Zwei Menschen tötete Alexander S. bei seiner Amokfahrt in Mannheim im März, elf wurden verletzt. War er ein Rechtsextremer? Die Ermittler gehen Hinweisen nach - und entdecken eine düstere Gedankenwelt.
Am Ende seiner Tat liegt Alexander S. unter einem alten Kran am Mannheimer Hafen und versucht, sich zu verstecken. Doch Polizeibeamte haben bei ihrer Großfahndung den flüchtenden Mann bemerkt und kreisen ihn ein. Einige von ihnen haben Bodycams, es gibt also Videoaufnahmen des Zugriffs.
Es sind unwirkliche Bilder. Denn der Mann, der eben noch rücksichtslos mit seinem schwarzen Ford Fiesta durch die Mannheimer Fußgängerzone gerast sein und zwei Menschen getötet und weitere schwer verletzt haben soll, wirkt jetzt apathisch, verwirrt und brabbelt unverständlich, geben die Beamten über Funk durch.
Er ist am Kopf blutverschmiert und hat schwarze Flecken im Gesicht. Offenbar hat er kurz zuvor versucht, sich mit einer Schreckschusspistole selbst zu töten. "Schieß' mir in den Kopf", sagt Alexander S. zu einem Polizeihauptmeister. Das werde er nicht tun, entgegnet der Polizist sinngemäß und fordert S. auf, ruhig zu bleiben. Zu einer Oberkommissarin sagt S. kurz darauf: "Das ist nicht meine Welt."
Rat und Nothilfe bei Suizidgedanken Bei Suizidgefahr: Notruf 112Beratung in Krisensituationen: Telefonseelsorge (Tel.: 0800/111-0-111) oder Kinder- und Jugendtelefon (Tel.: Tel.: 0800/111-0-333 oder 116 111; wochentags von 14 bis 20 Uhr)
Auf den Seiten der Deutschen Depressionshilfe sind Listen mit regionalen Krisendiensten und mit Kliniken zu finden. Zudem gibt es viele Tipps für Betroffene und Angehörige.
Über www.telefonseelsorge.de ist eine Online-Beratung möglich.
Eine Liste mit bundesweiten Hilfsstellen bietet die Seite der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention: www.suizidprophylaxe.de.
In der deutschen Depressionsliga engagieren sich Betroffene und Angehörige, um die Situation und die Versorgung Depressiver zu verbessern. Sie bieten Depressiven ein E-Mail-Beratung als Orientierungshilfe an.
Eine Übersicht über Selbsthilfegruppen zur Depression bieten die örtlichen Kontaktstellen (KISS).
Anhaltspunkte für rechtsextreme Gesinnung
Immer wieder hat Alexander S. in seinem Leben Hilfe gebraucht, aber wohl nicht immer angenommen. Nach und nach füllt sich die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Mannheim - darin medizinische Befunde und Akten zu Betreuungsverfahren und Klinikaufenthalten. Erkenntnisse zur politischen Haltung gibt es wenige. Aber ist der mutmaßliche Amokfahrer wirklich ein unpolitischer Täter?
Sein Anwalt Uwe Kosmala möchte dazu nichts sagen. Doch die Ermittler finden neben viel persönlichem Leid und einer komplizierten Krankengeschichte auch Anhaltspunkte für eine rechtsextreme Gesinnung. Zeugen erzählen von judenfeindlichen Witzen von S. und davon, dass S. bei einer Arbeit als Landschaftsgärtner Lieder gesungen haben soll, die - möglicherweise - aus der NS-Zeit stammen und der Hitler-Jugend zuzurechnen sind.
Das Problem dabei: Die Zeugen erinnern sich oft nicht genau, was S. gesungen und gesagt hat. Und sie sind unsicher, wie "rechts" denn S. nun tatsächlich ist oder ob er nur nachplappert und Anschluss sucht.

An diesem Kran am Mannheimer Hafen wurde der mutmaßliche Amokfahrer festgenommen. Er hatte sich im Drehkranz versteckt.
Sehr konservativ sei er, sagen Zeugen und vielleicht "ein bisschen" rechts. Aber eigentlich ein lieber Mensch. Eine nahe Freundin von S. mit Migrationshintergrund sagt der Polizei, S. habe Angst vor einem weiteren Erstarken der AfD gehabt, weil das ja dazu führen könne, dass sie abgeschoben werde. Und das wolle er auf keinen Fall. Eine frühere Betreuerin von S. schreibt den Ermittlern, sie sei erschüttert über den Vorwurf und bitte, Herrn S. Grüße auszurichten.
Ring Bund und Sieg Heil
Die Ermittler finden auch frühere Vorfälle, die auf eine rechtsextreme Gesinnung deuten. Eine Vorstrafe aus dem Jahr 2019 von 30 Tagessätzen zu 20 Euro, weil S. die Parole "Sieg Heil from Germany" auf Facebook unter ein Hitler-Bild geschrieben hat.
Auch der mögliche Kontakt zum rechtsextremen "Ring Bund", einer neonazistischen Vereinigung, beschäftigte die Ermittler. Im Umfeld der Gruppe ist es 2020 in Bayern zu Straftaten rund um Kauf und Besitz von Schuss- und Kriegswaffen gekommen. Drei Männer wurden deshalb verurteilt, mindestens einen davon soll S. gekannt haben. Doch im Urteil des Landgerichts München findet sich kein Hinweis auf eine Beteiligung von S. an deren Straftaten.
Handfester ist da schon das Ermittlungsergebnis, wonach S. am Tattag bei einem Musikstreaming-Dienst das sogenannte "Teufelslied" "SS marschiert in Feindesland" gesucht haben soll. Und in den Minuten vor der Tat soll S. aus seiner Playlist "Feuer Frei" der Band Rammstein aufgerufen haben. Hat er es während seiner Fahrt gehört?
Abgesetzte Medikamente
Einen Schlüssel zum Verständnis der Ereignisse vermuten die Ermittler allerdings vor allem in seiner psychosozialen Vorgeschichte. Menschen aus seinem Umfeld beschreiben ihn als jemanden mit vielen Stimmungsschwankungen. Mal munter aktiv, mal depressiv verschlossen.
In den vergangenen Jahren war S. immer wieder in fachärztlicher Behandlung und auch stationär im Krankenhaus. Allerdings widersprachen sich offenbar teilweise die Diagnosen unterschiedlicher Ärzte. S. folgte auch nicht immer deren Rat, regelmäßig Medikamente gegen seine psychischen Beeinträchtigungen einzunehmen.
Er selbst soll auch den Eindruck von sich gehabt haben, psychisch krank zu sein. Auf seiner Brust hatte er sich in schwarz und rot eine Art riesigen feuerspeienden Vulkan tätowieren lassen. Es wirkt, wie ein Vorzeichen auf einen persönlichen Ausbruch.
In den Wochen vor der Tat soll S. auf seinen Bekanntenkreis allerdings besonders depressiv und verschlossen gewirkt haben. Mit zwei Bekannten sei er nur wenige Tage vor der Tat für einen Kurzurlaub in der italienischen Region Ligurien gewesen, erzählen die beiden Frauen der Polizei. Im Auto von S. finden sich dazu die Hotelrechnungen.
Auf der Fahrt habe S. extrem abwesend gewirkt, mehrfach unvermittelt grundlos aufgelacht und das Auto ohne erkennbaren Grund stark und weit über das jeweilige Tempolimit beschleunigt, sagen die Zeuginnen später. Hatte er damals schon Gedanken, die Tat verüben zu wollen?
Bundesanwaltschaft übernimmt Fall nicht
Nach seiner Festnahme hat S. den Ermittlungen zu Folge gesagt, ihm sei alles zu viel, man solle ihn ruhig wegsperren. Mit Professor Harald Dreßing vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim begutachtet ein renommierter Psychiater den Angeklagten. Er diagnostiziert eine krankhafte Störung, entweder Schizophrenie oder eine Borderline-Persönlichkeitsstörung. Für schuldunfähig hält er S. aber nicht.
Die Bundesanwaltschaft hat das Verfahren nicht an sich gezogen. Aus Justizkreisen ist zu hören, dass die Staatsanwaltschaft Mannheim den Fall dort nicht vorgelegt hat. Der Prozess am Landgericht Mannheim wird Ende Oktober beginnen.
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