Welche Rolle könnten deutsche Soldaten nach einem Friedensschluss in der Ukraine spielen? Die Debatte darüber nimmt Fahrt auf - dabei kommt sie viel zu früh, wie Union und SPD betonen. Wer will was? Und was sagen Experten? Ein Überblick.

Die Ausgangslage

Nach dem Ukraine-Gipfel in Washington beraten Politiker und Militärfachleute, wie der Ukraine Sicherheitsgarantien gegeben werden können. US-Präsident Donald Trump hat sich zwar dazu bereit erklärt, dass die USA Sicherheitsgarantien mittragen werden. Details dazu sind aber unklar.

Frankreich und Großbritannien hatten schon vor Monaten die Präsenz westlicher Truppen in der Ukraine vorgeschlagen. Einige Länder wollen sich beteiligen, andere sind skeptisch. Die Debatte hat auch in Deutschland begonnen.

Befeuert hatte sie auch der US-Präsident: In einem Gespräch mit dem US-Sender Fox News sagte Trump am Dienstag, er gehe davon aus, dass Deutschland, Frankreich und Großbritannien dazu bereit seien, zur Absicherung eines möglichen Friedens Soldaten in die Ukraine zu schicken.

Will die Bundesregierung Soldaten in die Ukraine schicken?

Die Bundesregierung plädiert dafür, die Debatte über Sicherheitsgarantien nicht nur auf das Thema Truppen zu beschränken. Deutschland werde sich zwar auf jeden Fall an Sicherheitsgarantien beteiligen. Aber die Frage einer möglichen Beteiligung von Bundeswehrsoldaten würde erst entschieden, wenn die Rahmenbedingungen klar seien. Dazu gehört aus Berliner Sicht eine klare Zusage der USA, sich selbst am Schutz der Ukraine zu beteiligen.

Bundeskanzler Friedrich Merz sieht als zentralen Punkt eine deutliche Stärkung des ukrainischen Militärs, das Russland vor neuen Angriffen nach einer Friedenslösung abschrecken müsse. Mit Blick auf Sicherheitsgarantien sei aber "völlig klar, dass sich ganz Europa daran beteiligen sollte", so der CDU-Politiker. Auf die Frage, ob sich auch die Bundeswehr daran beteiligen könnte, sagte er, es sei zu früh, darauf eine endgültige Antwort zu geben. 

Ähnlich hatte sich auch Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius gegenüber der Nachrichtenagentur dpa geäußert. "Wie ein deutscher Beitrag zu den Sicherheitsgarantien aussehen wird, steht derzeit noch nicht fest und wird politisch und militärisch festzulegen sein", sagte der SPD-Politiker.

Bundesaußenminister Johann Wadephul hatte am Dienstag auch Gespräche mit der Opposition angekündigt. Es müsse dabei geklärt werden, "was Deutschland dazu beitragen kann und soll", so der CDU-Politiker.

Was wäre rechtlich für einen Bundeswehr-Einsatz nötig?

Nach einem Kabinettsbeschluss müssen Auslandseinsätze der Bundeswehr durch den Bundestag beschlossen werden. Dafür reicht es, wenn die Mehrheit der Abgeordneten zustimmt. Die Regierungsfraktionen von Union und SPD würden damit rechnerisch ausreichen - falls es nicht zu viele Abweichler gibt. Im Antrag für den Einsatz müssen nach dem Parlamentsbeteiligungsgesetz auch die "rechtlichen Grundlagen" genannt werden.

"Das Bundesverfassungsgericht und das Grundgesetz geben vor, dass solche Einsätze im Rahmen von Systemen kollektiver Sicherheit stattfinden müssen - in der Regel also NATO oder UN", sagt Thilo Geiger vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH). Mit dem Anti-IS-Einsatz im Irak zur Unterstützung der Kurden sei aber "auch das Konzept eines Bündnisses der Willigen übernommen" worden, das nun unter anderem diskutiert wird.

Wie verläuft die Debatte in der Union?

Unions-Fraktionschef Jens Spahn hat die Abgeordneten von CDU und CSU zu Zurückhaltung aufgerufen. "Die aktuell medial vorangetriebene Frage, ob Sicherheitsgarantien den unmittelbaren Einsatz deutscher Soldaten in die Ukraine bedeuten würden, stellt sich so verkürzt nicht, schon gar nicht zum jetzigen Zeitpunkt", heißt es in einem Schreiben vom Mittwoch an die Parlamentarier, das dem ARD-Hauptstadtstudio vorliegt.

Sachsens Ministerpräsident und stellvertretender CDU-Vorsitzender Michael Kretschmer ist dagegen klar gegen deutsche Bodentruppen in der Ukraine: Das dürfe kein Thema sein, sagte er dem Spiegel.

Ähnlich äußerte sich der CDU-Landeschef in Sachsen-Anhalt, Sven Schulze gegenüber dem Stern: "Bei aller notwendigen Unterstützung der Bundesrepublik für die Ukraine sollten wir in Deutschland keine Debatte über einen direkten Einsatz deutscher Soldaten führen." Schulze tritt im kommenden Jahr für die CDU in Sachsen-Anhalt als Spitzenkandidat zu den Landtagswahlen an.

Der Chef der Jungen Union, Johannes Winkel, hält eine deutsche Beteiligung an einer europäischen Schutztruppe im Ernstfall hingegen sogar für zwingend. "Wir können doch nicht auf der einen Seite sagen, dass unsere Abhängigkeit vom US-Militär reduziert und Europa endlich erwachsen werden muss, und auf der anderen Seite die Verantwortung verweigern, wenn es zum ersten Mal konkret wird", sagte Winkel dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Wie denkt die SPD über Truppen in der Ukraine?

In der SPD verläuft die Debatte ähnlich. SPD-Chef Lars Klingbeil hält den Zeitpunkt für eine Entscheidung über einen Bundeswehr-Einsatz in der Ukraine noch nicht für gekommen.

Auch der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Dirk Wiese, mahnt zur Zurückhaltung. Bevor über konkrete deutsche Beiträge für Sicherheitsgarantien gesprochen werden könne, sollte man erst abwarten, wie ernst die Verhandlungsbereitschaft Russlands überhaupt sei, sagte er am Mittwoch.

Der SPD-Außenpolitiker Adis Ahmetović zeigte sich im Spiegel offen für die Option, dass sich die Bundeswehr an einer späteren Friedensmission in der Ukraine beteiligt.

Sein Parteifreund Ralf Stegner ist dagegen. Gerade in der Ukraine und Russland seien angesichts des Zweiten Weltkrieges und des deutschen Vernichtungskrieges "Fantasien über deutsche Bodentruppen" nicht angezeigt - ebenso wenig wie Spekulationen über eine deutsche Führungsrolle bei einer möglichen Absicherung der ukrainisch-russischen Grenze, sagte Stegner der taz.

Wie ist die Haltung der Opposition?

Die Grünen haben die Ergebnisse des Washingtoner Ukraine-Gipfels skeptisch bewertet. "Substanziell ist nichts vorangekommen", sagte der Außenexperte Omid Nouripour am Dienstag den Sendern RTL und ntv. Nouripour will in der Frage des Ukraine-Kriegs, gleichzeitig aber auch "parallel auch einen Strang bauen", mit dem Europa auch allein den Frieden schützen können. Dazu gehören für Nouripour auch Sicherheitsgarantien für die Ukraine, die auch ohne die US-Amerikaner Bestand haben könnten.

Linken-Chef Jan van Aken brachte als Sicherheitsgarantie für die Ukraine eine UN-Blauhelmtruppe als Beobachtermission im Umfang von 30.000 bis 40.000 Soldaten ins Gespräch. Wichtig wäre, dass sich China beteilige, denn russische Soldaten würden nicht auf chinesische schießen, sagte van Aken. Bei einer deutschen Beteiligung hätte er hingegen aus historischen Gründen "Bauchgrummeln", weil damit wieder deutsche Truppen "kurz vor Stalingrad" stünden.

AfD-Chefin Alice Weidel warnt, Deutschland könne selbst zur Zielscheibe werden, während sich die USA zurückzögen. Weidel forderte: "Deutschland braucht Ausgleich mit Russland statt Dauerkonfrontation."

Wie groß müsste so ein Einsatz sein?

Die Grenze zwischen Russland und der Ukraine ist mehr als 2.000 Kilometer lang. Je nach Art und Aufgabenspektrum der Mission variieren die Schätzungen für die Zahl notwendiger Soldaten zur Absicherung eines Friedensschlusses.

Ein von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) im Januar veröffentlichtes Papier kommt zu dem Schluss, dass für eine "glaubwürdige militärische Absicherung" rund 150.000 Soldatinnen und Soldaten nötig wären.

Geiger vom IFSH hält diese Größenordnung "nicht für abwegig": "Denn hier ginge es nicht um eine traditionelle Friedenstruppe, sondern um Abschreckungstruppen", sagt er der Nachrichtenagentur AFP. Sie müssten in der Lage sein, "Russland daran zu hindern, seine Angriffe auf die Ukraine fortzusetzen".

Wäre die Bundeswehr dazu überhaupt in der Lage?

Angesichts der veränderten Bedrohungslage seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine hat die Bundeswehr schon jetzt Schwierigkeiten, schnell beim Material aufzurüsten und NATO-Vorgaben zu Personalstärken für den Krisenfall zu erfüllen. Die sehen vor, dass Deutschland für einen Konflikt 460.000 Soldaten bereithält. Derzeit dienen bei der Bundeswehr aber nur gut 181.500 Menschen in Uniform.

Ein Einsatz in der Ukraine wäre für die deutschen Streitkräfte jedenfalls "eine Mammut-Aufgabe", sagt Patrick Keller von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Schon die Zusage einer ständig stationierten Brigade in Litauen mit 5.000 Soldatinnen und Soldaten zum Schutz der NATO-Ostflanke bringe die Bundeswehr "an die Grenzen der Belastbarkeit".

IFSH-Experte Geiger gibt auch zu bedenken, dass bei Auslandseinsätzen "Einsatzstärken wegen der notwendigen Rotation immer mal drei gerechnet werden müssen". Denn neben den Soldaten vor Ort seien wegen der nötigen Vor- und Nachbereitung "auch diejenigen gebunden, die sich auf den Einsatz vorbereiten, und diejenigen, die zurückkommen. Insofern wäre das ohne Frage eine große zusätzliche Belastung für die Bundeswehr."

"Eines darf nicht sein: Immer mehr Aufträge anzunehmen und den Personalkörper nicht zu stärken", sagte der Wehrbeauftragte Henning Otte im Deutschlandfunk. Sollte sich Deutschland mit einer Brigade von etwa 5.000 Soldatinnen und Soldaten an Sicherheitsgarantien für die Ukraine beteiligen, wäre das eine "Riesenherausforderung für die Bundeswehr", sagte der CDU-Politiker.

Mit Informationen der Nachrichtenagenturen AFP und dpa

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