Vom exzentrischen Prototyp zum globalen Kultprodukt: Das Brompton ist ein Unikat auf zwei Rädern. Ein Werkstattbesuch zeigt Tradition, Technik und Strategie des Faltrad-Herstellers - in London, einer der teuersten Städte der Welt. Dort zu produzieren sei "absoluter Wahnsinn", sagt der Brompton-Chef.
London, Hochsommer 2025. Die Hitze liegt schwer über der Stadt, die U-Bahnen gleichen überfüllten Saunen. Während viele nach Schatten und Klimaanlagen suchen, dreht sich im Westen der Stadt ein anderes Rad der Zeit: klein, klappbar, mit einem Hauch britischer Exzentrik. Sein Rahmen, kunstvoll mit Messing gelötet, wirkt wie eine spleenige Kuriosität, die doch ganz im Hier und Jetzt unterwegs ist: das Brompton.
50 Jahre ist diese Faltradidee nun geworden. Ein Alter, bei dem manch einer ans Zurücklehnen denkt. Brompton dagegen tritt in die Pedale. Diese sehr britische Marke, die Andrew Ritchie 1975 mit einem ersten Prototypen ins Rollen brachte und 1981 offiziell gründete, denkt nicht ans Aufgeben - sondern an Expansion, neue Modelle, elektrische Optimierungen. Und das alles von einem Ort aus, an dem Fahrradfertigung eigentlich nichts zu suchen hat: mitten in London.
"Absoluter Wahnsinn", sagt Will Butler-Adams mit ernster Miene. Der CEO von Brompton lenkt die Geschicke der Firma seit bald 20 Jahren. Die Idee, Fahrräder in einer der teuersten Städte der Welt zu produzieren, scheint, so räumt er ein, jeder wirtschaftlichen Logik zu widersprechen. Und ist doch der Kern des Erfolgs.
Spezialisierte Brazers
In Greenford, einem unscheinbaren Stadtteil im Westen, entstehen in einer zweckmäßigen, aber modern eingerichteten Fabrikhalle jeden Tag mehrere hundert Falträder der Marke. Jedes einzelne basiert auf einem handgelöteten Rahmen, der den Anspruch erhebt, eine kleine Ingenieurs-Symphonie auf zwei Rädern zu sein. Made in London.
Tatsächlich basiert die Fertigung des Rahmens auf ein in der Fahrradwelt beinahe ausgestorbenes Kunsthandwerk: das Messinglötverfahren. Bei vergleichsweise niedrigen Temperaturen fügen hier spezialisierte "Brazers" - so ihr offizieller Titel - die filigranen Stahlteile zu einem Rahmen zusammen. Ihre Arbeit gleicht eher der eines Goldschmieds als der eines Industriemechanikers. 38 von ihnen gibt es aktuell bei Brompton. Damit bilden sie rund 10 Prozent der in der Produktion beschäftigten Belegschaft.
Ihre Ausbildung dauert bis zu drei Jahre, das Meisterlevel wird nach zehn Jahren erreicht. Dann dürfen sie auch die prominentesten Nähte an den ikonischen Rahmen schweißen - eine Art Ritterschlag in der Brompton-Welt.
Neue Brazers zu finden, ist alles andere als einfach, sagt Butler-Adams. Nicht jeder bringt die Geduld, Präzision und Ausdauer mit, die diese anspruchsvolle Handarbeit erfordert. Und noch weniger Menschen möchten einen solchen Beruf ein Leben lang ausüben. Einer der beim Werksbesuch anwesenden Brazer blickt auf immerhin 17 Jahre bei Brompton zurück. Mit einer Hire-and-Fire-Kultur ließe sich dieses Know-how jedenfalls nicht kultivieren.
Kompaktes Faltrad - seit 2024 etwas weniger kompakt
Über 1,2 Millionen Räder hat die beharrlich, aber mit moderatem Tempo expandierende Firma seit ihrer Gründung bis Mitte 2025 gebaut - alle nach demselben Prinzip: ein L-förmiger Rahmen, ein nach unten klappbarer Hinterradbau, ein seitlich einklappbarer Vorderbau.
Das Ganze faltet so kompakt, dass das Rad unter den Arm passt - oder im Zug, im Büro, im Kofferraum, auf der Jacht und im Londoner Pub kaum auffällt. Zumindest trifft das auf die klassischen Modelle mit 16-Zoll-Rädern zu. Die 2024 eingeführte, revolutionäre G-Line, die auf 20-Zöllern steht, faltet nach gleichem Prinzip, aber eben nicht mehr so kompakt.
Warum Brompton nicht einfach die Produktion nach Fernost verlagert wie alle anderen? Butler-Adams sieht die Kontrolle über das Produktion-Knowhow als ein besonders wertvolles Gut, welches man seiner Ansicht nach nicht leichtfertig aus der Hand geben sollte. Von den Gesamtkosten machen die Produktionskosten etwa 15 Prozent aus, was vergleichsweise hoch ist.
In Asien wäre es billiger, aber ...
Mit einer Auslagerung nach Asien ließe sich dieser Anteil deutlich senken. Doch mit der Rahmenfertigung in London sichert sich Brompton die Kontrolle über Qualität und sein zudem größtes USP (Unique Selling Point). Wissen ist wie Zahnpasta: einmal draußen, kriegt man es nie wieder zurück in die Tube. Seine Brazer, die Teil des Vorsprungs sind, entlohnt Butler-Adams im Vergleich zu den anderen Produktionsmitarbeitern deshalb am besten.
Das Besondere: Ihre Nähte halten, weshalb es sich Brompton leisten kann, sieben Jahre Garantie auf dieses entscheidende Bauteil zu geben. Und es ist der Grund, weshalb der monothematische Fahrradhersteller stolze Preise aufrufen kann und muss. Für den Einstieg in die Brompton-Welt werden mindestens 1400 Euro aufgerufen. Für exklusivere und dank Titanrahmen besonders leichte Modelle legt mancher Hardcore-Fan, davon gibt es einige, gerne auch das Drei- oder Vierfache auf den Ladentisch.
Langfristig wird sich dieses hohe Invest übrigens lohnen. Die Räder sind langlebig, was auch für einen in der Fahrradwelt beispiellosen Werterhalt sorgt. Wer sein Brompton pflegt, kann auch nach vielen Jahren auf dem Gebrauchtmarkt eine dem damaligen Neupreis ähnliche Summe erzielen.
Brompton World Championship - ein ganz besonderes Radrennen
Die Marke hat jedenfalls Kultstatus und viele echte Fans. Das zeigte sich auch auf diesem Rennen, an dem wir einen Tag nach dem Fabrikbesuch teilnehmen durften: Brompton World Championship. Ein Radrennen, bei dem Freistil Pflicht ist und nicht wenige Racer ein vornehmes oder extrovertiertes Jackett statt einen Skinsuit tragen. Start: Le-Mans-Stil. Die Fahrer rennen zu ihren zusammengefalteten Rädern, falten hektisch auf, steigen auf und los geht's. Wer einen Zylinder oder ein Fliegenkostüm trägt oder als Letzter startet, erntet zusätzlichen Applaus.
Es ist das vielleicht skurrilste Radrennen der Welt. Zwischen Seidenschals, Netzstrumpfhosen und Tennissocken erblicken wir auch einen Herrn im viktorianischen Dandy-Look. Eine Teilnehmerin setzt hingegen mit einem enganliegenden Goldeinteiler einen starken Akzent. Und mittendrin: wir, schwitzend, aber amüsiert, Teil dieses irrwitzigen Spektakels zu sein.
Die Brompton World Championship ist tatsächlich auch ein sportlicher Wettkampf, doch viel mehr noch eine kulturelle Manifestation. Es geht vielen Teilnehmern dabei um Stil, Haltung, Spaß. Die Devise lautet: "Falten. Fahren. Feiern." Und das funktioniert. Hier trifft britischer Exzentrismus auf urbane und globale Mobilitätskultur, die man in London übrigens besonders häufig hautnah erleben kann.
80.000 Bromptons in London
Wer sich durch die Stadt treiben lässt, wird immer wieder Brompton-Fahrern in ihrem natürlichen Habitat begegnen. Immerhin 80.000 dieser Klappräder soll es in der Stadt geben. Weitere wichtige Märkte des längst weltweit erfolgreichen Kultrads sind Deutschland und der Asien-Pazifik-Raum.
Ob in Europa oder Fernost: Ein Brompton ist für seine Nutzer mehr als ein reines Fortbewegungsmittel. Es ist ein Statement für das Unangepasste, das Liebevolle, das Detailversessene, für den Kampf um eine bessere Umwelt. Und vermutlich ist genau das der Grund, warum dieser kleine, smarte Zweirad-Kuriosität längst weltweit gefragt ist. Und warum in einer Welt voller charakterloser Aluminiumräder aus Asien ausgerechnet ein britisches Klapprad mit Messingschweißnähten so viele Herzen entfalten kann.
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