Wie viele Generationen sind jetzt schon in Deutschland groß geworden, die die alten Ufa-Filme nicht mehr kennen? Die sich nicht in ihrer Kindheit auf die Montag-Abende gefreut haben, an denen Heinz Rühmann und Hans Albers auf den Fernsehschirmen gute Laune verbreiteten? An denen die schillernde Salonschlange Olga Tschechowa, der fröhliche Wirbelwind Lilian Harvey, die melodramatisch röhrende Zarah Leander für Stimmung sorgten?

Dann versammelte sich die ganze Familie vor den Fernsehapparaten. Die Eltern beruhigt, dass den Kindern harmlose Unterhaltung geboten wurde und ihnen selbst bei aller Beklommenheit im Gedanken an die Zeit, aus der die Filme stammten, doch auch Vergnügen. Aber am meisten profitierten wir Kinder. Nicht zuletzt, weil wir spielerisch lernten, dass es in Deutschland eine sagenhafte Zeit gegeben haben musste, in der sich Frauen in aufwendige, elegante Roben schmissen und Männer gar nicht mal so erfolglos versuchten, ritterliche Gentlemen zu sein, die eine Dame mit „Gnädige Frau“ anredeten.

Wie viele Jahre oder Jahrzehnte ist das jetzt her? Und wie fremd muss es heute jungen Menschen vorkommen, dass diese ganze flimmernde lustige, traurige, spannende, hin und wieder natürlich auch in Seichtheit versandende Welt der Ufa-Filme sich einmal selbstverständlich neben Pippi Langstrumpf oder, etwas später, neben Sesamstraße, Teletubbies und was es sonst so im Programm für die Kleinen gab, behaupten konnte.

Aus dieser Welt stammen die letzten Deutschen, die jetzt, wenn die Sommerabende lang und lauschig, entspannt und ausgelassen werden, plötzlich loslegen mit jenen Schlagern, die für immer auf ihrer inneren Festplatte gespeichert sind: „Das gibt’s nur einmal, das kommt nicht wieder, das ist zu schön, um wahr zu sein“ oder „Ein Freund, ein guter Freund, das ist das Beste, was es gibt auf der Welt“, oder „Kann denn Liebe Sünde sein? Soll es niemand wissen, wenn man sich küsst, wenn man einmal alles vergisst vor Glück?“ Oder, oder, oder!

Denn wer noch aus der Welt der alten Ufa-Filme stammt, der weiß, dass Kino und Gesang im deutschen Film einmal zusammengehört haben. Und ein Meister dieser Zusammenstellung, vielleicht ihr Meister schlechthin, das war der Wiener Willi Forst. Er lebte von 1903 bis 1980. Ihm wird in diesen Wochen im Berliner Zeughauskino unter dem Motto „Verführerische Melancholie“ gehuldigt. Verführerisch, weil vieles tatsächlich hinreißend gelungen ist. Und melancholisch, weil bei Forst immer Wehmut über eine entschwundene Kultur mitschwingt, eine Wehmut, die sich auf den Zuschauer überträgt.

In etwas angestrengt akademischem Diskurs hat der Kurator der Reihe, der Nürnberger Filmwissenschaftler Lukas Foerster, in einer Reihe von Werkeinführungen Willi Forst als „großen Antirealisten“ herausgestellt. Forst stehe für ein „Kino der Form, nicht des Inhalts, der Oberflächlichkeit, nicht der Tiefe“. Beim Filmhistoriker Karsten Witte sich rückversichernd, kann Foerster Forst auch das Siegel politischer Unbedenklichkeit aufdrücken. Denn Witte bescheinigte dem Regisseur, der auch als Schauspieler und Sänger in seinen Filmen mitwirkte und bisweilen als Produzent in Erscheinung trat, er habe „mit keinem Zentimeter Zelluloid den Faschismus verlängert“.

Die Rolle des Jud Süß lehnte er ab

Das trifft im großen Ganzen zu. Forst, dem die Rolle des Jud Süß in Veit Harlans fatalem antisemitischem Propagandafilm angeboten wurde, lehnte ab und fiel deshalb bei Goebbels in Ungnade. Ob er die Rolle, die nicht zu ihm passte, aus politischen Gründen ablehnte, sei allerdings dahingestellt. Jedenfalls war nicht alles großartig, was Forst gemacht hat. Vor allem seine Wien-Filme springen oft allzu frei mit der Geschichte um, auch musikalisch, wenn etwa zur Zeit des Wiener Kongresses 1815 Walzermelodien von Johann Strauß erklingen. Vor allem aber ersticken „Operette“ (1940), „Wiener Blut“ (1942), „Wiener Mädeln“ (1944) in Ausstattungsorgien sowie einer doch sehr zeitgebundenen „Humorigkeit“.

Aber in seinen guten Arbeiten ist Willi Forst unschlagbar. Filme wie „Maskerade“ (1934), „Mazurka“ (1935) oder „Bel Ami“ (1939) verfügen über Tempo und viele überraschende Wendungen. Komödiantische und melodramatische Momente halten sich in virtuoser Balance. Und dann sind da natürlich die großartigen Schauspieler, die das alles mit einer Ausdrucksintensität, der es niemals an Grazie gebricht, verkörpern. Mit Paula Wessely und Adolf Wohlbrück, Liane Heid oder Albrecht Schoenhals hat der deutschsprachige Film damals ein Niveau erreicht, das sich hinter französischen oder amerikanischen Produktionen nicht verstecken musste.

Seine Paraderolle schrieb sich Forst selbst auf den Leib in der Maupassant-Adaption „Bel Ami“. Auch hier ist wieder viel Fantasie im Spiel, denn zur Zeit der Marokko-Krise um 1910, um die es im Film geht, war Maupassant längst tot. Aber die Geschichte vom korrupten Journalisten, der sich seine Artikel von einer Frau diktieren lässt, die raffinierter ist als er und den hübschen, aber etwas einfältigen jungen Mann für ihre politischen Intrigen instrumentalisiert, ist natürlich zeitlos.

In Frankreich angesiedelt, mag sie den deutschen Zeitgenossen 1939 überdies besonders plausibel vorgekommen sein, und so spart der Film auch nicht mit Frivolitätsstereotypen und schwelgt in Loulou-Chouchou-Froufrou samt Beine schmeißenden Tänzerinnen. Eine von ihnen intoniert mehrmals den unsterblichen Gassenhauer „Du hast Glück bei den Frau’n, Bel Ami“. Da heißt es bekanntlich: „Bist nicht schön, doch charmant, bist nicht klug, doch sehr galant, bist kein Held, nur ein Mann, der gefällt.“

Diese Worte werden sich immer mit Willi Forst verbinden, obwohl sie auch auf so viele andere Leinwandhelden jener finsteren Jahre zutreffen, die durch die Bank so gar nicht dem von den Nazis propagierten heroisch-soldatischen Männerbild entsprachen. Wie viel von der Belle Epoque, von Weimar, von der französischen Gesellschaftskomödie, von der amerikanischen screwball comedy im Ufa-Kino der 1930-er und 40-er Jahre aufbewahrt blieb, ist immer wieder erstaunlich. Wer um diesen Kinokanon einen Bogen macht, bestraft sich selbst. Denn so verführerisch, doppelbödig, liebenswert und witzig wurde es im deutschen Film nie wieder.

Berlin, Zeughauskino im Deutschen Historischen Museum: „Verführerische Melancholie. Die Filme von Willi Forst“, bis 25. August

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