Es klingt nach einem Widerspruch: Kaum ist Cannabis in Teilen legal, beschlagnahmen die Beamten des Zolls so große Mengen des Rauschmittels wie nie zuvor – in Autos, Zügen und an Flughäfen. Das geht aus der Zolljahresstatistik hervor, die Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) in Hamburg präsentierte.
Es geht nicht nur um ein paar Kilo, die im Vorjahr zusätzlich sichergestellt wurden. Die beschlagnahmte Menge stieg gegenüber 2023 um fast vier Tonnen – ein Plus von rund 50 Prozent von 8642 Kilogramm auf 12.618 Kilogramm. Offenbar haben einige Kiffer ihren Jubelschrei „Der Hanf ist frei“ zu wörtlich genommen, nachdem das Legalisierungsgesetz im April 2024 in Kraft getreten war – und das Kleingedruckte nicht gelesen.
Die Spezialisten der Generalzolldirektion sehen in der Teillegalisierung zumindest einen der Gründe für den sprunghaften Anstieg der beschlagnahmten Menge. Dort geht man davon aus, dass durch das gestiegene öffentliche Interesse an Cannabis „häufiger kleinere Mengen in Verkehr gebracht und dadurch auch vermehrt festgestellt“ werden, teilt ein Sprecher mit.
Bei Personen, die versuchten, Cannabis im Auto, im Zug oder per Flieger im Reisegepäck einzuschmuggeln, herrsche möglicherweise der Irrglaube vor, die Einfuhr sei nun legal. Doch er stellte klar, dass trotz Teillegalisierung die „Ein-, Aus- und Durchfuhr von Cannabis nach wie vor verboten und strafbar ist“.
Nur der Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis im öffentlichen Raum ist straffrei, nicht aber dessen Einfuhr aus dem Ausland. Diese wichtige Einschränkung im Gesetz brachte einige Kiffer offenbar in Bedrängnis, war es dadurch doch gerade in den ersten Monaten alles andere als einfach, innerhalb Deutschlands legal an Marihuana zu kommen. Die neuen Anbauvereinigungen mussten sich erst einmal gründen und auf die Suche nach geeigneten Flächen für die Pflanzen machen.
Da liegt es nahe, dorthin zu fahren, wo der Umgang mit dem Rauschmittel bekanntermaßen schon seit Jahren lax ist: jenseits der Grenze. Der Besitz von ein paar Gramm ist ja jetzt auch in Deutschland legal, mag bei nicht wenigen der falsche Rückschluss gewesen sein. „Kleinere Mengen stammen häufig aus den Niederlanden“, heißt es bei der Generalzolldirektion zu den beliebtesten Landschmuggelwegen im vergangenen Jahr. Größere Mengen kämen weiterhin auf den Routen aus Spanien über Frankreich nach Deutschland.
Wie viele solche Kleinsicherstellungen, wie es im Behördendeutsch heißt, zum 4000-Kilogramm-Anstieg in der Marihuana-Statistik des Zolls beitrugen, vermag die Behörde, die direkt dem Finanzministerium untersteht, nicht zu sagen. Eine genauere Aufgliederung sei leider nicht möglich und damit auch keine statistisch belastbare Aussage zu einem Zusammenhang zwischen dem Anstieg der Cannabis-Sicherstellungen und der Teillegalisierung 2024, teilt der Zoll mit.
Neben der steigenden Zahl kleinerer Sicherstellungen verzeichne man vermehrt Großsicherstellungen, insbesondere an See- und Flughäfen. Wobei der Zoll auch hierbei auf einen Zusammenhang zum Thema Legalisierung verweist – nicht zu dem Gesetz der Ampel-Regierung aus dem Vorjahr in Deutschland, sondern in Ländern wie den Vereinigten Staaten, Kanada und Thailand. „Die dortige Legalisierung hat zu einer erleichterten Verfügbarkeit und damit auch zu einer Zunahme illegaler Einfuhren nach Deutschland geführt“, so der Sprecher der Generalzolldirektion. Statistisch belastbare Aussagen, wie viel von dort genau kam, seien aber nicht möglich.
Die neue Zollstatistik und das Hanf-Paradoxon werden die Diskussion um den Umgang mit Cannabis sicherlich weiter forcieren. Der neue Drogenbeauftragte der Bundesregierung, der Virologe Hendrik Streeck, machte bereits deutlich, dass er den Kritikern der Legalisierung mehr Gehör verschaffen will. „Mir ist sehr daran gelegen, die Bedenken von Eltern, Polizisten, Lehrkräften und aus der Medizin besser als es in der Vergangenheit geschehen ist, in die Diskussion über Cannabis einzubeziehen“, sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete. Es sei bekannt, dass er kein Freund der Cannabis-Politik der Ampel-Koalition sei. „Aber ich sage auch: Die Aufgabe ist zu komplex für einfache Antworten und es geht mir in erster Linie um evidenzbasierte und wissenschaftlich fundierte Politik.“
Die Freunde des Hanfs müssen ein schnelles Ende ihrer Freiheit aber wohl nicht fürchten. Hatte die Union im Wahlkampf noch angekündigt, das Gesetz des ehemaligen Gesundheitsministers Karl Lauterbach (SPD) wieder abzuschaffen, ist im Koalitionsvertrag nur davon die Rede, im Herbst eine „ergebnisoffene Evaluierung“ durchführen zu wollen. Nach einem schnellen Ende für das Hanf-Paradoxon klingt das nicht, der Effekt dürfte sich auch noch in der Zollstatistik 2025 wiederfinden.
Karsten Seibel ist Wirtschaftsredakteur in Berlin. Er berichtet unter anderem über Haushalts- und Steuerpolitik.
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