Bundesbildungsministerin Prien hat kürzlich eine Migrationsquote an Schulen als "denkbares Modell" bezeichnet. Doch das ist keine Lösung, sagen Lehrerinnen. Schulen in Schleswig-Holstein gehen andere Wege.
"Das ist einfach für mich", sagt Aahil, "Ja, easy!" schiebt er noch hinterher und lächelt schelmisch dabei. Gerade hat der acht Jahre alte Junge mit etwas Mühe einen Text über Otto Lilienthal und die Anfänge des Fliegens vorgelesen. Es ist 9:30 Uhr an der Astrid-Lindgren-Grundschule in Elmshorn, nördlich von Hamburg.
Aahil ist bei Susanne Peters in der Klasse 2b. "Vor ungefähr sechs Jahren" ist er mit seinen Eltern aus Pakistan nach Schleswig-Holstein gekommen. Die Eltern sprechen kaum Deutsch, das ist bei etwa 40 Prozent der Kinder an dieser Schule so. Das macht das Lesen lernen zum Problem. "Spracharmut" nennt die Klassenlehrerin Susanne Peters das. Aber davon seien längst nicht nur Kinder mit Migrationshintergrund betroffen.
Auch in deutschen Familien wird zu wenig gelesen
"Spracharmut hat nicht nur etwas damit zu tun, ob ich aus Deutschland komme, oder ob Deutsch meine Muttersprache ist oder nicht," sagt Susanne Peters. Auch in vielen deutschen Familien sprächen Eltern zu wenig mit ihren Kindern und lesen nicht vor. "Und das wäre so wichtig für die Kinder, denn dann können sie Wörter und ihre Bedeutung schon einmal kennenlernen."
Mittlerweile haben ein Viertel aller Viertklässler in Schleswig-Holstein massive Probleme, richtig zu lesen und zu schreiben. Das gefährdet ihren Erfolg auf dem weiteren Bildungsweg.

Spracharmut betrifft nicht nur Kinder mit Migrationshintergrund, erklärt Lehrerin Peters.
"Würfellesen" gegen die Spracharmut
Seit den Osterferien erprobt Susanne Peters in ihrer Klasse deswegen das "Leseband", ein Konzept, um Kinder systematisch Freude am Lesen zu vermitteln. Jeden Tag übt sie mit ihrer Klasse 20 Minuten, einen Text zu lesen. Die Kinder arbeiten in Gruppen, mit einem Würfel bestimmen sie, ob sie gemeinsam im Chor lesen oder allein. "Gerade bei den leistungsschwächeren Kindern bemerke ich schon einen deutlichen Fortschritt, das sind auch die Kinder, die zu Hause wenig lesen. Die haben jetzt jeden Tag 20 Minuten Lesezeit, das zahlt sich schon aus."
Von einer Obergrenze für Kinder mit Migrationshintergrund hält sie nichts: "Wo kommen die Kinder dann hin? Schicken wir sie dann 20 Kilometer weiter, wo eine Schule dann vielleicht Kapazitäten hat?" Außerdem hätten die Kinder dann keine Spielkameraden am Nachmittag, und das sei wieder schlecht für die Sprachentwicklung und Integration.
Fachkräftemangel an Grundschulen
"Wir nehmen die Kinder, wie sie kommen" - die Leiterin der Astrid-Lindgren-Grundschule, Bärbel Blieske, ist überzeugt von ihrer Arbeit, von einer Migrationsquote hält auch sie nichts. Ihre Schule ist eine von 135 sogenannten "Startchancen Schulen" in Schleswig-Holstein. Das bedeutet, dass Schulen in einem sozial belasteten Umfeld mehr Geld von Land und Bund gerade für die Sprachförderung bekommen. Das ist auch nötig, findet Blieske, denn: "In vielen Elternhäusern findet Sprache nicht mehr statt." Doch Geld allein hilft ihr nicht weiter.
"30 Prozent unserer Lehrerkräfte sind noch im Studium, oder sie kommen aus anderen Berufen." Überall im Land sind Lehrerinnen und Lehrer gesucht. Und gerade der Unterricht für Deutsch als Zweitsprache besonders qualifizierte Menschen.

Schulen brauchen Mittel für Sprachförderung, sagt Schulleiterin Blieske.
Sprachbad - Lernen mit allen Sinnen
"Schau-fel, Re-gen-schirm, Mö-we." Susanne Muxfeld setzt sich zu David, der vor Kurzem aus der Ukraine gekommen ist. In der DaZ-Klasse bringt sie Kindern, die gar kein oder kaum Deutsch sprechen, die Sprache mit allen Sinnen bei. DaZ steht für Deutsch als Zweitsprache.
Susanne Muxfeld arbeitet mit Geräuschen, Musik, Bildern und mitgebrachten Alltagsgegenständen. "Plansch-Becken, Ba-de-hos-se." Noch verzieht David etwas hilflos das Gesicht, aber Frau Muxfeld lässt nicht locker. Immer wieder übt sie, bis er ein Wort gelernt hat. Das ist ein zähes Geschäft, aber es lohnt sich.
"Sprachbad" nennen das die Lehrerinnen hier. Sie wollen die Kinder mit so viel richtiger Sprache wie möglich umgeben. Davids Sitznachbar Mesut ist vor ein paar Monaten aus der Türkei gekommen, jetzt hat er es geschafft. Er wird nach den Ferien in die Regelklasse gehen und mit den anderen Kindern lernen, mit Aahil. "Easy."
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