Im Nachtzug sollen die Gäste möglichst ausgeschlafen und entspannt ans Ziel kommen. Damit das klappt, gibt es die Nachtschaffnerinnen und -schaffner. Kein einfacher Job: Sie sind Kellner, Problemlöser und Seelsorger in einem.

Die Reise beginnt in Hamburg-Altona. Petra Klinger strahlt, als sie ihre Kollegen an Gleis 9 begrüßt. Gerade einmal vier Stunden Schlaf hat die Schaffnerin der Österreichischen Bundesbahnen nach ihrer Fahrt von Wien nach Hamburg bekommen. Und nun geht es schon zurück. Aber das findet sie nicht schlimm. "Fünf oder sechs Stunden wären natürlich besser, aber vier reichen mir auch, um die Nacht durchzuhalten", erzählt die 40-Jährige.

Die Aufgabe der Zugbegleiterinnen und -begleiter ist es, die Reisenden glücklich und ausgeruht ans Ziel zu bringen. Das klingt erstmal einfach, aber es wird noch eine lange Nacht für Klinger.

Die Reise geht los, am Hamburger Hauptbahnhof steigen die meisten Fahrgäste zu. Klinger betreut zwei Waggons mit unterschiedlichen Unterbringungsarten. Im sogenannten Schlafwagen gibt es einzelne Abteile für zwei bis vier Personen. Hier ist man eher hochpreisig unterwegs. Ein Abteil für zwei Personen kann schon mal mehr als 400 Euro kosten. 

Abteil oder Kabine

Eine Familie aus Dänemark erkundet hier gerade ihre zwei Kabinen. Aber eine wichtige Sache fehlt: das Toilettenpapier. Zumindest bemängeln das die Kinder.

Petra Klinger kann aber schnell helfen: Das Toilettenpapier hatte sich nur etwas versteckt unter einer Klappe im Bad. Die Deluxe-Abteile haben sogar eine Dusche an Bord. "Das ist alles neu für uns, wir sind noch nie mit dem Nachtzug gefahren", sagt der dänische Familienvater. Er sei ein bisschen aufgeregt, ob alles klappe.

Im Waggon nebenan, dem Liegewagen, reist man deutlich günstiger. Hier sind die sogenannten Mini Cabins untergebracht. Diese kleinen Ein-Mann-Kabinen gibt es in den neuesten Zügen der ÖBB, die seit Ende 2023 unterwegs sind. Man kann darin aufrecht sitzen und sich hinlegen.

Neben Handyladestation und kleinem Klapptisch in der Kabine, gehören auch verschließbare Gepäck-Fächer außerhalb dazu. Schon für 80 Euro kann man in einer solchen Kabine von Hamburg nach Wien fahren.

Reise auf Schienen aus Überzeugung

Auch die drei Brüder Dominique, Marcel und Kjell Reimann haben sich für dieses Angebot entschieden. Der jüngste, Kjell, hat von den beiden älteren eine Reise nach Florenz zum 18. Geburtstag bekommen. Beim Zwischenstopp in Wien wollen sie die Sehenswürdigkeiten der Stadt erkunden und sich auf dem Naschmarkt durchprobieren.

Die Reise auf Schienen ist für sie Überzeugungssache: "Der Klimawandel bereitet mir Sorgen, deshalb versuche ich möglichst wenig zu fliegen", sagt Marcel Reimann. Daher hätten sie sich für den Nachtzug entschieden, und weiter: "Man hat ja auch keine Nachteile gegenüber dem Fliegen - im Gegenteil, ich finde das deutlich angenehmer als den ganzen Stress, den man am Flughafen sonst hat." 

"Leute, die mit ihrem Stress auf uns losgehen"

Gegen 22 Uhr hält der Zug plötzlich an. Ein Unfall auf der Strecke, heißt es. Nun muss der Zug eine Umleitung fahren und baut langsam, aber sicher eine deutliche Verspätung auf.

Für Klinger sich solche Nachrichten Alltag. Seit zwölf Jahren ist sie in Nachtzügen unterwegs. Mit 18 Jahren kam sie aus Sri Lanka nach Österreich. "Eigentlich wollte ich immer Krankenschwester werden", erzählt sie. "Aber dann musste ich schnell selbstständig sein und brauchte rasch einen Job, dann habe ich mich für die Züge beworben."

Auch ihr Mann ist Schaffner. "Wir wechseln uns ab zuhause bei den Kindern, deshalb haben wir eine super Ehe. Wir sehen uns selten", sagt Klinger und lacht.

Plötzlich wird es laut im Gang. Ein Fahrgast ist gerade zugestiegen und will ein Einzelabteil für sich haben - gebucht hat er allerdings einen Schlafplatz in einem gemischten Abteil, in dem schon eine weitere Person liegt.

Klinger erklärt ihm das ruhig, aber der Mann wird ausfallend. Am Ende bekommt die erfahrene Zugbegleiterin ihn aber beruhigt und findet sogar noch ein freies Abteil, der Mann ist zufrieden. "Es gibt immer Leute, die mit ihrem eigenen Stress auf uns losgehen, damit muss man irgendwie umgehen. Wenn wir eine Lösung haben, schauen wir, was wir tun können. Bei ganz aggressiven Fahrgästen, können wir auch die Polizei rufen", sagt sie.

Aber der Beruf hat auch tolle Seiten, findet Klinger. Sie schwärmt von den vielen Geschichten, die sie immer wieder mit nach Hause bringt. "Einmal hatten wir fünf Stunden Verspätung auf dem Weg nach Rom. Und plötzlich kam ein junger Mann auf uns zu und sagte, dass er sich verloben wolle im Zug. Wir haben dann schnell Sekt und Schokolade aus dem Cateringwagen besorgt und dann hat er tatsächlich den Antrag gemacht. Das hat sich wie ein Lauffeuer im Zug herumgesprochen und danach war die Verspätung vergessen", freut sich Klinger. 

Ein offenes Ohr für Reisende

Oft hat sie auch bei Sorgen und Nöten ihrer Fahrgäste ein offenes Ohr. Einmal etwa habe sie sich die ganze Fahrt über mit einer nervösen älteren Dame unterhalten, die noch nie ihre Heimat verlassen hatte und nun das erste Mal auf große Reise ging.

Oder ein anderes Mal sei ihr eine demente Frau weit nach Mitternacht auf dem Gang begegnet, die ihr Abteil nicht mehr finden konnte. Klinger betreute sie und fand am Ende den Ehemann, der tief schlafend in seiner Kabine nicht bemerkt hatte, dass seine Frau weggegangen war. Auch deshalb liebe sie ihren Beruf, sagt Klinger, weil jeder Tag anders ist.

Gegen zwei Uhr ist es still im Waggon. Nur das leise Rattern des Zuges ist zu hören und die surrende Lüftung. Nun kann sich auch Klinger einmal kurz ausruhen. Zehn Minuten macht sie die Augen zu, das reiche ihr völlig, sagt sie.

Im Morgengrauen kocht sie dann Kaffee, bereitet das Frühstück vor und weckt die ersten Fahrgäste, die bereits vor Wien aussteigen. Die Verspätung hat sich mittlerweile auf mehr als zwei Stunden verlängert - eine Oberleitungsstörung ist noch dazugekommen. Mit Frühstückstabletts in der Hand bahnt sich Klinger ihren Weg durch die Waggons, fragt nach, wie die Nacht war und wünscht einen guten Morgen.

"Also ich habe gut geschlafen, auch wenn ich immer mal aufgewacht bin bei starken Bremsungen", sagt Marcel Reimann. Er und seine Brüder wollen nun direkt die Stadt erkunden. Bei der dänischen Familie war die Nacht nur teilweise erholsam. "Meine Tochter hat wie ein Engel geschlafen, aber mein Sohn fast gar nicht, wegen der kalten Lüftung und dem Ruckeln", sagt die Mutter.

Gegen 11 Uhr fährt der Zug dann am Wiener Hauptbahnhof ein und zumindest einige Fahrgäste starten ausgeruht in den Tag in Wien. Petra Klinger hat nach mehr als 15 Stunden Feierabend. Vorbei ist ihr Tag aber noch nicht. Zuhause wartet auch noch Arbeit - ihre Tochter feiert Kindergeburtstag.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.