Der chinesische Autobauer Chery erwägt den Bau eines Werks in Großbritannien. Als Teil seiner „Lokalisierungsstrategie“ denke das Unternehmen „aktiv über diesen Schritt nach“, sagte Victor Zhang, Geschäftsführer von Chery im Vereinigten Königreich, bei der Jahreskonferenz des Automobilverbandes Society of Motor Manufacturers and Traders (SMMT) in London.

Chery ist seit vergangenem Herbst mit seinen Marken Omoda und Jaecoo auf der Insel präsent. Der Nummer vier im chinesischen Markt mit Sitz westlich von Shanghai, hat im vergangenen Jahr weltweit 2,6 Millionen Fahrzeuge verkauft. In Großbritannien werden die SUVs der Marken in einer Batterieversion, mit Verbrennungsmotor und als Hybrid angeboten. In den kommenden Monaten soll das Angebot um eine dritte Chery-Marke namens Lepas erweitert werden, ein günstigeres Modell.

Das Interesse an chinesischen Autos wachse deutlich in Großbritannien, sagte Zhang. Mehr als 10.000 Fahrzeuge hat Chery in den ersten sechs Monaten nach dem Start im September verkauft, 75 Händler bieten die Fahrzeuge an. Im Markt für Elektrofahrzeuge habe sich der Hersteller aus dem Stand einen Marktanteil von zwei Prozent sichern können, so Zhang.

Um als Marke im Markt präsent zu sein, sei die Produktion am Standort ein sinnvoller Schritt, betonte Zhang. „Wir prüfen die Möglichkeiten und sprechen mit den relevanten Akteuren.“ Einen Standort in Europa hat sich die Marke Omoda bereits gesichert, südlich von Barcelona. Der Standort soll als Joint Venture mit dem spanischen Hersteller Ebro betrieben werden.

Anders als die Europäische Union verzichtet Großbritannien auf zusätzliche Zölle für chinesische Elektrofahrzeuge. Für Autos gilt im Vereinigten Königreich ein zehnprozentiger Zoll, der grundsätzlich für Waren aus China fällig wird. Die EU hat dagegen im Herbst 2024 Abgaben für E-Autos eingeführt, die nach Hersteller variieren. BYD wird mit 17 Prozent belastet, Geely mit 18,8 Prozent, SAIC mit 35,3 Prozent. Die Zollabgaben gelten zusätzlich zu einer Angabe von zehn Prozent, die für alle Auto-Importe fällig wird. Noch deutlich höher sind inzwischen Einfuhrabgaben nach Nordamerika. Die USA und Kanada belegen chinesische Elektrofahrzeuge mit 100 Prozent Zoll.

Für chinesische Hersteller ist Großbritannien, hinter Deutschland der zweitgrößte Automarkt in Europa, damit als Exportdestination besonders interessant geworden. „Der britische Markt ist ziemlich offen. 40 Prozent der Kunden sagen, dass sie bereit sind, chinesische Marken in Betracht zu ziehen“, sagte Zhang.

Unter den Top 10 der meistverkauften Marken war mit 82.000 Fahrzeugen oder 4,2 Prozent am Gesamtmarkt in Großbritannien mit MG zum ersten Mal eine chinesische Marke vertreten – genauer gesagt eine britische Traditionsmarke, die seit 2007 im Besitz des staatlichen chinesischen Herstellers SAIC Motor ist. Das deutlichste Wachstum vermeldete BYD. Der Autobauer aus Shenzhen, gemessen am Absatz an Elektrofahrzeugen mittlerweile die Nummer 1 weltweit, verkaufte 8.788 Neuwagen auf der Insel, mehr als siebenmal so viele wie im Vorjahr.

Auf deutschen Straßen sind chinesische Autos – bislang – noch ein deutlich seltenerer Anblick. MG liegt auch hier vorne, die SAIC-Tochter verkaufte im vergangenen Jahr 20.977 Autos. Das entspricht einem Marktanteil von 0,7 Prozent. Mit jeweils um die 3.000 Fahrzeugen und Anteilen von 0,1 Prozent folgen Great Wall Motors und BYD. Auch hierzulande könnten aber in absehbarer Zeit chinesische Hersteller produzieren. Laut Berichten vom Jahresanfang haben Autobauer aus der Volksrepublik Interesse an den Volkswagen-Standorten in Osnabrück und Dresden, die angesichts sinkender Produktionszahlen geschlossen werden könnten. VW hat die Gespräche seinerzeit bestätigt, vorangeschritten scheinen die Verhandlungen bisher aber nicht.

Chinesische Marken werden in Großbritannien bisher nicht produziert. Geely Auto hat aber mehr als 3 Milliarden Pfund (3,5 Milliarden Euro) in den Sportwagenhersteller Lotus investiert. Zu Geely gehört auch LEVC, der Hersteller der typischen Londoner Taxis „Black Cabs“ und Polestar. Der E-Auto-Spezialist hat seinen Sitz in Schweden und produziert in China und den USA, unterhält in Großbritannien aber ein großes Forschungs- und Entwicklungszentrum.

Großbritannien ist bei chinesischen Autobauern beliebt

Interesse an einer Produktion auf der Insel habe auch Changan, sagte Sherard Cowper-Coles, Vorsitzender des China-Britain Business Council, im Rahmen der SMMT-Konferenz. Überhaupt würden chinesische Investoren aktiv nach Gelegenheiten auf der Insel suchen, nachdem der Zugang in die USA unter US-Präsident Donald Trump immer schwieriger werde.

Für die kommenden zwölf Monate haben zahlreiche weitere chinesische Anbieter ihren Start auf dem britischen Markt angekündigt. Aion, Aiways, Deepal, Denza, Exeed, Firefly, HiPhi, iCaur, Nio, Onvo und Zeekr sind bisher kein Begriff in der britischen Autowelt, wollen aber alle in den kommenden Monaten hier an den Start gehen.

Deutlich weiter ist BYD, dessen sieben Modelle bei 60 Händlern im Land verkauft werden. Das Unternehmen, das einst als Batteriehersteller gestartet ist, setzt inzwischen auf eine zusätzliche Vertriebsstrategie.

Mit dem Energieversorger Octopus Energy hat BYD Anfang der Woche ein EV-Paket geschnürt, das helfen soll, die Ladekosten für Octopus-Kunden und Wechselwillige drastisch zu reduzieren. Mit dem „Power Pack Bundle“ lässt sich ein BYD Dolphin Supermini für 299 Pfund (etwa 350 Euro) im Monat leasen. Dazu gehört auch ein Ladegerät, mit dem das Fahrzeug bis zu einer Jahresreichweite von knapp 20.000 Kilometern kostenlos aufgeladen werden kann.

Dabei handelt es sich um ein bidirektionales Ladegerät, das es Octopus ermöglicht, die Autobatterie in Spitzenzeiten zu entladen und bei Bedarf Energie ins Netz einzuspeisen. Das angeschlossene Auto wird so zum Energiespeicher. In der nachfragearmen Nebenzeit über Nacht wird das Fahrzeug wieder geladen. Laut Octopus-Chef Greg Jackson handelt es sich um eine Weltpremiere, die Fahrern im Schnitt 620 Pfund (etwa 730 Euro) im Jahr Ersparnis verschaffen werde.

Claudia Wanner schreibt für WELT vor allem über die britische Wirtschaft.

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