Vor Kurzem wurde eine Strategie der AfD öffentlich, wie sie ins Kanzleramt kommen will - nämlich mit Kulturkampf und Spaltung. Das Auftreten der Partei zeigt: Sie hält sich auch dran.
Die AfD ist die größte Oppositionspartei im Deutschen Bundestag und will in manchen Bundesländern nächstes Jahr stärkste politische Kraft werden. Eigentlich könnte sie zufrieden sein, aber wer Politik macht, will normalerweise auch regieren - das ist für die AfD bislang unmöglich.
Viele halten sie für unwählbar und sie wird vom Verfassungsschutz beobachtet. Gegen die Einstufung als "gesichert rechtsextremistisch" geht die Partei aktuell juristisch vor. Wie sie ins Kanzleramt kommen will, hat sie in einem internen Strategiepapier aufgeschrieben - und die vergangenen Wochen zeigen deutlich, wie die AfD diesem Papier folgt.
Schritt 1: "Kulturkampf"
53 Seiten lang ist das Strategiepapier, voller Potenzialanalysen, Umfragen, Tabellen. Dabei geht es weniger um Inhalte und mehr um politisches Taktieren. Die wichtigste Seite trägt die Überschrift "Brandmauer stürzen: lagerübergreifende Koalitionen verhindern".
In aller Kürze ist zusammengefasst, wie die Zusammenarbeit von Union und SPD unmöglich gemacht werden soll. Schritt 1: Durch einen "Kulturkampf" will die AfD eine Polarisierung zwischen AfD und Linke erreichen, gleichzeitig setzt man auf Solidarität von SPD und Grünen, die dann weiter nach links rücken.
Schritt 1 ist also ein gezielter Angriff auf linke Themen sowie auf die Partei Die Linke - über der Überschrift "Kulturkampf" prangt ein Bild von Linken-Fraktionschefin Heidi Reichinnek.
Die Causa Brosius-Gersdorf
Ein Paradebeispiel für Schritt 1 war in den vergangenen Wochen zu beobachten: Der "Kulturkampf", in dessen Zentrum sich die Juristin Frauke Brosius-Gersdorf wiederfand, die nicht zur Richterin am Verfassungsgericht gewählt wurde.
Innerhalb weniger Tage platzierten rechte bis extrem rechte Medienplattformen und viele AfD-Funktionäre die Erzählung, Brosius-Gersdorf sei eine "Abtreibungsfanatikerin", die "neun Monate alte Babys zermetzeln" wolle. Nichts davon stimmt, aber viele haben diese Erzählung weitergetragen.
Das kann der Grund dafür sein, dass am Tag der Abstimmung eine Vielzahl der Unions-Abgeordneten nicht mehr für die Juristin stimmen wollte. Die AfD jubelte - und startete sogleich den nächsten "Kulturkampf" mit einem Frontalangriff auf die zweite Richterkandidatin: Ann-Katrin Kaufhold betitelte Stephan Brandner, der stellvertretende Bundessprecher der AfD, als "radikale Klimaaktivistin".
Als Alice Weidel im ARD-Sommerinterview auf die Spaltung des Landes angesprochen wurde, reagierte sie im ersten Moment vermeintlich einsichtig, sagte, das finde sie "schlimm" - um im nächsten Moment die Verantwortung dafür bei Linken, Grünen und SPD zu sehen.
Schritt 2: "Ampel 2"
Im AfD-Strategiepapier steht wörtlich: "Die Gegensätze zwischen Union und SPD unüberbrückbar machen", darüber ein Bild, auf dem CDU-Kanzler Friedrich Merz und SPD-Vizekanzler Lars Klingbeil durch einen Blitz getrennt werden.
Ins Kanzleramt kommt die AfD nicht ohne Koalitionspartner und der heißt aus ihrer Sicht am ehesten CDU/CSU. Schritt 2 bedeutet also: Die sogenannte Brandmauer der Union zur AfD muss fallen - und der bisherige Partner SPD muss weg von der Seite der Union.
Die Politikwissenschaftlerin Anna-Sophie Heinze von der Uni Trier beobachtet die AfD schon lange. Auch in anderen europäischen Ländern sehe man, wie Rechtsaußenparteien strategisch versuchen, anschlussfähig zu werden an traditionell konservative Parteien. Ist die SPD erst weg, wäre die Union offen für Koalitionen mit ganz rechts, so die Hoffnung der AfD.
Markus Frohnmaier ist AfD-Fraktionsvize im Bundestag und Spitzenkandidat für die Landtagswahl in Baden-Württemberg. Er glaubt, die Union brauche die AfD, "um glaubwürdig zu bleiben". Seine Partei würde nur auf "Gegensätze" zwischen Union und SPD aufmerksam machen, für den "Kulturkampf" würden diese dann allein sorgen: "Häufig muss die AfD ja eigentlich gar nichts tun, außer die Punkte, für die wir stehen, anbieten und zuschauen, was die anderen da wieder machen." Entwaffnend ehrlich.
SPD entschieden, Union uneins
Carmen Wegge ist Sprecherin für Recht und Verbraucherschutz der SPD-Bundestagsfraktion und hat das AfD-Strategiepapier gelesen. Sie sagt klar: So eine Spaltung dürfe nicht passieren. SPD und Union müssten eng zusammenbleiben, es dürfe kein Keil zwischen die beiden Parteien getrieben werden.
Die ausgesetzte Verfassungsrichterwahl nennt sie einen "Teilerfolg für die rechtsextremen Kräfte in diesem Land. Und auch das muss uns zu denken geben, das darf es nie wieder geben."
Vonseiten der Union gibt es kaum Äußerungen zum Strategiepapier. Zwar hat Bundeskanzler Merz auf seiner Sommer-Pressekonferenz die Kampagne gegen Brosius-Gersdorf verurteilt, sprach aber dennoch offensiv darüber, eine Alternative zu dieser Kandidatin zu finden. Damit signalisierte er indirekt, dass die AfD-Strategie durchaus innerhalb der Union verfängt. Wie die Sache weitergeht - aktuell unklar.
Schritt 3: "Druck auf Union erhöhen"
Im dritten Schritt will die AfD der Union den Markenkern streitig machen und gezielt deren Wählergruppen ansprechen. Laut Strategiepapier soll es mit der Union einen Wettstreit um Themen geben, bei denen große Unzufriedenheit bei vielen Wählern vermutet wird: Wirtschafts-, Steuer- und Finanzpolitik zum Beispiel.
Noch vor wenigen Jahren haben die meisten Menschen in Deutschland der AfD bei diesen Themen nicht sonderlich viel zugetraut. Mittlerweile zeigen Umfragen, dass immer mehr daran glauben, die AfD könnte diese Probleme besser lösen als andere Parteien.
Beweisen will sie das zum Beispiel durch ihre "Steuerreform 2025", mit der sie im Herbst die Bundesregierung unter Druck setzen will. Sie verspricht beispielsweise einen einheitlichen Steuersatz von 25 Prozent oder dass Familien mit drei Kindern erst ab einem Einkommen von 70.000 Euro überhaupt Steuern zahlen müssen.
Dass sich aus dem Papier ein jährliches Defizit von rund 150 Milliarden Euro ergibt, kann der Partei egal sein. Solange die AfD nicht regiert, muss sie auch keine ihrer Ideen umsetzen.
Politikwissenschaftlerin: AfD-Papier widerspricht Demokratiegrundsätzen
Die AfD-Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch wirkt entschlossen, wenn sie über den "Kulturkampf" spricht. Auf dem YouTube-Kanal der AfD-Fraktion sagt sie in einem Video über die Richterwahl, man werde ihn "führen in aller Klarheit, in aller Schärfe. Und die CDU muss sich am Ende entscheiden, auf welcher Seite sie steht."
Auch das geplante Polarisieren der Menschen im Land verteidigt sie. Das sei zwar "alles sehr traurig", aber wie Weidel im ARD-Sommerinterview folgt auch von Storch dem eigenen Strategiepapier. Die Spalter sitzen ihrer Meinung nach links: "Die fangen an. Wir werden da voll reingehen. Und dann muss sich am Ende jeder entscheiden, wo er steht." Auf der rechten Seite, hofft von Storch, die zum ultrakonservativen Flügel der AfD gehört.
Für Politikwissenschaftlerin Anna-Sophie Heinze von der Uni Trier widersprechen die harten Vorwürfe gegenüber anderen Politikern oder die Erzählung, Opfer willkürlicher Ausgrenzung durch andere Parteien zu sein, demokratischen Grundsätzen. Die AfD würde damit vollkommen ignorieren, wie eine repräsentative Demokratie funktioniert, "nämlich mit Kompromissen, mit der Akzeptanz von demokratischen Grundprinzipien".
Dazu gehöre nicht, den politischen Gegner die ganze Zeit herabzuwürdigen, meint Heinze. "Insofern ist es so ein bisschen die ständige Mär der AfD, ohne tatsächlich etwas für eine mögliche Koalitionsfähigkeit zu tun." Da helfen auch selbstauferlegte "Benimmregeln" nichts.
Benjamin Großkopff, ARD Berlin, tagesschau, 24.07.2025 18:33 UhrHaftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.