Starpianist Levit kritisiert in den tagesthemen die Veranstalter eines Musikfestivals in Belgien hart: Sie hätten den Dirigenten Shani ausgeladen, weil er israelischer Jude ist - und seien unter dem Druck der Straße eingeknickt.

tagesthemen: Guten Abend, Herr Levit. Als Sie von der Ausladung gehört haben, was ist Ihnen da durch den Kopf gegangen?

Igor Levit: Ich war wütend und erschüttert über das, was da passiert ist. Dass Lahav Shani - als israelischer Künstler und auch nur weil er israelischer Jude ist - mitsamt seinem wunderbaren Orchester einer solchen kollektiven Bestrafung unterworfen wird, ist ein unerträglicher Akt seitens des Festivals in Gent. Es ist ein schockierender Akt. Es ist eine neue Stufe der schockierenden Akte in den vergangenen zwei Jahren im kulturell-politischen Bereich. Es ist nicht anders zu bewerten als klassischer, ekelhafter Antisemitismus. Und Feigheit.

"Man knickt ein vor dem Druck der Straße"

tagesthemen: Die Veranstalter begründen es auch damit, dass man - Zitat - nicht die "Ruhe oder Gelassenheit des Genter Festivals gefährden" wolle. Glauben Sie, da ist jemand aus Angst vor Protesten in vorauseilendem Gehorsam eingeknickt?

Levit: Das muss ich nicht glauben, da muss ich nur das Statement lesen. Das sagen die Veranstalter ja selbst, das geben sie ja eigentlich zwischen den Zeilen zu. Man knickt ein vor dem Druck der Straße. Wen macht man verantwortlich? Einen israelischen Juden. Warum? Weil er ein israelischer Jude ist. Der übrigens schon im vergangenen Jahr in einem Zeitungsartikel gesagt hat, wo er als Mensch, als Musiker, als Künstler steht. Das hat nur den Herrschaften in Gent nicht ausgereicht. Und damit ist eigentlich alles gesagt.

tagesthemen: Welche Erfahrungen haben Sie selbst seit dem Hamas-Überfall und dem Beginn des Gaza-Kriegs gemacht? Hat sich da etwas im Umgang mit jüdischen Künstlern verändert?

Levit: Herr Zamperoni, heute Abend geht es um Lahav Shani und die Münchner Philharmoniker. So eine Erfahrung musste ich selbst bis jetzt nicht machen. Ich betone: bis jetzt. Denn natürlich mache ich mir seit heute Abend Gedanken darüber, wann es auch für mich das erste Mal so weit sein wird. Und in welchem Land es das erste Mal für mich so weit sein wird. Aber heute geht es nicht um mich - und ich möchte das heute auch nicht zu meinem Thema machen.

"Kultur sollte offen sein, Menschen sein lassen"

tagesthemen: Dass so etwas mitten in der Europäischen Union passiert - welche Signalwirkung hat das?

Levit: Schauen Sie - mir ist es sehr wichtig, hier einen Aspekt zu benennen: Was ist die Aufgabe von Kultur? Von Kulturinstitutionen? Von Kulturräumen? Ihre Kernaufgabe ist es, Diskursraum zu sein, offen zu sein, zuzuhören, Menschen sein zu lassen. Wir sprechen die ganze Zeit von der Freiheit der Kunst. Und jetzt kommt eine Institution wie das Festival in Gent und lädt ein deutsches Orchester mit seinem designierten israelisch-jüdischen Chefdirigenten aus - einzig und allein, weil er ein israelisch-jüdischer Chefdirigent ist, der - Zitat Festival - "Ruhe zerstört".

Ich könnte jetzt darüber sprechen, welch ungeheuerliches Missverständnis hier vorherrscht gegenüber dem, was eigentlich Kunst, was eigentlich Kulturräume sein sollen. Aber zu sagen: "Na ja, der Jude stört meine Ruhe" und lade ihn aus - damit kapitulieren die Veranstalter vor dem Mob auf der Straße. Das ist erschütternd und ich muss sehr aufpassen, dass meine Wortwahl zivilisiert bleibt.

tagesthemen: Nun löst Lahav Shani im kommenden Jahr ja ausgerechnet den bisherigen Chefdirigenten der Münchner Philharmoniker ab - den Russen Waleri Gergijew. Der wurde wegen seiner großen Nähe zu Russlands Präsident Putin und weil er sich vom russischen Angriff auf die Ukraine nicht distanzieren wollte. Wie unterscheiden sich die beiden Fälle aus Ihrer Sicht?

Levit: Menschen, die solche Vergleiche anstellen, möchte ich Folgendens sagen: Waleri Gergijew ist ein Künstler, der seit Jahren offen, aus Überzeugung ein Unterstützer, ein Kollaborateur, ein Profiteur der Machenschaften des russischen, imperialistischen Diktators ist. Diesen Mann zu vergleichen mit Lahav Shani - einem Dirigenten, der mit seinem deutschen Orchester nur in diese Situation geraten ist, weil er ein israelischer Jude ist - das ist in meinen Augen ein intellektueller Offenbarungseid. Der weder Aufmerksamkeit noch Plattformen noch einen Platz im ernstzunehmenden Diskurs verdient.

"Lahav ist ein warmherziger, wunderbarer Mensch"

tagesthemen: Sie werden in wenigen Wochen gemeinsam mit Lahav Shani und dem Israel Philharmonic Orchestra in München auftreten. Wie sehen Sie dem entgegen?

Levit: Mit sehr sehr großer Freude. Lahav ist einer der wunderbarsten Dirigenten, den ich kenne. Er ist ein unglaublich guter Musiker und ein warmherziger, wunderbarer Mensch. Das Israel Philharmonic Orchestra ist ein fantastisches Orchester. Ich freue mich von Herzen auf diese Konzerte in München und in Essen. Und nichts - gar nichts - wird diese Freude trüben.

Das Gespräch führte Ingo Zamperoni für die tagesthemen. Es wurde für eine bessere Lesbarkeit leicht redigiert.

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