"Mütterrente", "Aktivrente" und "Frühstartrente": Im Rentensystem scheint einiges in Bewegung zu kommen. Millionen Rentner bekommen davon allerdings nichts mit: Sie bleiben arm - trotz Rente.

Luxus sieht für jeden Menschen anders aus: "Ich gönne mir einmal die Woche Kaffee-trinken-gehen", erzählt Monika Hillen und schmunzelt: "Der könnte etwas billiger sein." Und noch etwas versteht die 73 Jahre alte Rentnerin aus Speyer als Luxus: "Was ich mir auch gegönnt habe, ist dieses Deutschlandticket, da versuche ich einmal die Woche wegzufahren - mit meiner Wasserflasche, damit ich da, wo hinfahre, kein Geld ausgebe."

Denn davon hat Monika Hillen nicht viel. Gerade einmal knapp 550 Euro Rente bekommt sie monatlich - obwohl sie ihr ganzes Leben gearbeitet hat. Kleine Dinge, wie der Café-Besuch, sind für sie Luxus.

Dass sie mal in die Altersarmut abrutschen würde, hätte sie nie für möglich gehalten. 49 Jahre lang hat sie gearbeitet, direkt nach der Schule machte sie eine Ausbildung zur Großhandelskauffrau, arbeitete eine Zeit lang in diesem Beruf und wechselte dann in die Gastronomie. "Das hat mir besser gefallen. Und dann hab‘ ich gearbeitet bis 63 voll."

42 Prozent haben weniger als 1.000 Euro Rente im Monat

Doch viel verdient hat Hillen nie - und so hat sie auch nicht viel in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt. Entsprechend niedrig ist heute ihre Rente, eine ergänzende private Absicherung fehlt Monika Hillen. Um über die Runden zu kommen, ist sie auf Lebensmittelspenden angewiesen.

Einen ganzen Korb voll bekommt sie einmal die Woche nach Hause geliefert - von der Organisation "Silbertaler". Das Projekt aus Speyer unterstützt Senioren wie Hillen, denen es am nötigsten fehlt und für die vieles im Supermarkt Luxus darstellt: "Das bedeutet sehr viel für mich, weil ich durch die Altersarmut mir kein Obst und kein Gemüse bei den Preisen im Moment in der Auswahl leisten könnte", schildert Hillen.

Wegen ihrer kleinen Rente bezieht Hillen Grundsicherung und bekommt damit monatlich rund 520 Euro zusätzlich vom Staat. Hillen ist kein Einzelfall: Mehr als acht Millionen Rentnerinnen und Rentner bekommen laut Bundesarbeitsministerium eine Rente von weniger als 1.000 Euro im Monat. Das sind 42 Prozent der rund 19 Millionen Altersrentner. Drei Millionen sind dabei auf Grundsicherung angewiesen. So wie Hillen, die damit trotzdem unter der Armutsgefährdungsgrenze von 1.378 Euro netto im Monat liegt.

Fratzscher: "Letztlich eine Umverteilung von arm zu reich"

"Unsere gesetzliche Rente ist letztlich eine Umverteilung von unten nach oben, von arm zu reich", sagt Marcel Fratzscher, Ökonom und Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). "Menschen, die häufig Teilzeit gearbeitet haben, häufig zu sehr geringen Löhnen gearbeitet haben, die bekommen einfach im Alter nicht genug und haben zudem noch eine kürzere Lebenserwartung."

Deshalb müsse die gesetzliche Rente anders gestaltet werden. "Damit sie armutsfest ist, damit die Armut verhindert wird. Dafür dürfen nicht nur die Jungen geradestehen, die arbeiten, sondern auch die, die wohlhabend sind unter der Generation der Rentnerinnen und Rentner."

Laut Statistischem Bundesamt fließt der größte Anteil deutscher Sozialleistungen mittlerweile in die Grundsicherung bei Erwerbsminderung und eben in die Grundsicherung im Alter. Auf diese Leistungen, die vollständig aus Erstattungsmitteln des Bundes an die Länder finanziert werden, entfielen vergangenes Jahr 11,4 Milliarden Euro. Sie stiegen damit gegenüber dem Vorjahr um 13,3 Prozent. Auffällig dabei: 60 Prozent aller Grundsicherungsempfänger im Land sind Frauen.

Bedarf an Spenden steigt

Eine Entwicklung, die sich auch bei "Silbertaler" in Speyer zeigt. Griseldis Ellis betreut dort vor allem Seniorinnen, die finanziell alleine nicht über die Runden kommen würden - und die Anfragen steigen. Um genug Platz für Lebensmittelspenden zu haben, mussten sie jetzt eine größere Halle anmieten.

"Heute haben wir 45 Lebensmittelkisten ausgepackt für die Senioren, die noch zu Hause leben und tatsächlich ansonsten mit recht knurrendem Magen oder zumindest ohne Gemüse, Obst und teilweise auch ohne die Grundlebensmittel unterwegs wären", erzählt Griseldis Ellis, Gründerin des Projekts "Silbertaler", das nicht nur für Essen sorgt: "Wir haben regelmäßig auch mal Anfragen, weil der Kühlschrank kaputtgegangen ist, aber kein Geld da ist für einen neuen Kühlschrank. Wir haben, gerade als es so heiß war, oft erlebt, dass die Senioren mit einem Eimer Wasser gekühlt haben."

Eines der zentralen sozialen Probleme

Im aktuellen Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands zeigt sich: Altersarmut ist eines der zentralen sozialen Probleme in Deutschland. Die Gefahr, in Altersarmut abzurutschen, ist deutlich gestiegen - bundesweit liegt sie mittlerweile bei rund 20 Prozent.

Für Regine Schuster vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Rheinland-Pfalz ein Alarmzeichen: "Wir haben eigentlich die Erwartung, dass Menschen, die 45 Jahre arbeiten, auch im Alter sicher sein können und von ihrer Rente noch leben können, am Leben teilhaben können." Helfen könne ihrer Ansicht nach eine Erwerbstätigenrente anstelle der bisherigen Rentenversicherung. "Das heißt, alle Erwerbstätigen, auch Beamte und Selbstständige, müssten in das Rentensystem einzahlen."

Vermögenswerte mit einbeziehen?

Sozialpolitiker wie die rheinland-pfälzische Sozialministerin Dörte Schall, SPD, sehen das skeptisch: "Eine Umstellung darauf, dass alle in das Rentensystem einzahlen, ist sehr langwierig und löst nicht die aktuellen Probleme." Zudem stelle sich die Frage nach sonstigen Vermögenswerten. "Ich halte es auch für wichtig, dass sonstige Vermögenswerte auch mit einbezogen werden in das ganze Sozialversicherungssystem, also auch zum Beispiel Einkommen durch Immobilien und ähnliches. Das wäre auch gerecht." Somit würden auch Vermögenswerte wie Mieteinnahmen oder Kapitalerträge zur Finanzierung des Sozialsystems beitragen.

Dass eine solches Heranziehen von Vermögenswerten für das Rentensystem schnell beschlossen wird, ist unwahrscheinlich. Währenddessen zeigt sich bereits heute: Armut bedeutet nicht nur, beim Essen sparen zu müssen - sie betrifft auch das Thema Gesundheit.

Nele Wilk arbeitet für den gemeinnützigen Verein "Armut und Gesundheit" in Mainz. Jede fünfte Person, die im vergangenen Jahr hier Hilfe gesucht hat, sei älter als 61 Jahre gewesen: "Wir haben immer mehr Menschen in Altersarmut, die uns aufsuchen, weil sie zum Teil nicht krankenversichert sind. Sie haben zum Teil auch hohe Beitragsschulden und gehen deswegen nicht zum Arzt."

Außerdem suchten viele Menschen Beratung, die medizinische Hilfe brauchten oder sich die Zuzahlung für bestimmte Hilfsmittel und Medikamente nicht mehr leisten könnten. "Manche brechen hier erst mal zusammen, wirklich. Also viele ältere Menschen sprechen auch von suizidalen Gedanken, weil sie sagen, sie sind kein Teil mehr der Gesellschaft, sie haben keinen Lebensmut mehr", schildert Wilk.

Auch Monika Hillen hat sich anfangs sehr für ihre Situation geschämt: "Ich hab die Leute immer im Prinzip ein bissel belächelt, die auf der Hauptstraße sitzen und betteln. Oder die, die leere Flaschen, die das Leergut aus den Containern, aus dem Mülleimer rausholen. Aber jetzt weiß ich, warum und wieso."

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