Wie ist das, wenn man von einem Tag auf den anderen sein ganzes Hab und Gut verliert? Werner Bellwald, Kulturwissenschaftler aus Ried im Lötschental VS, muss nicht lange überlegen: «Stellen Sie sich vor, Sie gehen morgens aus dem Haus, mit nichts ausser einem Tagesrucksack – und sie kehren nie mehr zurück.»
Beim Bergsturz im Lötschental Ende Mai hat Werner Bellwald alles verloren. Nebst seinem 400-jährigen Haus im Weiler Ried gleich neben Blatten wurden auch seine beiden Museen verschüttet. Das eine, das Müllmuseum, war eine skurrile Sammlung von Sperrmüll-Objekten, die Bellwald während Jahrzehnten zusammengetragen hatte.

Das andere, das Bergbaumuseum, stand kurz vor der Eröffnung. Doch der Berg hat es genommen, noch bevor die ersten Führungen stattfinden konnten – und damit wichtige Belegstücke der Walliser Industriegeschichte.
Seelischer Schaden ist nicht bezifferbar
Das Bergbaumuseum war ein Projekt der von Bellwald präsidierten Stiftung Untergrund Schweiz. Diese hatte es sich zur Aufgabe gemacht, Exponate und Dokumente zur Geschichte des Rohstoffabbaus in der Schweiz zu sammeln.
Erdöl aus dem Bodenseegebiet, Quarzsand aus Zürich oder Gold aus Gondo – dazu kamen alte Lederhelme von Stollenarbeitern, Werkzeuge, historische Fotos, Grubenpläne und Bohrungsberichte.
Exponate aus dem Bergbaumuseum Ried
Tausende von Gegenständen – alle begraben. «Ich habe verdammt viel saugutes Kulturgut verloren, das tut weh», sagt Werner Bellwald. Der Versicherung kann er den materiellen Wert der Sammlung melden. «Aber der seelische Schaden lässt sich nicht beziffern.»
Der Zug als Wohnzimmer
Seit dem Bergsturz ist der 65-Jährige oft unterwegs. «Der Zug ist mein Wohnzimmer», sagt er und erklärt: «Mindestens einmal die Woche besuche ich meine Mama in Basel, ausserdem bin ich oft bei meiner Freundin in Brienz.» Daneben arbeitet Werner Bellwald ein, zwei Tage die Woche im Gardenmuseum in Naters VS, das er einst mit aufgebaut hat.
Alles, was ich besitze, kann ich tragen.
«Am Ende des Sommers finde ich sicher etwas zum Wohnen», sagt er. Aber momentan pressiere es nicht. Er habe ohnehin nicht viel Gepäck. «Alles, was ich besitze, kann ich tragen, das ist gar nicht so schlecht», betont er. Man beginne, über vieles im Leben nachzudenken. Aber: «Die Lektion hätte ruhig etwas weniger hart sein dürfen.»

Wie sieht Werner Bellwald die Zukunft von Blatten und Ried? «Wir haben unsere natürliche Umwelt verloren, aber auch unsere soziale – ob eine Wiederbelebung möglich ist, wird sich zeigen», sagt Werner Bellwald. Jede und jeder gehe anders mit dem Geschehenen um. «Es gibt Leute, die nie mehr zurückkehren wollen. Andere wollen so bald als möglich zurück – es gibt 300 Betroffene und 300 verschiedene Lösungen.»
Wenn Werner Bellwald im Hochgebirge unterwegs ist, dann kommt er ins Grübeln: «Es ist zu befürchten, dass da noch mehr herunterkommt», sagt er. Wie es weitergeht? Alles offen. Der Berg hat Werner Bellwald einst Material für ein ganzes Museum geliefert. Und der Berg hat ihm alles wieder genommen.
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