Allem Anfang wohnt ein Zauber inne - bei der neuen schwarz-roten Bundesregierung scheint der aber schon verflogen. 100 Tage nach ihrem Start hagelt es Kritik von Opposition und Verbänden. Und auch die Koalitionäre selbst sind ernüchtert.

100 Tage nach dem Start der schwarz-roten Bundesregierung hat Unionsfraktionschef Jens Spahn Probleme bei der Kommunikation eingeräumt. Da sei noch "Luft nach oben", sagte er im ARD-Morgenmagazin. Die Koalitionäre müssten künftig pragmatischer werden und wissen, was man einander zumuten könne. "Vielleicht sind diese 100 Tage auch ein Anlass - das sage ich auch selbstkritisch - zu schauen, wie wir es jetzt besser machen können."

Gleichzeitig erklärte er, die Bürger interessierten sich nicht dafür, wie es der Koalition gehe beim Regieren. Sie wollten, dass Probleme gelöst werden. "Von daher, nach innen ja, mehr reden und auch Dinge aufarbeiten. Und dann vor allem: Liefern, einen Unterschied machen." In der Sache, betonte Spahn, sei viel erreicht. Als Beispiele nannte er die Reduzierung der Migration und die Senkung der Energiekosten. Außerdem habe man die Voraussetzung für Wirtschaftswachstum geschaffen.

"Koalition ist keine Liebesheirat", Jens Spahn, Vors. CDU/CSU-Fraktion, zu 100 Tage Koalition

Morgenmagazin, 13.08.2025 05:30 Uhr

Der Unionsfraktionsvorsitzende hatte zuletzt im Zusammenhang mit der gescheiterten Wahl neuer Verfassungsrichter im Bundestag die Kritik der SPD auf sich gezogen. Spahn konnte dabei die vorher verabredete Zustimmung der Union zur SPD-Richterkandidatin nicht mehr garantieren. SPD-Chefin Bärbel Bas bezeichnet das Vertrauen zu Spahn daher im ARD-Sommerinterview als "angeschlagen" und sieht noch Gesprächsbedarf mit der Union.

Bas fordert Vereinbarung zur Zusammenarbeit

Sie fordert daher 100 Tage nach dem Start der neuen Regierung eine Vereinbarung über den weiteren Umgang in der Koalition. "Wir müssen einiges klären. Die Menschen erwarten, dass wir vernünftig miteinander arbeiten und das Land voranbringen", sagte Bas dem Nachrichtenmagazin Politico. Die Arbeitsministerin wolle entsprechende Klärungen beim nächsten Koalitionsausschuss, der für September terminiert ist.

Tatsächlich hatte Merz nach dem Wirbel um die misslungene Richterwahl und der umstrittenen Entscheidung zu einem Teilstopp der Waffenlieferungen an Israel gestern Beratungen im Kanzleramt abgehalten - allerdings nur mit führenden CDU-Politikern. Dabei ging es um die Lage und Zusammenarbeit in der Koalition mit der SPD sowie die Stimmung in der Bevölkerung, wie Medien berichten. Auch in der CSU gab es viel Unmut über Merz' Israel-Entscheidung, die offenbar nicht gut kommuniziert war.

Kritik von Opposition und Verbänden

Linken-Fraktionschefin Heidi Reichinnek wirft der schwarz-roten Koalition eine unsoziale Politik vor. "Unsere Erwartungen an diese Regierung waren niedrig, doch die ersten 100 Tage der Merz-Regierung waren an Verantwortungslosigkeit und sozialer Kälte kaum zu überbieten", sagte Reichinnek dem Tagesspiegel. Die bisherige Amtszeit der Bundesregierung aus Union und SPD sei "geprägt von ständigen öffentlichen Auseinandersetzungen der Koalitionäre und einem Chaos, das die Ampel-Schlussphase beinahe geordnet erscheinen lässt".

Diakoniepräsident Rüdiger Schuch und VdK-Präsidentin Verena Bentele äußern sich 100 Tage nach dem Start der schwarz-roten Bundesregierung enttäuscht. "Ich habe immer stärker das Gefühl, dass die Regierung den Sozialstaat nur als Problem wahrnimmt", sagte Schuch. Er warf Merz in der Augsburger Allgemeinen vor, die soziale Arbeit zu sehr als Kostenfaktor zu sehen. Diese Perspektive müsse sich ändern.

Bentele: "Faktenfreies lamentieren"

Bentele kritisierte, "statt zu betonen, wie wichtig ein gut funktionierender Sozialstaat für den demokratischen Zusammenhalt ist, wird teilweise faktenfrei über Einsparungen und Kosten lamentiert".

Sie monierte weiter, dass zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung von der schwarz-roten Regierung bisher zu wenig getan worden sei. Sie blieben weiterhin von wirklicher Teilhabe ausgeschlossen, weil die Bundesregierung sich nicht auf wirksame Reformen bei der Barrierefreiheit einigen könne. Auch bei der Pflege bestehe großer Handlungsbedarf. Zudem sollten aus ihrer Sicht "endlich alle Erwerbstätigen solidarisch in die Sozialsysteme einzahlen, einschließlich Beamter und Abgeordneter".

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