Männer suchen sich bei psychischen Problemen seltener Hilfe als Frauen - auch, weil die Symptome nicht richtig verstanden werden. Ein Blick in die Suizidstatistik zeigt, wie fatal das ist.

Das Licht ist gedimmt, in der Mitte des Raumes flackern sieben Teelichter. Drumherum sitzen sechs Männer zwischen Mitte 30 bis ins Rentenalter. Bernhard spricht darüber, dass er sich früher auf der Arbeit nie Pausen eingestanden hat. "Jetzt spüre ich, wie gut mir das tut."

Horst hingegen gönnt sich zu wenige Pausen, obwohl er seit drei Jahren in Rente ist. "Ich muss aufpassen, dass ich mich nicht verliere und verzettele", sagt er mit Blick auf seine ganzen neuen Ehrenämter.

Und Hanno sagt offen, dass er sich in seinem Urlaub einsam gefühlt hat. "Ich habe es richtig genossen, wieder im Werk zu sein und mit Kollegen in Kontakt zu kommen." Es ist eine ungezwungene Atmosphäre, in der die Männer wertschätzend auf die Einlassungen der anderen reagieren.

Doppelt so viele Frauen in Therapie

Der Mannheimer Männerkreis trifft sich alle zwei Wochen. Armin Gewahl leitet den "Circle of Men" und organisiert seit etwa zwanzig Jahren diese Runden. "Wir sprechen über alles, völlig egal." Arbeit, Ärgernisse im Alltag oder das Altern. Dinge, die Männer belasten, auch wenn sie es selten zugeben.

"Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Männer erst Hilfe suchen, wenn der Schmerz zu groß ist", sagt Gewahl. Viele suchen sich überhaupt keine Hilfe, wenn es um lang anhaltende negative Gefühle oder gar psychische Erkrankungen geht. Auch heute noch, obwohl das Thema öffentlich mehr diskutiert wird. Zwar begeben sich mittlerweile mehr Männer in Therapie, doch Frauen sind dort immer noch doppelt so häufig vertreten.

Eine andere Statistik, über die selten gesprochen wird, zeigt, welche Folgen das haben kann: Etwa 10.000 Menschen nehmen sich in Deutschland jährlich das Leben - drei Viertel davon sind Männer.

Rat und Nothilfe bei Suizidgedanken Bei Suizidgefahr: Notruf 112
Beratung in Krisensituationen: Telefonseelsorge (Tel.: 0800/111-0-111) oder Kinder- und Jugendtelefon (Tel.: Tel.: 0800/111-0-333 oder 116 111; wochentags von 14 bis 20 Uhr)

Auf den Seiten der Deutschen Depressionshilfe sind Listen mit regionalen Krisendiensten und mit Kliniken zu finden. Zudem gibt es viele Tipps für Betroffene und Angehörige.

Über www.telefonseelsorge.de ist eine Online-Beratung möglich.

Eine Liste mit bundesweiten Hilfsstellen bietet die Seite der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention: www.suizidprophylaxe.de.

In der deutschen Depressionsliga engagieren sich Betroffene und Angehörige, um die Situation und die Versorgung Depressiver zu verbessern. Sie bieten Depressiven ein E-Mail-Beratung als Orientierungshilfe an.
Eine Übersicht über Selbsthilfegruppen zur Depression bieten die örtlichen Kontaktstellen (KISS).

Hilflosigkeit und Ängste

"Suizide haben ganz oft mit unbehandelten Depressionen zu tun", sagt Björn Süfke. Der Psychologe hat sich auf die Beratung für Männer spezialisiert und mehrere Bücher zum Thema geschrieben.

"Wir leben in einer Gesellschaft, in der einem schon als Junge die Gefühle abtrainiert werden", sagt er. Trauer, Angst oder Hilflosigkeit sei nichts für "echte" Männer. Und wer sich mit diesen Gefühlen nicht auseinandersetzt, sei eben hilflos, wenn sie in schwierigen Lebensphasen auftreten.

"Das Eingeständnis, ein psychisches Problem zu haben und Hilfe zu holen, fühlt sich für viele Männer dann immer noch wie ein Bruch mit der eigenen Identität an", sagt Sven Speerforck, stellvertretender Direktor der Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Leipzig.

Männer erfahren andere Symptome

Die Werteebene sei laut dem Arzt das eine. Häufig würden psychische Erkrankungen wie Depressionen bei Männern allerdings auch erst spät oder gar nicht erkannt. Denn sie zeigen andere Symptome als Frauen. "Statt Traurigkeit, Erschöpfung und Schlafstörungen stehen oft Schmerzen, Reizbarkeit und Substanzkonsum im Vordergrund. Häufig mit gravierenden Konsequenzen für Selbstisolation und Suizidalität", so Speerforck.

"Im amerikanischen Raum spricht man deshalb unter anderem von 'Male Depression'", sagt Björn Süfke. Aggression und Arbeitswut nennt der Psychologe als weitere Depressionssymptome bei Männern. Vor allem das Stürzen in Arbeit sorge am Ende für weitere Fehldiagnosen. "Männer hören lieber, dass sie an Burn-Out leiden statt an Depression. Da steckt das Wort Leistung schon drin", sagt Süfke.

Hilfe kann und muss einfach sein

Psychologische Hilfsangebote für Männer, die schnell und einfach erreichbar sind, gebe es in Deutschland noch zu wenige, sagt Süfke. Auch, weil Männerberatung in Deutschland deutlich unterbelichtet und unterfinanziert sei.

Eine Erfahrung, die auch Armin Gewahl in Mannheim gemacht hat. Der "Circle of Men" ist ein gemeinnütziges Unternehmen. Doch für die Steuererleichterung hat sich Gewahl lange mit dem Finanzamt auseinandersetzen müssen. "Als Angebot für Gleichberechtigung ging es nicht, weil wir uns auf Männer fokussieren. Letztendlich hat es dann unter dem Begriff 'Volksbildung' geklappt", erzählt er. Dabei könnten Männerkreise wie in Mannheim durchaus ein Angebot sein, das unkompliziert ohne große Hürden helfen kann.

"Ausdifferenzierte psychotherapeutische Angebote sprechen Männer oft nicht gezielt an", sagt Sven Speerfork. Hilfsangebote und Gespräche im Alltag sind daher besonders relevant, wie das Beispiel Depression zeigt.

Neuer Umgang mit Gefühlen

Im Vergleich zu 1990 zeigen sich die Menschen in Deutschland gegenüber der Erkrankung heute deutlich aufgeschlossener. "Das Thema ist sichtbarer, die Symptomvielfalt besser verstanden", so Speerforck, der an einer entsprechenden Langzeitstudie beteiligt ist, in der alle zehn Jahre die Einstellungen der Gesellschaft gegenüber psychischen Erkrankungen erhoben werden.

Um sich Hilfe suchen zu können, müssen sich Männer aber in erster Linie selbst eingestehen, diese auch zu benötigen. "Ich glaube, genau das kann der Männerkreis leisten. Männer können hier lernen, dass sie nicht verurteilt werden, wenn sie auch mal Schwäche zeigen", sagt Armin Gewahl.

Denn genau, wie die Gesellschaft Männer schon in der Jugend darauf trimmt, ihre Gefühle zu unterdrücken, ist der Umgang damit wieder zu erlernen. In Mannheim haben die Männer dafür einen festen Termin, bei dem Hanno, Horst und Bernhard regelmäßig in einem geschützten Raum darüber sprechen, was sie gerade belastet - oder auch erfreut. Denn auch über positive Gefühle sollen die Männer hier sprechen.

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