Die kleinsten, in knuddelige Formen verpackten Volksautos aus Italien erobern bis heute Herzen mit ihrem Charme. Aber es geht diesmal nicht um den Fiat 500: Auch die BMW Isetta verfügt über italienische Gene. Sie sicherte einst BMW das finanzielle Überleben. Eine Chronik.
Im BMW-Museum in München ist sie der Publikumsliebling und in der BMW-Welt gleich nebenan begeistert die 70 Jahre alte Seniorin die Neuwagen-Interessenten. Die 2,28 Meter kurze, meist farbenfroh lackierte BMW Isetta lässt keinen Betrachter unberührt. Kein Wunder, wenn heute das Startup Micro sein Modell Microlino als moderne Interpretation des ikonischen BMW-Kabinenrollers verkauft. Die Isetta in kugeliger Form aus den Golden Fifties fängt bis heute Herzen, ähnlich wie es dem Fiat 500 Nuova oder den Vespa-Motorrollern gelingt.
Mit diesen ikonischen Minimalmotorisierungen teilt sich die BMW Isetta ihre Abstammung. Wurde doch auch diese eiförmige Knutschkugel mit Einzylinder-Motorradantrieb, einer Sitzbank und mit nur einer nach vorn öffnenden Fronttür - Modell Kühlschrank - ursprünglich in Bella Italia entwickelt. Der Kühlschrankfabrikant Renzo Rivolta hatte dort sein Dreirad Isetta zum Erfolgsmodell unter den Rollermobilen gemacht, als BMW auf den Winzling aufmerksam wurde. Ein Dach überm Kopf, das war der Traum fast aller Zweiradfahrer im ersten Nachkriegsjahrzehnt.
BMW hatte gerade mit glamourösen V8-Luxusmodellen und Erfolgen im Motorradsport die Rückkehr in den Kreis der Premiummarken gefeiert, als der Motorradboom abrupt endete. Wurden Anfang der 1950er noch 30.000 BMW-Motorräder pro Jahr verkauft, waren es 1957 nur 5400 Einheiten. Hinzu kam, dass die V8-Pkw keine Gewinne einfuhren. Was tun? Die Bayern erwarben bei Rivolta eine Isetta-Lizenz und spendierten dem Motocoupé Modifikationen, mit denen der Winzling zum Bestseller avancierte. So sicherte die Isetta BMW vorerst das finanzielle Überleben.
Elvis in der Isetta
1954 war das Jahr, in dem das bundesdeutsche Wirtschaftswunder einen neuen Sound bekam: Das Transistorradio sollte die Musikwelt nachhaltig verändern. Ebenso Elvis Presley, der in den USA seinen ersten Song "That's all right Mama" einspielte. Nicht ahnend, dass er wenige Jahre später zum wichtigen Markenbotschafter für BMW avancieren würde, als er einen über 200 km/h schnellen V8-Roadster vom Typ 507 erwarb, aber auch die nur rund 85 km/h flotte Isetta fuhr.
Der bayerische V8 fauchte das erste Mal auf dem Genfer Salon 1954, dies unter der Motorhaube des barock geformten BMW 502. Mit diesem weltweit ersten Leichtmetall-Achtzylinder ernteten die Münchner Respekt in der Prestigeklasse, aber die Kassen klingelten nicht. Im Gegenteil: Die gesamte V8-Palette war wegen der aufwendigen Produktionsabläufe ein Zuschussgeschäft. Als dann auch noch der einträgliche Motorradabsatz einbrach, läuteten die Alarmglocken. Trotz leerer Kassen musste eine neue Geldquelle erschlossen werden, ein Kleinstauto, wie es die bisherige BMW-Motorradklientel suchte.
Ausgerechnet auf der damals weltweit wichtigsten Designmesse, dem Turiner Autosalon, wurde eine BMW-Delegation fündig: Neben sportlichen Designjuwelen wie der neuen Alfa Giulietta Sprint ertönte dort das Räng-Täng-Täng-Zweitakt-Geknatter des schicken Kabinenrollers Iso Isetta.
Neue Art Automobil
Tatsächlich hatte Iso keinen Schrumpf-Kleinwagen auf die Räder gestellt, wie ihn damals etwa die deutschen Entwürfe Fend Flitzer oder Brütsch Mopetta verkörperten. Vielmehr war die Isetta eine neue Art Automobil, dessen Alltagstauglichkeit und hübsche Formen weltweit Fans fanden. So erwarben nicht nur Velam (Frankreich), Isetta of Great Britain oder mehrere südamerikanische Firmen Lizenzen für Nachbauten, sondern auch BMW. Die weiß-blaue Marke erhielt außerdem das Recht zum Isetta-Export auf andere Märkte wie Österreich, in die Schweiz und nach Skandinavien.
Zuvor aber mussten die Münchner Ingenieure den Motor und das Fahrwerk des 350 Kilogramm leichten Fliegengewichts optimieren. Gegenüber dem italienischen Zweitakt-Original baute BMW einen aus der Motorradfertigung bekannten 250-Kubik-Einzylinder-Viertakter ein, der 9 kW/12 PS leistete und das eiförmig gezeichnete Fahrzeug auf 85 km/h Höchstgeschwindigkeit brachte. Ab 1957 ergänzte die 10 kW/13 PS abgebende, aber nicht agilere Isetta 300 das Angebot.
Diese Vmax machte die Isetta Autobahn-tauglich und genügte sogar für die Urlaubsfahrt ins ferne Italien, dem Land damaliger Sehnsüchte. Auf vier Rädern und gut bedacht - die eintürige Isetta verfügte über ein Faltverdeck, das zugleich als behördlich vorgeschriebener Notausstieg diente - dorthin reisen, wovon René Carols Schlager "Sonne über der Adria" oder Peter Alexanders Chartstürmer "Es war in Napoli" erzählten, das war mit der nur 2550 Mark teuren Isetta - fast ein Drittel weniger als ein VW Käfer kostete - auch für manche junge Familie finanzierbar.
Halbes Jahresgehalt
Dem durchschnittlichen deutschen Arbeitnehmer genügte ein halbes Jahresgehalt, um sich diesen Traum vom eigenen Auto zu erfüllen, dem der Brennerpass ins Dolce-Vita-Land nicht zu steil war und das laut BMW-Werbung "weniger Steuer" koste als "ein Großstadt-Dackel". Zugleich traf die wendige Isetta die Frauen ins Herz, vor allem wenn der gut situierte, "etwas eigene Herr Gemahl" - wie es das BMW-Marketing nannte - einen V8-BMW chauffierte. Der Trend zum Zweitwagen war gesetzt.
Zuvor musste sich BMW allerdings gerichtlich gegen die rheinischen Hoffmann-Werke durchsetzen, die keine Lizenz von Iso erhalten hatten und trotzdem die "Hoffmann Auto Kabine" auflegten. Eine Isetta-Kopie, die sich nur durch eine seitliche Tür vom Vorbild differenzierte. Dann aber startete der kleinste BMW-Pkw aller Zeiten durch zum ganz großen Erfolg. Daran hinderten das Motocoupé auch keine Spottnamen wie Schlaglochsuchgerät, Asphaltblase oder Adventsauto in Anspielung auf die aufschwingende Fronttür. Im Gegenteil, das automobile Unikum erlangte nach und nach Kultstatus - sogar im Land der Straßenkreuzer. Hollywoodstars wie Cary Grant zeigten Coolness, wenn sie medienwirksam aus der Fronttüröffnung der Isetta stiegen, Lenkrad und Lenksäule schwenkten dabei zur Seite.
Sogar eine Isetta-Variante mit Rechtslenkung gab es - und eine Serie von 1500 Isetta mit nur drei Rädern, um Steuervorteile auf manchen Märkten zu nutzen. Im Jahr 1957 belebte die optisch modifizierte und technisch aufgewertete Isetta Export das Geschäft und konterte neue Kleinwagen wie das Goggomobil von Glas.
"Geh mit der Zeit - fahr BMW", tönte die Werbung und mehr als 161.000 Isetta-Käufer folgten bis 1962 dieser Aufforderung. Damit überlebte das meistverkaufte Einzylinder-Auto aller Zeiten fast alle direkten Rivalen und die Knutschkugel brachte BMW genug Geld ein, um 1957 den viersitzigen Zweizylinder-Typ 600 zu entwickeln.
Nun ging es voran in München: Zuerst sorgte 1959 der Typ 700 als neuer BMW-Kleinwagen in Pontonform für Furore, dann übernahm der Industrielle Herbert Quandt einen erheblichen Teil des BMW-Kapitals und stellte so die Weichen für den Start der "Neuen Klasse". Nun hatte BMW seine größte Krise überwunden, und die Isetta konnte abtreten und zum Klassiker reifen.
Chronik BMW Isetta
1948: BMW nimmt die Produktion von Motorrädern wieder auf. Im Mai genehmigt der BMW-Aufsichtsrat die Konstruktion des Oberklassemodells BMW 501
1951: Auf der IAA in Frankfurt feiert der BMW 501 am 17. April Weltpremiere. Der für den Herbst geplante Serienstart des 501 gelingt nicht, da es an Karosseriefertigungseinrichtungen fehlt
1952: Im November Produktionsbeginn des BMW 501 mit Karosserien des Stuttgarter Karosserieherstellers Baur. Die Listenpreise des BMW 501 beginnen bei 15.150 Mark. Damit ist der BMW 501 die zweitteuerste Limousine (nach dem Mercedes 300) aus deutscher Produktion. Im Dezember erfolgt die erste Auslieferung eines BMW 501 an einen Endkunden
1953: Der 1000. BMW 501 wird im September ausgeliefert. Die Fahrzeugmarke Iso Autoveicoli S.P.A. wird eingetragen. Zunächst konzentriert sich die Produktion auf das dreirädrige Modell Iso Isetta Turismo, einen Kabinenroller, der ab 1954 in rund 20.000 Einheiten gebaut wird
1954: Auf dem Genfer Salon debütiert der BMW 502 mit dem ersten in Großserie gebauten europäischen V8-Leichtmetallmotor (100 PS Leistung aus 2,6 Liter Hubraum), gleichzeitig zeigen sich dunkle Wolken am Himmel für das bis dahin florierende Motorradgeschäft. BMW sucht nach einem neuen Erfolgsmodell, das die Kassen füllt. Iso vergibt Lizenzen für das Modell Isetta nach Frankreich (Velam), Spanien (Iso Espana), Großbritannien (Isetta of Great Britain), Brasilien (Romi-Isetta) und Argentinien (De Carlo Isetta). Vor allem aber nach Deutschland an BMW, wo das Kleinstfahrzeug als BMW Isetta, nun mit vier Rädern, ein Großserien-Bestseller wird. BMW-Mitarbeiter hatten den Iso zuvor auf dem Turiner Salon gesichtet und die Weiterentwicklung zum vierrädrigen Rollermobil konzipiert. BMW erhielt das Recht zum Isetta-Export nach Österreich, in die Schweiz und nach Skandinavien. Die Lintorfer Hoffmann-Werke produzieren eine Kopie der Isetta (allerdings mit seitlicher Tür), nachdem sie von Iso keine Lizenz erhalten haben. Nach etwa 100 produzierten "Hoffmann Auto Kabinen" wird die Produktion eingestellt, denn BMW gewinnt einen Plagiatsprozess gegen das rheinische Unternehmen. Die Iso Isetta startet bei der Mille Miglia, das mit einem Achtungserfolg. Auf der über 1600 Kilometer langen Strecke erreichen die Fahrer eine Durchschnittsgeschwindigkeit von über 70 km/h
1955: Am 5. März Vorstellung des Motocoupés BMW Isetta 250, deren Fertigung im April startet. Die Außenlänge beträgt nur 2,29 Meter, der Radstand 1,50 Meter, das Leergewicht 350 Kilogramm. Mit nur 250 Kubikzentimetern Hubraum zielt die Isetta auch auf die Inhaber des alten Führerscheins der Klasse IV. Die eigenwillige Figur der ursprünglich italienischen Kreation galt sogar als chic. So gewinnt die Isetta im Juni den Schönheitswettbewerb beim Automobilturnier in Bad Harzburg in der Preisklasse bis 4.000 Mark. Am 20. November feiert BMW die Auslieferung der 10.000. Isetta. Die Tagesproduktion von rund 120 Isetta genügt nicht, inzwischen beträgt die Lieferzeit mehr als einen Monat. Die Isetta sichert BMW erstmals nach dem Krieg einen Bilanzgewinn
1956: Im Februar Produktionsanlauf der Isetta 300. Neu ist die serienmäßige Handbremse. Im Oktober startet die Fertigung der modifizierten und besser ausgestatteten BMW Isetta Export (250 und 300). Neu sind Schiebefenster an den Seiten sowie eine kleinere Heckscheibe aus Sicherheitsglas. Entfall der bisherigen Ausstellfenster. Statt Reibungsdämpfer nun auch an Vorderachse Teleskopstoßdämpfer. Im Juni exportiert Albrecht Graf Goertz, Designer, u.a. für den BMW 507, eine Isetta in die USA. Dort wird sie getestet und mit anderen Scheinwerfern ausgestattet. BMW verkauft 1.000 Isetta in die USA. Die Isetta ist das meistverkaufte Rollermobil auf dem deutschen Markt. BMW bietet Umbauversionen für Behinderte an. Außerdem wird ein Pickup-Modell konzipiert, das auf der Cabrioversion der Isetta (als Cabriolimousine mit Faltverdeck, aber festem Dachrahmen und ohne Heckscheibe) basiert. Als Studie entsteht eine viersitzige Isetta mit zwei Fondtüren, das erste Konzept für den späteren BMW 600, der allerdings aus Kostengründen mit nur einer seitlichen sowie der vorderen Tür auskommen musste. Die 25.000. Isetta verlässt das Werk in München-Milbertshofen am 26. Mai, die Tagesproduktion beläuft sich auf 180 Isetta. Allerdings scheint die Ära der Rollermobile nach rund 30.000 Einheiten ihren Zenit zu erreichen. Die potenziellen Kunden warten auf das Debüt neuer vollwertiger Kleinwagen. Zum 1. September muss BMW überraschend 600 Mitarbeiter aus der Produktion entlassen, die Isetta stehen auf Halde, und 1.500 Einheiten werden bei der Spedition Strasser eingelagert, um auf dem Betriebsgelände in Milbertshofen Freiraum zu schaffen. BMW muss nach einer Lohnerhöhung für die Mitarbeiter den Preis der Isetta um 200 Mark auf 2.750 Mark erhöhen. Neu konzipiert werden ein Isetta Lieferwagen und ein Isetta Cabriolet
1957: Die Verkaufszahl der Isetta steigt wieder an. Im Lauf des Januar kann BMW bereits die 40.000ste Isetta ausliefern. Die Restbestände der Isetta Standard werden zum rabattierten Preis von 2.490 Mark als Isetta Standard '57 verkauft. Der BMW 600 wird im Dezember in Serienfertigung geschickt, ebenfalls mit Motorradmotor (aus der BMW R 50). Als Einzelstück entsteht auf Basis des BMW 600 ein Jagdwagen
1959: Nach knapp zwei Jahren endet im November die Produktion des BMW 600. Nachfolger wird der größere BMW 700 in Pontonform. Für Exportmärkte werden rund 1.500 BMW Isetta als Dreirad produziert, um so eine günstigere Steuereinstufung zu erreichen
1962: Nach 161.728 Einheiten Produktionsende für die BMW Isetta. Die Isetta ist das meistgebaute Einzylinder-Auto aller Zeiten. Der Vorstandsbericht 1962 vermerkt: "Die Isetta-Herstellung lief nach Aufarbeitung der Vorräte im Mai planmäßig aus."
2016: Auf dem Genfer Automobilsalon debütiert der vollelektrische zweisitzige Micro Microlino No. 1 in einem Design, das an die BMW Isetta erinnert. Entwickelt wurde der Microlino von Micro Mobility Systems zusammen mit der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Der Microlino soll bei Serienstart rund 11.000 Euro kosten, inklusive 11-kWh-Batterie für 120 km Reichweite. Die Serienversion kostet dann allerdings 19.900 Euro. Als auf 45 km/h gedrosseltes Leichtfahrzeug L6e kostet der Microlino lite ab 17.900 Euro
2019: In der vom ZDF ausgestrahlten dreiteiligen Familienchronik "Bella Germania" bilden die Historien von Iso Isetta und BMW Isetta Handlungsschwerpunkte
2022: Die Einführungsversion des Microlino wird in Turin produziert. Der Hersteller des Microlino erhebt Urheberrechtsklage gegen den Anbieter eines ähnlichen Fahrzeugs
2025: Der Microlino Spider debütiert auf dem Brüsseler Salon, nachdem im Herbst 2024 der Microlino Spiaggina in Serie ging. 70 Jahre Isetta feiert BMW mit verschiedenen Aktionen. Bis heute gilt die Isetta im BMW-Museum in München als populärste Publikumsattraktion und auch der Markentempel "BMW-Welt" würdigt die Isetta kontinuierlich mit Ausstellungen besonderer Typen wie einer elektrifizierten Isetta
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.