Sie sollte die spirituelle Wahrsagerin der "Reichsbürger" um Prinz Reuß werden: Doch Hildegard L. starb vor wenigen Tagen. Nun gibt es Streit über die Hintergründe ihres Todes und die Auswirkungen auf den Prozess.

Hildegard L. gehörte aus Sicht von Generalbundesanwalt Jens Rommel zum engsten Kreis der "Reichsbürger"-Verschwörer um Heinrich XIII. Prinz Reuß. Wäre er in Deutschland an die Macht gekommen, hätte sie "Ministerin für Transkommunikation" werden sollen - eine Art erste Wahrsagerin im Deutschen Reich, die für die "Spiritualität" zuständig sein sollte.

So steht es sinngemäß in der Anklageschrift des Generalbundesanwalts für den Teil der Gruppe Reuß, der vor dem Oberlandesgericht (OLG) München angeklagt ist. 71 Jahre war Hildegard L., als ihr Verfahren im Sommer von dem der anderen Angeklagten abgetrennt wurde, wie es Juristen nennen, wenn sich während eines laufenden Strafprozesses gewichtige Gründe ergeben, warum die Verhandlung für eine Person anders laufen soll als für die sonstigen Angeklagten. Bei Hildegard L. war schon im Sommer klar: Sie ist schwer chronisch erkrankt, Besserung war nicht in Sicht.

Eine längere Erkrankung hätte für das Münchner Verfahren Probleme mit sich gebracht. Alle Angeklagten sitzen in Untersuchungshaft, also muss beschleunigt verhandelt werden. Fehlen darf eine Angeklagte nur in wenigen, streng begrenzten Ausnahmefällen. Prozessual sicherer war es also, ihr Verfahren abzutrennen und - wenn möglich - nach Genesung neu aufzunehmen. L. durfte also aus der Untersuchungshaft in der bayerischen Justizvollzugsanstalt Aichach nach Hause ins südhessische Heppenheim an der Bergstraße. Dort musste sie sich regelmäßig bei der örtlichen Polizei melden, der Haftbefehl blieb formal in Kraft und war nur gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt.

Kritik an den Haftbedingungen

Was nach einer humanitären Geste klingt, ist für die Verteidigung von Frau L. ein handfester Skandal. Denn aus Sicht ihres Verteidigers Marc Jüdt hätte die Haftverschonung nicht nur schon viel früher erfolgen müssen. Jüdt steht auf dem Standpunkt, dass noch in der Haft von den verantwortlichen Ärzten übersehen wurde, dass seine Mandantin neben der chronischen Erkrankung in der Haft noch zusätzlich einen Schlaganfall erlitten hatte.

Die "klassischen Symptome" habe man eigentlich gar nicht übersehen können, doch eine Behandlung sei nicht erfolgt. Jüdt hat deshalb Strafanzeige gegen die Verantwortlichen gestellt. Die zuständige Staatsanwaltschaft in Augsburg bestätigt den Eingang dieser Strafanzeige, will sich aber aufgrund des laufenden Verfahrens derzeit nicht zu den Einzelheiten äußern. Und während die Staatsanwaltschaft noch prüfte, verstarb Hildegard L. Ende September in einem Krankenhaus.

Antrag auf Leichenöffnung

Der Strafverteidiger eines anderen Angeklagten sieht in L.s Tod nun eine Chance für seinen Mandanten. Es geht um den Angeklagten Tim G. Laut Anklage hätte G. wohl Außenminister werden sollen. Sein Strafverteidiger hat öffentlich erklärt, auf einen Freispruch hinzuarbeiten. Vergangene Woche beantragte er bei Gericht die Beschlagnahmung der Leiche von Frau L. und eine rechtsmedizinische Untersuchung.

Seine These: Sie sei schon länger derart erkrankt gewesen, dass ihre Aussagen im Prozess zu den Vorgängen um Prinz Reuß unverwertbar seien. Möglicherweise fürchtet der Anwalt, die Aussagen von Hildegard L. zu Lebzeiten könnten seinem Mandanten schaden.

Dieser Antrag auf eine Untersuchung wurde am Dienstagvormittag von der Vorsitzenden Richterin zurückgewiesen und ist selbst unter den Verteidigern im Prozess umstritten. Zum Schutz der "postmortalen Persönlichkeitsrechte", also der Würde eines Menschen auch nach seinem Tod, solle der Strafverteidiger von G. seinen Antrag erst nach Ausschluss der Öffentlichkeit stellen - beantragte ein Verteidiger eines anderen Angeklagten. Doch das Gericht entschied anders, die Öffentlichkeit bekam den Antrag mit. "Sie streiten um eine Leiche", kommentiere ein Prozessbeteiligter. Das Gericht vertagte seine Entscheidung auf den nächsten Verhandlungstag.

Der Rechtsanwalt der Toten sieht das alles mit großer Ratlosigkeit. Aus seiner Sicht gibt es keinen Grund für eine Obduktion. Was gesundheitlich geschehen sei, könne man aufgrund vorhandener Erkenntnisse gut nachvollziehen, so Jüdt. Für ihn steht aber weiter in Frage, ob das Lebensende seiner Mandantin so hätte verlaufen müssen oder eine richtige medizinische Versorgung in der Haft ihr Leid gelindert und Lebenszeit geschenkt hätte. Und ob sich die Verantwortlichen im Gefängnis strafbar gemacht haben, weil sie womöglich nicht schnell genug reagierten.

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