Die Grauen Wölfe sind in Deutschland laut Experten eine der gefährlichsten Extremismus-Bewegungen. ARD-Story-Recherchen zeigen erstmals, wie sie vor allem Kinder und Jugendliche ins Visier nehmen.

Wenn sich Erol Ünal an seine Kindheit erinnert, denkt er an Familienfeste, Konzerte, Bastelnachmittage im Vereinsheim. Doch ein Blick in Fotos von damals zeigt, dass sie alles andere als gewöhnlich war. Denn die Bilder, die Ünal malte, waren Wolfsbilder und Halbmonde, das Vereinsheim war ein Ortsverband der Grauen Wölfe - der türkischen Rechtsextremisten in Deutschland.

"Während meine Freunde beispielsweise Blümchen malten, malte ich, völlig indoktriniert, diese Symbolik. So wurden diese Weltbilder, diese Narrative zu einem festen Bestandteil meiner eigenen Identität", erinnert sich der 34-Jährige. Jahrelang nahm sein Vater ihn und die Familie mit zum Verein, jedes Wochenende. Erst als Jugendlicher schaffte es Ünal, sich langsam zu lösen. Eine schmerzhafte Phase: "Ich habe eine innere Leere empfunden. Ich musste mich komplett neu orientieren."

Vereine wie dieser sind in Deutschland keine Ausnahme: Die Ülkücü-Bewegung, besser bekannt als Graue Wölfe, zählt mit rund 12.900 Anhängern zu den größten rechtsextremen Strukturen im Land. Ihre Ideologie ist nationalistisch, antisemitisch und rassistisch. Bundesweit existieren mehr als 240 Ortsvereine. Selbst in kleinen Städten sind sie vertreten.

Schulen unter dem Radar der Behörden

Die Recherchen der ARD-Story zeigen: Die Grauen Wölfe konzentrieren sich in ihren Ortsvereinen deutschlandweit gezielt auf die Ansprache junger Menschen wie Ünal. Besonders ins Auge fallen dabei Aufnahmen der ARD mit versteckter Kamera aus einem Verein in Duisburg-Rheinhausen, der aktiv um Kinder und Jugendliche wirbt. Darin ist unter anderem ein Gespräch mit einer Vereinsvertreterin zu sehen, in dem von rund 90 betreuten Kindern und Jugendlichen die Rede ist. In den Räumen hängen etwa Bilder von Graue-Wölfe-Gründer Alparslan Türkeş, dazu reichlich Symbolik der rechtsextremen Bewegung.

An mehreren Tagen pro Woche soll der Verein Bildungsangebote für Kinder im Alter von drei bis zehn Jahren anbieten. Die Vereinsmitarbeiterin erzählt, dass die Kinder hier unter anderem bestimmte Kapitel aus dem Koran und vor allem nationale Symbole und Werte lernen.

"Das ist für die Bewegung natürlich eine einfache Möglichkeit, Einfluss zu nehmen auf viele Menschen, auch auf die jungen Menschen", sagt der Politikwissenschaftler Ismail Küpeli. Durch die Wolfssymbolik sei schon auf den ersten Blick erkennbar, dass es sich hier um eine rechtsextreme Schule handele.

"Ich wäre nicht überrascht, wenn die Kommunalpolitik in Duisburg gar nicht über die Schule aufgeklärt ist und auch nicht weiß, was dort stattfindet." Anders könne er sich nicht erklären, wie eine solche Schule genehmigt werden könne, in der kleine Kinder rechtsextrem indoktriniert werden. Auf Anfrage der ARD-Story teilen sowohl das städtische Jugendamt als auch das Landesjugendamt mit, dass die Schule ihnen nicht bekannt ist. Das Angebot falle nicht in ihre jeweilige Zuständigkeit.

Neue Strukturen in der Organisierten Kriminalität

Zudem zeigen Recherchen der ARD-Story: Das Kinderangebot ist kein Einzelfall. Auch in einem Ortsverein in Frankfurt wird gezielt Nachwuchsarbeit betrieben. In einem unscheinbaren Gebäudekomplex des Dachverbands "Türkische Föderation" mit Moschee, Vereins- und Veranstaltungsräumen in Frankfurt-Griesheim trafen sich etwa Ende 2024 rund 200 Menschen. Geplant war eine große Feier zum 100. Jubiläum der Republik Türkei - mit einem Quiz für Kinder als Hauptprogrammpunkt. Dutzende Fragen drehten sich hier um die Grauen Wölfe und ihren Gründer Alparslan Türkeş, die Dutzende Kinder ohne Zögern beantworten konnten.

Die Grauen Wölfe treten dabei nicht nur ideologisch, sondern auch gewaltsam in Erscheinung - teils in rockerähnlichen Strukturen wie der Gruppe Osmanen Germania, die 2018 wegen Verbindungen zur Organisierten Kriminalität verboten wurde. Auch eine Gruppierung namens Turan e.V. löste sich damals auf - zumindest offiziell.

Die Recherchen der ARD-Story zeigen: Offenbar versucht sich derzeit eine ähnliche Vereinigung unter dem Namen Turan e.V. neu zu formieren. In Duisburg sowie in Dutzenden weiteren deutschen Städten werben sie online um neue Mitglieder. In zahlreichen Social-Media-Videos, die der ARD-Story vorliegen, inszenieren sie sich martialisch und verbreiten ihre Ideologie.

Bislang kein Verbot - aus Kalkül?

Offene Kritiker der türkischen Rechtsextremen wie der Linke-Bundestagsabgeordnete Ferat Koçak sowie der ehemalige Landwirtschaftsminister Cem Özdemir von den Grünen stehen seit Jahren immer wieder unter Polizeischutz. Sie kritisieren auch fehlende politische Maßnahmen.

Özdemir sieht die Ursachen in geopolitischen Interessen: Einer von Präsident Recep Tayyip Erdoğans Regierungspartnern ist die Partei der Grauen Wölfe. Die Bundesregierung lasse die Rechtsextremisten in Deutschland gewähren, weil die Türkei in strategischen Fragen wie der Flüchtlings-, Außen- und Rüstungspolitik als wichtiger Partner gelte. "Dann schaut man halt ein bisschen weg, wenn Leute mundtot gemacht werden, unterdrückt werden", so der Grünen-Politiker.

In Deutschland sind weder die Grauen Wölfe noch deren Symbole verboten - anders als in Nachbarländern wie Frankreich und Österreich. Skeptiker argumentieren, dass wegen des inoffiziellen Charakters der Bewegung ein Verbot schwer umsetzbar wäre. Dennoch fordern Politikerinnen und Politiker aller Parteien im Bundestag seit Jahren ein härteres Vorgehen. Seit 2020 wurden zahlreiche Anträge und Anfragen im Bundestag eingebracht. Konkrete politische Maßnahmen blieben jedoch bislang aus.

Mehr dazu, wie die Grauen Wölfe bundesweit Einfluss gewinnen, zeigt die ARD-Story am Dienstag um 22:50 Uhr im Ersten.

Thorsten Schweinhardt, SWR, tagesschau, 31.07.2025 14:00 Uhr

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