Kanzler Merz nutzt die Debatte, um einen neuen Ton zu setzen: Er will mit der SPD einen "neuen Konsens" begründen. Offenkundig der Versuch eines Neuanfangs für Schwarz-Rot.

Es ist ein anderer Friedrich Merz, der heute zur Generaldebatte ans Pult tritt, um in gleichbleibend ruhigem Ton von den großen politischen Linien und Sorgen zu sprechen. Vor der Sommerpause ließ er sich noch von seiner Vorrednerin Alice Weidel treiben, der Co-Vorsitzenden der AfD-Fraktion. Er war auf sie und ihre Anwürfe so oft eingegangen, dass es zeitweise gewirkt hatte, als arbeite er sich nur an ihr ab - durchaus eine Aufwertung für Weidel.

Gemäß der Tradition des Bundestags eröffnet Weidel auch diesen Redemarathon, mit dem Duktus der maximalen Provokation: Die Regierung aus Union und SPD müsse ihre Selbstgefälligkeit und "linksgrüne Realitätsverweigerung" beenden, forderte sie etwa.

Dieses Mal ließ Merz sich von Weidel nicht provozieren oder gar vom Redeskript abbringen - sondern ließ sie einfach sozusagen rechts liegen: Weder sie noch ihre Partei wurden vom Bundeskanzler namentlich in seiner rund 30-minütigen Rede erwähnt.

Doch die Veränderung der politischen Kultur, die gerade die AfD ins Parlament und die Gesellschaft hineinträgt, sprach er indirekt an - mit großer Sorge. Er wird sie mitgemeint haben bei der Aussage über Kräfte, die Politik als machtlos darstellten, die von innen und außen "die Demokratie verächtlich machen" und damit die demokratische Ordnung bedrohten.

Ein "neuer Konsens"

Es hat etwas Präsidiales: Gegen die Sorge vor Demokratiefeinden setzte Merz Zuversicht. Er mache sich ausdrücklich nicht die Haltung zu eigen, dass Politik machtlos sei. Die sehr breite angelegte und ins Grundsätzliche gehende Rede hob sich deutlich von seinen bisherigen Kanzlerreden ab. Man hatte den Eindruck, dass hier im Hintergrund viel über Merz' Vortrag nachgedacht worden war.

So betonte der Kanzler immer wieder als roten Faden einen "neuen Konsens", den die Bundesregierung aus den in Teilen sehr gegensätzlichen Parteien CDU, CSU und SPD begründen wolle. In der Gesellschaft wolle man "neuen Zusammenhalt" schaffen.

Den scharfzüngig urteilenden Merz abgelegt?

Merz hat das Redefeuer, das er als Oppositionsführer losließ, gegen eine besonnenere, fast präsidiale Art getauscht. Man hört sowohl den Geist der jüngsten Koalitionsklausur heraus, als auch den des Koalitionsausschusses: Das Gemeinsame betonen, miteinander eher nur zu ringen statt zu streiten. Merz spricht im Parlament mehr vom "Wir als vom "Ich".

Der Kanzlerhaushalt in der Haushaltswoche des Bundestages, der diese Debatte formal veranlasst, ist dabei nur der Hintergrund. Aber auch der Bundeshaushalt 2025, der durch das Ampel-Scheitern und die Bundestagswahlen nun verspätet verabschiedet wird, bleibt eher nur die Rahmenhandlung der Rede. Merz bietet erkennbar bewusst wenig Angriffsfläche, balanciert in einem Sowohl-als-Auch.

Aus den ersten hundert Tagen haftet ihm noch das Image das Außenkanzlers an, der Deutschlands Rolle in Europa und darüber hinaus stärken will, ein wenig über den innenpolitischen Baustellen schwebend. Das versucht er nun erkennbar auszugleichen.

Bei sozialen Fragen wie auch bei Klimaschutz, Verteidigungspolitik und der Ukraine-Politik bindet Merz SPD-Positionen in seine Rede ein. So betont er bei der geplanten Bürgergeld-Reform, die Koalitionäre wollten nicht denjenigen das Leben schwerer machen, die es ohnehin schon schwer haben und nicht arbeiten könnten. Man wolle, dass jene, die arbeiten könnten, es auch tatsächlich tun. Nur bei der "erfolgreich eingeleiteten Kurskorrektur der Migrationspolitik", da klatscht Koalitionspartnerin SPD nicht mit.

"Ich freue mich auf die Zusammenarbeit", rief ihm später der SPD-Fraktionsvorsitzende Matthias Miersch in seiner Rede zu - er freue sich nicht nur über den "Herbst der Reformen", sondern auch auf alle anderen Jahreszeiten für die nächsten drei Jahre.

Der Tag heute sollte nach dem verunglückten politischen Sommer rund um die geplatzte Richterwahl von Frauke Brosius-Gersdorf ganz offenkundig weitestmögliche Einigkeit zwischen Union und SPD zeigen.

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