Straffreiheit für seinen Mandanten – möglich ist das in Ausnahmefällen nach Paragraf 46b der Strafprozessordnung. Voraussetzung: Der Täter muss über seine eigene Tat hinaus zur Aufklärung beitragen und entscheidend dabei helfen, weitere Straftaten aufzudecken. Doch das Gericht lehnte ab.

Ein Absehen von Strafe, so erklärte es der Vorsitzende Richter Hausen, komme in Anbetracht der Schwere der Tat und der schweren, persönlichen Schuld, die Steck auf sich geladen habe, nicht in Frage. Er habe nicht nur einen erheblichen Steuerschaden verursacht, sondern auch über einen langen Zeitraum höchst professionell illegale Cum-Ex-Geschäfte betrieben, aus denen er enormen, persönlichen Profit geschlagen habe. Die Gefahr strafrechtlicher Ermittlungen habe er billigend in Kauf genommen und für andere hochbeschworen.

Provokant fragt der Vorsitzende Richter Hausen in den Raum: „Wäre Cum-Ex aufgeklärt worden ohne Steck? Sehr wahrscheinlich schon.“ Ihm sei jedoch die Beschleunigung der Ermittlungen hoch anzurechnen. Zudem führte die Kammer an, dass es keine Selbstverständlichkeit gewesen sei, dass die Kammer Stecks Aussagen glaube. Der Angeklagte sei ein großer Taktiker, so der Eindruck.

Der Richter leitete damit auch zur angeblichen Zusage der Staatsanwaltschaft über, einen Antrag auf Verfahrenseinstellung einzureichen. Aus Sicht der Kammer habe es diese Zusage nicht gegeben. Stecks Geschichte sei unstimmig, weil er selbst in mehreren Gerichtsverfahren erklärt hatte, keinerlei Zusagen bekommen zu haben. In der Hauptverhandlung hätten auch die früheren Cum-Ex-Chefermittlerin Anne Brorhilker und Stecks ehemaligem Verteidiger Alfred Dierlamm vehement eine solche Zusage verneint.

„Der erste Stein, der sich löste“

Der Vorsitzende Richter Hausen räumte jedoch ein: Steck sei über mehrere Jahre vermittelt worden, dass eine Verfahrenseinstellung ernsthaft in Betracht gezogen würde. Ihm sei vermittelt worden, dass es eine Chance gäbe, dass keine Anklage gegen ihn erhoben würde. „Diese Chance hatte er nicht“, so der Vorsitzende Richter.

Dennoch würdigte das Gericht seine Kooperation und erkannte eine Strafmilderung an, weil Steck seine Schuld in den vergangenen neun Jahren als Kronzeuge abgetragen habe. Steck sei „genau das, was der Gesetzgeber wollte. Er war der erste Stein, der sich löste und viele folgten“, so der Vorsitzende Richter.

Das Gericht erkannte zudem an, dass die Staatsanwaltschaft die Anklage gegen Steck früher hätte erheben können. Diese Verzögerung wertete die Kammer als rechtsstaatswidrig. Als Ausgleich gelten sechs Monate der Strafe bereits als vollstreckt.

Stecks Verteidiger Strate hatte gute Laune nach der Urteilsverkündigung. Er sei zufrieden mit Ergebnis. Natürlich gehe man als Verteidiger immer in die Revision, sagte er danach. Aber nur, um erstmal die Urteilsgründe zu lesen. In Absprache mit Steck müsse man dann entscheiden, ob man Frieden in die Sache einkehren lasse.

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