Angesichts widersprüchlicher Aussagen aus der Regierungspartei CDU schwinden die Chancen auf die zügige Einführung eine Steuer für große Digitalkonzerne. Zwar hat die Regierung aus Union und SPD eine solche Abgabe im Koalitionsvertrag vorgesehen, doch die konkrete Ausgestaltung muss noch diskutiert werden. Und nicht alle Beteiligte wollen die Steuer tatsächlich einführen.

Aus Sicht von Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) ist die Diskussion angesichts der laufenden Zollverhandlungen mit den USA zum aktuellen Zeitpunkt kontraproduktiv. „Wir sollten nicht über mehr, sondern über weniger Handelshemmnisse sprechen“, sagte sie dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. „Und gleichzeitig müssen wir die Wettbewerbsbedingungen für deutsche und europäische Digitalunternehmen verbessern, damit sie im internationalen Wettbewerb eine Chance haben.“

Ziel der Abgabe für Online-Plattformen wären Unternehmen wie Google oder Meta (ehemals: Facebook), deren Regulierung auf EU-Ebene im Zuge der Zollverhandlungen ebenfalls Thema war. Eine europäische Steuer auf die Geschäfte der Tech-Riesen in Europa galt in den Verhandlungen als mögliches Druckmittel der EU-Kommission gegenüber der Trump-Regierung. Im Wirtschaftsministerium will man offensichtlich vermeiden, dass die Debatte in Deutschland die Verhandlungen mit den USA torpediert.

Auch der Finanzminister von Nordrhein-Westfalen, Marcus Optendrenk (CDU), warnte vor den internationalen Wirkungen einer Digitalsteuer. Sie könne „den Steuer- und Zollstreit mit den USA erneut entfachen“, sagte er WELT. „Nationale Alleingänge erhöhen das Risiko neuer Handelskonflikte.“ Zuletzt hatte Kanada den USA im Zollkonflikt mit einer solchen Steuer gedroht – und sie in den Verhandlungen schnell wieder zurückgezogen. Der Wirtschaftsstandort Deutschland leide an zu hohen Steuer- und Abgabenlasten, sagte Optendrenk. „Jetzt über die Einführung einer neuen Digitalsteuer nachzudenken, schafft Verunsicherungen und führt am Ende zu Mehrbelastungen für Wirtschaft und Konsumenten.“ Das sei kontraproduktiv.

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer (CDU) hatte bereits im Mai eine Digitalsteuer in Höhe von zehn Prozent für die US-Tech-Konzerne ins Spiel gebracht. „Wir müssen die Macht der Tech-Giganten adressieren. Sie verdienen Milliarden, und sie sollen auch Milliarden an Steuern bezahlen“, hatte Weimer gesagt. Dieser Vorschlag war innerhalb der Regierung nicht abgestimmt gewesen. Im Koalitionsvertrag steht: „Wir prüfen die Einführung einer Abgabe für Online-Plattformen, die Medieninhalte nutzen. Die Erlöse sollen dem Medienstandort zugutekommen.“

Eine Sprecherin Weimers wies gegenüber WELT darauf hin, dass die Wettbewerbsbedingungen für deutsche und europäische Digital- und Medienunternehmen verbessert werden müssten, damit diese international konkurrenzfähig bleiben. Es würden „alle rechtlichen, technischen, wirtschaftlichen und vor allem auch europapolitischen Aspekte sehr sorgfältig abgewogen, ebenso wie mögliche Alternativlösungen, zum Beispiel in Form einer freiwilligen Selbstverpflichtung der großen internationalen Plattformunternehmen.“

Aus Sicht der deutschen Medienhäuser sollte die Abgabe möglichst rasch kommen. „Es ist doch unsere gemeinsame Verantwortung, für faire Wettbewerbsbedingungen zu sorgen“, sagt Jörg Eggers, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger gegenüber WELT. „Digitale Gatekeeper erzielen Milliardengewinne in Deutschland mit den Daten der Menschen und Unternehmen von hier. Sie zahlen aber kaum Steuern. Eine Digitalabgabe stellt sicher, dass Wertschöpfung dort besteuert wird, wo sie entsteht.“

Politische Eingriffe bei Microsoft

Aus Sicht von Eggers hat so eine Abgabe „nichts mit Handelshemmnissen zu tun“. Es gehe vielmehr „um die Zukunft des vielfältigen Wirtschaftsstandorts Deutschland und damit auch um die Zukunft der Medienvielfalt. Am Ende geht es um die Stimme unserer Demokratie.“ Man dürfe nicht zulassen, dass „globale Digitalkonzerne unsere Öffentlichkeit und unser Gemeinwohl aushöhlen“, warnte er.

Auch der Präsident des Bundeskartellamts, Andreas Mundt, warnte vor einer wachsenden Marktmacht der Digitalkonzerne. Er wies in einer Pressekonferenz seiner Behörde darauf hin, dass Amazon, Meta und Google über gigantische Datenmengen und die zugehörigen Rechenleistungen verfügten, was ihnen einen großen Vorsprung im Bereich künstliche Intelligenz verschafft. „Die Wettbewerbsaufsicht auf den digitalen Märkten wird künftig noch wichtiger werden“, sagte Mundt voraus.

Im Bereich der Cloud-Dienste gebe es in Europa bereits enorme Abhängigkeiten von US-Konzernen. Aus seiner Sicht ist das nicht nur eine Gefahr für den Wettbewerb, sondern auch eine Frage der digitalen Souveränität Europas. Es gebe bereits politische Eingriffe. Mundt erinnerte an den Fall des Chefanklägers des internationalen Gerichtshofs in Den Haag: Nach einer Order von US-Präsident Trump im Februar hat Microsoft dessen E-Mail-Konten stillgelegt. „Das demonstriert die Abhängigkeit in Europa von der digitalen Infrastruktur, die uns amerikanische Unternehmen zur Verfügung stellen“, sagte er.

Ob eine Steuer diese Abhängigkeit verringern kann? In der Digitalbranche ist man klar dagegen. „Ganz gleich, wie eine Digitalsteuer oder -abgabe ausgestaltet wäre: Am Ende zahlen nicht nur die betroffenen Unternehmen, es zahlen vor allem auch deutsche Unternehmen, Verwaltungen, Verbraucherinnen und Verbraucher – durch steigende Preise gerade dort, wo es kaum Alternativen gibt“, sagt Ralf Wintergerst, Präsident des Digitalverbands Bitkom. Jede zusätzliche Belastung digitaler Dienste wirke wie eine Bremse auf die digitale Transformation. „Sie verteuert Infrastruktur, verlangsamt Modernisierung und trifft insbesondere den Mittelstand, der auf digitale Plattformen angewiesen ist.“

Im Bitkom sind auch die deutschen Töchter der US-Konzerne Amazon, Google und Microsoft Mitglied. Für Wintergerst liegt der Unterschied in den Standortbedingungen: „In den USA wird jährlich fast zehnmal so viel in Digitalisierung investiert wie in Deutschland. Diese Lücke wird sich nicht mit weiteren Belastungen schließen lassen“, sagt er. Stattdessen brauche die Branche niedrigere Stromkosten für Rechenzentren und Telekommunikationsnetze und weniger regulatorische Hürden für digitale Innovationen.

Karsten Seibel ist Wirtschaftsredakteur in Berlin. Er berichtet unter anderem über Haushalts- und Steuerpolitik.

Daniel Zwick ist Wirtschaftsredakteur in Berlin und berichtet für WELT über Wirtschafts- und Energiepolitik, Digitalisierung und Staatsmodernisierung.

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