Kinder sind zur Seltenheit geworden, zum Luxusgut und Exotikum. Etwas, das man gerne aus der Ferne bewundert, dem man aber lieber nicht zu nahekommt. Als Tante, vielleicht. Als Lehrer, allerhöchstens. Aber als Vater oder gar Mutter? Die Frage nach eigenem Nachwuchs erntet derzeit ein entschlossenes Kopfschütteln.

Die Statistik zeigt: Die Geburtenrate in Deutschland sinkt seit Jahren. Von 1,57 Kindern pro Frau im Jahr 2021 fiel sie schon zwei Jahre später auf nur noch 1,36. Sie ist jetzt so niedrig wie seit 2009 nicht mehr.

Das macht sich auch im Stadtbild bemerkbar: In Berliner Kiezen wie Friedrichshain und Prenzlauer Berg – ein Stadtbezirk, der einst als urbanes Kinderparadies galt – hängen Zettel an den Kita-Zäunen. Die Tagesstätten suchen neue Kinder, denn es gibt nicht mehr genug. Anfang des Jahres waren 1348 weniger Kita-Plätze in Friedrichshain-Kreuzberg belegt als noch zwei Jahre zuvor. Das führt laut rbb zu finanziellen Problemen; zahlreiche Erzieherinnen konnten nach ihrer Ausbildung nicht übernommen werden. Wo sich werdende Eltern vor wenigen Jahren noch freudestrahlend in den Armen lagen, wenn sie es auf eine der begehrten Kita-Nachrücklisten geschafft hatten, scheint sich das Machtverhältnis umgekehrt zu haben.

Ähnlich reagiert auch die Stadt Köln auf den Geburtenrückgang. Dort sollen Spielplätze jetzt nicht mehr „Spielplätze“ heißen, sondern „Spiel- und Aktionsflächen“, da sie immer öfter auch von Erwachsenen genutzt werden. Orte allein für Kinder lohnen sich offenbar einfach nicht mehr.

Weil sich Kinder nicht mehr lohnen? Finanziell ohnehin nicht, das dürfte selbst die Pronatalisten-Fraktion à la Elon Musk zugeben. Aber auch gefühlsmäßig scheint das Pendel bei der Kosten-Nutzen-Kalkulation zusehends in Richtung Aufwand zu schwingen. Das Projekt, die Fürsorge-Arbeit gleichberechtigt zwischen Mann und Frau aufzuteilen, scheint gescheitert, der Traum der Vereinbarkeit von Familie und Karriere ausgeträumt. Homeoffice-Hoffnungen hin oder her: Frauen leisten laut Studien aus dem Jahr 2022 44,3 Prozent mehr unbezahlte Arbeit als Männer, ein Großteil davon Hausarbeit.

Die Skepsis gegenüber langen Kita-Aufenthalten hat neuen Aufwind bekommen. Außerdem erzeugt das sich hartnäckig haltende Ideal der perfekten Mutter einen Erwartungsdruck, der vielen immer unattraktiver erscheint. Die Angst, dem Kind ein Leben inmitten von Kriegen und Umweltkatastrophen zuzumuten, für das dieses sich gar nicht selbst entscheiden kann, treibt junge Erwachsene um. „Regretting Parenthood“, also das Offenbaren des eigenen Bedauerns, Kinder bekommen zu haben, hat sich als populäres, zwischen Horror und Memoir changierendes Buchgenre etabliert.

Womöglich schwindet der gebärfähigen Generation gerade auch einfach die metaphysische Grundlage, Verzicht – etwa auf Zeit, Geld oder Freiheit – als sinnvoll oder gar erfüllend zu erleben. Religion? Fehlanzeige. Und den Hedonisten kümmert der Spaß späterer Generationen nicht.

Haltung der Indifferenz

Auffällig ist, dass sich neben der Anti-Haltung, die sich etwa die radikal-feministische 4-B-Bewegung (südkoreanisch für: keine Kinder, kein Dating mit Männern, kein Sex mit Männern, keine Ehe mit Männern) zu eigen macht, eine eher gleichgültige Lustlosigkeit breitmacht. Im September erscheint das Buch „Alle kriegen Kinder, ich zweifle“ von Verena Kleinmann im Rowohlt-Verlag. Die Autorin, so die nüchterne Ankündigung, spüre „auch mit Ende 30 noch keinen unbedingten Kinderwunsch“. Diese Untertemperatur ist symptomatisch für eine Haltung, die sich nicht einmal mehr über die Ablehnung von Kindern definiert, sondern längst über ihre Indifferenz. Das rebellische Keine-Kinder-Wollen ist einer ehrlichen Ratlosigkeit darüber gewichen, warum man Kinder überhaupt wollen sollte.

Das Schulterzucken ist die Geste, die die längst nicht nur in Deutschland vorherrschende Motivationslosigkeit zum Gebären, Aufziehen und Hüten am besten illustriert. Kinder sind so langweilig geworden, dass die Autorin Jacinta Nandi in ihrem neuen Roman „Single Mom Supper Club“ in der vorausgeschickten Figurenliste alle Kinder (im Gegensatz zu den schillernd charakterisierten Müttern) mit einem lapidaren „ist super“ beschreibt, denn: „Die Kinder sind alle super, wer Kinder hasst, ist selbst schuld“. Um ja niemanden zu verschrecken, der sich das Schwangerwerden eventuell doch noch zutrauen sollte, versieht die Autorin Kinder mit einem nichtssagenden Pauschal-Beifall.

Die erwogenen Verzweiflungs-Maßnahmen der amerikanischen Regierung wie die Einführung von Ehrenmedaillen, Zyklus-Aufklärungsarbeit und eines 5000-Dollar-Babybonus erweisen dem angeknacksten Ruf der Elternschaft einen ähnlichen Bärendienst wie Influencer, die ihre Babys zum Lieblingshobby hochjazzen. Wir müssen uns eingestehen: In Wahrheit sind Kinder leider einfach out.

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