Kanzler Merz hat den Auftakt gemacht bei den diesjährigen ARD-Sommerinterviews. Die meisten Aussagen halten einer Überprüfung stand. Doch bei der Vermögenssteuer lag er falsch - wie auch beim Umfang der bereits verabschiedeten Gesetze.

Beim ARD-Sommerinterview mit Bundeskanzler und CDU-Chef Friedrich Merz ging es unter anderem um den jüngsten Streit wegen der Nominierung der Juristin Frauke Brosius-Gersdorf für das Bundesverfassungsgericht, den Umgang der Union mit der AfD und den Krieg in Nahost. Dabei tätigte er insgesamt nur wenige Aussagen, die sich faktisch überprüfen lassen. Da es während eines solchen Gesprächs nicht immer möglich ist, falsche oder irreführende Behauptungen sofort zu korrigieren, werden hier einige Aussagen von Merz noch einmal genauer beleuchtet.

Vermögenssteuer ist nicht verfassungswidrig

Zur Vermögenssteuer sagte Merz nach Fragen der tagesschau-Community im Anschluss an das ARD-Sommerinterview: "Die Vermögenssteuer kommt gar nicht." Das Bundesverfassungsgericht habe das vor zig Jahren ausgesetzt, "weil die Vermögensteuer in Deutschland einfach nicht erhoben werden kann, weil jede Form einer Vermögenssteuer gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes verstößt." Doch das stimmt so nicht.

Die Vermögensteuer ist nicht verfassungswidrig - im Gegenteil: Im Artikel 106 des Grundgesetzes ist sie explizit als mögliche Steuereinnahmequelle genannt. Das Vermögensteuergesetz wurde nie abgeschafft. Die Abgabe wird jedoch nicht mehr erhoben, seitdem das Bundesverfassungsgericht 1995 die damalige Bemessungsgrundlage als unvereinbar mit dem Grundgesetz erkannt hatte - nicht jedoch die Steuer selbst. Dem Gesetzgeber wurde in der Entscheidung eine Frist eingeräumt, die Bemessungsgrundlage neu zu definieren, worauf er aber verzichtete. 

Nicht alles wie geplant vor Sommerpause umgesetzt

Mit Blick auf die bisherige Arbeit der schwarz-roten Koalition behauptete Merz, die Regierung habe den Koalitionsvertrag "punktgenau" eingehalten. Auch habe sie alle Gesetzesvorhaben durch den Bundestag bekommen, die noch vor der Sommerpause verabschiedet werden sollten. Das ist so nicht richtig.

Die Senkung der Stromsteuer auch für Verbraucherinnen und Verbraucher wurde im Koalitionsvertrag festgeschrieben, gesenkt wird die Steuer zunächst allerdings nur für das produzierende Gewerbe und die Land- und Forstwirtschaft. Die Entlastung der privaten Haushalte ist damit zwar nicht vom Tisch und soll im Verlauf der Legislaturperiode wieder aufgegriffen werden, hier bleibt die Regierung allerdings ein zentrales Versprechen des Koalitionsvertrags noch schuldig.

Ende Mai wurde im Kabinett und im Koalitionsausschuss eine Liste mit Gesetzesentwürfen erarbeitet, die noch vor der Sommerpause durch den Bundestag verabschiedet werden sollten - was nicht bei allen Vorhaben gelang. So wurden zum Beispiel in der Kabinettssitzung am 28. Mai vier Gesetzesentwürfe beschlossen, von denen bisher nur drei durch den Bundestag gebracht wurden: Bereits durch den Bundesrat verabschiedet sind mittlerweile die Verlängerung der Mietpreisbremse und ein Gesetz zum schnelleren Ausbau des Mobilfunk- und Glasfasernetzes.

Von den beiden Gesetzesentwürfen zum Thema Migration ging bisher nur eines durch den Bundestag, nämlich die Aussetzung des Familiennachzugs bei subsidiär Schutzberechtigten. Der Entwurf zur Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts - welcher die von der Ampel-Regierung eingeführte Möglichkeit der Einbürgerung nach drei Jahren zurücknehmen sollte -, wird den Bundestag auch nach der Sommerpause noch beschäftigen.

Bundeskanzler Friedrich Merz, CDU, im ARD-Sommerinterview

Bericht aus Berlin, 13.07.2025 18:00 Uhr

Vergleichszeitraum bei Bürgergeldempfängern entscheidend

Merz sagte, dass die Zahl derjenigen, die arbeiten können, es aber gar nicht oder nur in Teilzeit tun, um dann aufzustocken, größer wird. Zum Teil werde es sogar richtig organisiert, dass Menschen nur in geringfügige Beschäftigung gingen, Aufstocker würden und Schwarzarbeit machten. Die Zahl der Schwarzarbeit habe zugenommen in den letzten Jahren. Diese Aussagen sind größtenteils richtig, allerdings auch vom Betrachtungszeitraum abhängig.

So lag die Zahl der erwerbsfähigen Bürgergeldempfänger laut Bundesagentur für Arbeit im vergangenen Jahr bei 3.987.700 - ein leichter Anstieg um 1,48 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. In den Jahren davor waren es noch weniger. Höher lag die Zahl der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten zuletzt im Jahr 2020. Allerdings waren es 2024 im Vergleich zum letzten Jahrzehnt wiederum immer noch verhältnismäßig wenig - bis 2018 waren es teilweise weit mehr als vier Millionen.

Die Zahl der arbeitslosen, erwerbsfähigen Bürgergeldempfänger stieg 2024 um 4,38 Prozent auf 1.753.852 - mehr waren es zuletzt im Jahr 2016. 353.674 von ihnen hatten dabei ein Einkommen bis zur Geringfügigkeitsgrenze (derzeit 556 Euro im Monat). Das sind ähnlich viele wie im Vorjahr und zum Teil deutlich weniger als alle Zahlen bis einschließlich 2021. Somit stimmen Merz' Aussagen über erwerbsfähige und geringverdienende Bürgergeldempfänger mit Blick auf die Jahre von 2022 bis 2024. Über einen längeren Zeitraum betrachtet gab es in der Vergangenheit jedoch teilweise deutlich mehr.

Schattenwirtschaft seit 2021 jährlich gestiegen

Auch bei der Schwarzarbeit kommt es darauf an, welcher Vergleichszeitraum genommen wird. Nach Angaben des Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung stieg der Umfang der sogenannten Schattenwirtschaft seit dem Jahr 2021 jährlich in absoluten Zahlen an. Ein relevanter Wert hierbei ist vor allem das Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukts (BIP) des jeweiligen Jahres.

Demnach lag der Anteil der Schattenwirtschaft am BIP in Deutschland im Jahr 2021 noch bei 9,2 Prozent und lag Schätzungen zufolge im Jahr 2024 bei 11,1 Prozent. Für das Jahr 2025 liegt die Prognose 11,5 Prozent. Seit 2021 ist die Schattenwirtschaft in Deutschland demnach jedes Jahr gestiegen, sodass Merz' Aussage für diesen Zeitraum stimmt.

Lügen ist nicht verboten

Nach dem Sommerinterview beantwortete Merz noch Fragen aus der tagesschau-Community. Dort sagte er zum Thema Desinformation im Netz: "Ich bin nicht der Meinung, dass die digitale Welt da auch rechtlich, verfassungsrechtlich völlig anders beurteilt werden muss als die analoge Welt. Auch in der analogen Welt war die Verbreitung von falschen Nachrichten unzulässig. Warum soll das in der digitalen Welt anders sein?" Doch Lügen ist in der analogen Welt gar nicht verboten, wie Merz es impliziert.

In Deutschland ist der Begriff der Meinungsfreiheit sehr weit gefasst - und umfasst auch das Verbreiten von unwahren Behauptungen, sofern sie nicht andere Gesetze verletzen, wie es zum Beispiel bei Verleumdung und Volksverhetzung der Fall ist. Die Medienrechtler Tobias Gostomzyk und Victor Meckenstock schreiben hierzu auf Legal Tribune Online: "Isoliert betrachtet ist die Aussage, dass die bewusste Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt seien, nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zutreffend."

Unwahre Tatsachenbehauptungen seien zwar - anders als wahre - von der Meinungsfreiheit grundrechtlich nicht geschützt, sofern sie auch dann verbreitet werden, wenn sie erwiesenermaßen oder bewusst unwahr sind. Sie fallen aber nach Ansicht der Rechtswissenschaftler aber unter die im Grundgesetz definierte allgemeine Handlungsfreiheit.

Aussage zum EU-Parlament lässt sich nicht überprüfen

Merz sagte auch, dass im Europäischen Parlament die "Sozialdemokraten häufiger mit den rechten Fraktionen zusammen gestimmt" hätten als die Europäische Volkspartei (EVP). Diese Aussage lässt sich nicht seriös überprüfen. Viele der Abstimmungen im EU-Parlament finden nicht-namentlich statt, sodass die individuellen Befürworter und Gegner und damit ihre Fraktionszugehörigkeit nicht dokumentiert wird. 

Die Termine der kommenden Sommerinterviews 3. August: Felix Banaszak, Grüne
10. August: Bärbel Bas, SPD
17. August: Jan van Aken, Linke 
24. August: Markus Söder, CSU

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