Die Inflation sinkt unter das EZB-Ziel, aber die Konjunktur schwächelt: Für die EZB heißt das, erneut die Zinsen zu senken. Der Leitzins liegt nun bei 2,0 Prozent. Wie es weitergeht, dazu wagen die Währungshüter jedoch noch keine Prognose.

Die Europäische Zentralbank (EZB) setzt angesichts der sinkenden Inflation und der schwachen Konjunktur im Euroraum ihren Zinssenkungskurs fort. Der EZB-Rat um Notenbankchefin Christine Lagarde beschloss, den am Finanzmarkt maßgeblichen Einlagensatz, der Leitzins im Euroraum, um einen Viertelpunkt auf 2,00 Prozent nach unten zu setzen. Diesen erhalten Geldhäuser, wenn sie bei der Notenbank überschüssige Gelder parken.

Seit die Währungshüter Mitte 2024 auf einen Lockerungskurs umgeschwenkt waren, ist dies bereits die achte Zinssenkung. Die Entscheidung fiel nach Aussage von EZB-Präsidentin Lagarde nicht einstimmig. Ein Ratsmitglied habe sich dem Votum nicht angeschlossen. "Der EZB-Rat glaubt, dass er mit dem aktuellen Zinsniveau für die unsicheren Bedingungen gut positioniert ist", sagte Lagarde dennoch. Zu ihrem weiteren Vorgehen hielt sich die EZB weitgehend bedeckt: "Der EZB-Rat legt sich nicht im Voraus auf einen bestimmten Zinspfad fest", erklärte die Euro-Notenbank in ihrer Mitteilung zum Zinsbeschluss.

"Damit tut die Notenbank genau das Richtige", sagt Ulrich Reuter, Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands, zu der EZB-Entscheidung. "Mitten in einer Phase steigender geopolitischer Spannungen und sinkender Investitionsbereitschaft hält die Notenbank klaren Kurs und setzt ein wichtiges Zeichen der Stabilisierung."

Vor einem weiteren Lockerungskurs warnt Heiner Herkenhoff, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Deutscher Banken. Er sagt, es gibt "sehr gute Gründe", über den Sommer auf weitere Zinsschritte zu verzichten. "Weitere Zinssenkungen der EZB würden die Inflation wieder aktiv antreiben", so Herkenhoff. "Das wäre nicht ohne Risiko - gerade jetzt, wo niemand genau weiß, welche Preiseffekte tatsächlich aus den Handels- und Zollkonflikten entstehen."

Inflation unter der Zielmarke

Mit der Inflation, die unter anderem wegen der Folgen des Ukraine-Kriegs nach oben geschossen war, sind die Währungshüter inzwischen auf der Ziellinie angelangt. Die Teuerungsrate im Euroraum lag im Mai noch bei 1,9 Prozent nach 2,2 Prozent im April. Das EZB-Ziel von 2,0 Prozent wurde damit sogar untertroffen. Den Inflationsausblick bezeichnete Lagarde trotzdem als "ungewöhnlich unsicher".

Auf der anderen Seite bremst der von US-Präsident Donald Trump entfachte weltweite Handelskrieg die Wirtschaft im Euroraum aus. Laut der Prognose der EU-Kommission vom Mai wird das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in der Euro-Zone dieses Jahr nur noch um 0,9 Prozent wachsen. Im Herbst war noch ein Zuwachs von 1,3 Prozent veranschlagt worden. Einer der größten Bremsklötze ist die anhaltende Wachstumsschwäche Deutschlands, der größten Volkswirtschaft in der 20-Länder-Gemeinschaft. Die Deutsche Industrie- und Handelskammer sagt das dritte Rezessionsjahr in Folge voraus.

Aufgrund der Wachstumssorgen und des unvorhersagbaren Hin-und-Her im Zollstreit mit den USA ist der Ausblick für die EZB von großer Unsicherheit geprägt. Unternehmen neigen in solchen Situationen dazu, sich mit größeren Investitionen zurückzuhalten. Ein Lichtblick für das Wachstum könnte die geplante militärische Aufrüstung in Europa sowie das in Deutschland angeschobene massive Finanzpaket sein.

EZB-Präsidentin Christine Lagarde sieht durch die Erschütterung der seit Jahrzehnten bestehenden Weltordnung ebenfalls erhebliche Risiken für die Wirtschaft, wie sie in Berlin sagte. "An die Stelle der multilateralen Zusammenarbeit sind Nullsummendenken und bilaterale Machtspiele getreten", kritisierte Lagarde, ohne Trump wörtlich zu nennen. Zugleich eröffneten sich neue Chancen: "Angesichts des derzeitigen Wandels scheint die Zeit reif zu sein für eine größere internationale Rolle des Euro."

Die schwache Konjunktur bremst zwar die Inflation kurzfristig, doch auf längere Sicht könnten Zölle und unterbrochene Handelsketten die Inflation kräftig antreiben. Die EZB fährt in dieser Gemengelage schon seit geraumer Zeit in der Zinspolitik auf Sicht und entscheidet datengetrieben von Sitzung zu Sitzung. Manche Währungshüter hatten zuletzt eine Zinspause im Juli ins Spiel gebracht. Am Finanzmarkt wird dafür die Wahrscheinlichkeit inzwischen auf rund 70 Prozent taxiert.

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