Wirtschaftsministerin Reiche strebt eine Neuausrichtung bei der Energiewende an, um die Kosten zu senken. Dafür hat sie einen Monitoringbericht in Auftrag gegeben. Umweltgruppen warnen vor einer Verwässerung des Klimaschutzes.

Wenn Wirtschaftsministerin Katherina Reiche gefragt wird, wofür sie das Amt übernommen hat, nennt sie in der Regel zwei Anliegen: Um die schwächelnde deutsche Wirtschaft wieder auf Wachstumskurs zu bringen - und um die Energiewende kostengünstiger zu gestalten. "Es braucht eine grundlegende Reform des Energiesystems", sagte Reiche etwa im Juli im Bundestag. "Wir müssen die Stromsystemkosten deutlich absenken. Klimaschutz, Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit müssen ein gemeinsames Ziel sein."

Aus Reiches Sicht sind niedrigere Energiekosten eine Grundvoraussetzung für mehr Wachstum. Die CDU-Politikerin lässt gerne durchblicken, dass sie die Energiepolitik ihres grünen Amtsvorgängers Robert Habeck zu teuer fand, zu einseitig ausgerichtet auf den Zubau von Windkraft- und Photovoltaikanlagen. Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit seien nicht ausreichend im Fokus der grünen Klimaschutzpolitik gewesen.

Befürchtungen der SPD

Reiche hat deshalb einen Monitoringbericht zum Stand der Energiewende in Auftrag gegeben. So war es auch im Koalitionsvertrag von Union und SPD verabredet. In der Auftragsbeschreibung des Wirtschaftsministeriums ist von einer Neuausrichtung der Energiepolitik die Rede. Kosteneffizienz und Versorgungssicherheit sollen eine zentrale Leitschnur sein.

Beim Koalitionspartner SPD gibt es die Befürchtung, dass Reiche beim Klimaschutz Abstriche machen könnte. Die energiepolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Nina Scheer, stellt zudem in Frage, dass sich Reiche mit der Aufgabenstellung des Monitoringberichts an die Vorgaben des Koalitionsvertrages hält.

"Die Neuausrichtung der Energiewende ist nicht das Programm des Koalitionsvertrages", betont Scheer. "Darauf haben wird uns nicht verständigt und darauf hätten wir uns nicht verständigt." Es gehe nicht darum, alles in Frage zu stellen, sagt die SPD-Politikerin. Insbesondere nicht den weiteren Ausbau der Erneuerbaren.

Unterschiedliche Szenarien von Energieexperten

Aber wo könnten Kosten bei der Energiewende gespart werden? Der Monitoring-Bericht soll beispielsweise den künftigen Strombedarf einschätzen. Je geringer die Kalkulation ausfällt, desto günstiger wird es - weil weniger Erneuerbare und weniger Netze zugebaut werden müssten.

Tatsächlich gibt es derzeit von Energieexperten sehr unterschiedliche Szenarien - zumal sich Elektroautos und Wärmepumpen langsamer durchsetzen, als vor einiger Zeit noch erwartet. Eine große Unbekannte ist auch, welche Bedeutung Wasserstoff als Energieträger absehbar tatsächlich erlangen wird.

Reiche macht sich auch dafür stark, dass sich neue Wind- und Solaranlagen mehr an den bereits vorhandenen oder geplanten Stromleitungen orientieren sollen. Denn der Netzausbau ist einer der größten Kostenpunkte der Energiewende. Die Netzbetreiber rechnen mit Ausbaukosten in Höhe von mehr als 500 Milliarden Euro bis 2045.

So müssen weitere Stromleitungen Windanlagen auf See anbinden, Windenergie von Nord- nach Süddeutschland bringen und immer mehr dezentrale Wind- und Solaranlagen so verzahnen, dass die Netze stabil sind und die Versorgung sicher ist - auch wenn die Stromerzeugung wetterbedingt stark schwankt.

Reiche will bei der Solarförderung kürzen

SPD-Politikerin Scheer fürchtet auch beim Thema Netzausbau Abstriche bei der Energiewende. "Wenn ich vom Grundprinzip sage, ich lasse nur noch dort Erneuerbare zu, wo es in die Netze hineinpasst, denn würde ich mir ins eigene Fleisch schneiden, weil ich dann den Ausbau der erneuerbaren Energie letztendlich abwürgen würde."

Einsparpotenziale sieht Reiche auch bei der Förderung von neuen Solaranlagen. Nach ihrer Einschätzung rechnen sich Photovoltaik-Anlagen auf dem Dach für Hausbesitzer inzwischen auch ohne Zuschüsse über das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG).

Strikt gegen Kürzungen sind Vertreter der Solarbranche, Umweltverbände und auch einige Kommunalpolitiker wie die grüne Oberbürgermeisterin von Bonn, Katja Dörner. "Das würde die Umsetzung der bundesweiten und auch der Bonner Klimaziele gefährden und natürlich auch die Solarbranche schädigen", ist Dörner überzeugt.

Die Deutsche Umwelthilfe und andere Verbände warnen vor einem Ausbremsen der Dach-Photovoltaik in Deutschland. Mit insgesamt mehr als 18 Milliarden Euro hat der Bund den Ausbau der Erneuerbaren im vergangenen Jahr über das EEG gefördert.

Gaskraftwerke als weiterer Kostenblock

Klar ist aus Sicht der CDU-Wirtschaftsministerin, dass es Gaskraftwerke braucht, um bei immer mehr erneuerbaren Anlagen steuerbare Kraftwerke zu haben, die Strom produzieren können, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint. Unabhängig vom Monitoringbericht verhandelt Reiche gerade mit der EU-Kommission, in welchem Umfang neue Kraftwerke von Brüssel genehmigt werden.

Denn Gaskraftwerke verursachen Treibhausgase. Und für den wirtschaftlichen Betrieb von Kraftwerken, die nur gelegentlich laufen, braucht es ein Finanzierungsmodell. Der Zubau von Gaskraftwerken stellt also einen weiteren Kostenblock dar, der in die Gesamtrechnung der Energiewende einkalkuliert werden muss. Reiche spricht von 20 Gigawatt an Kapazität, die hinzukommen sollen, was rund 40 Kraftwerksblöcke wären.

Ende der Woche soll der Monitoringbericht zur Energiewende dem Wirtschaftsministerium vorliegen. Erstellt wird er vom Beratungsunternehmen BET, das sich auf die Transformation der Energiewirtschaft spezialisiert hat, und vom Energiewirtschaftlichen Institut an der Universität Köln.

Interessant wird sein, welche Schlussfolgerungen Wirtschaftsministerin Reiche aus dem Bericht zieht und inwieweit das auf Widerspruch der SPD stößt.

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