Der gemeinplatzverdächtige Traum vom eigenen Heim verschont auch Schriftsteller nicht: Goethes Haus in Weimar ist so ein Stein gewordener Traum, einer der berühmtesten zumal. Das Haus wird dabei zu einer Erweiterung des eigenen Selbst und zu einem Versprechen für Vieles, das nicht immer eingelöst wird, wie auch Max Frisch erfahren musste. Frisch hat einige Jahre als Architekt gearbeitet, bevor er zu dem Schweizer Schriftsteller des 20. Jahrhunderts wurde.
Während sich die literarische Öffentlichkeit nach wie vor für seine Schriften, aber kaum für die von ihm entworfenen Bauten interessiert, stießen diese auf das Interesse derer, die sich für die Quizsendung „Wer wird Millionär?“ Fragen ausdenken. Und so lautete am 18. Oktober 2002 die Millionenfrage: „Welcher berühmte Schriftsteller erbaute als diplomierter Architekt ein Freibad in Zürich?“ Ein Student der Musik und Philosophie wusste das und war anschließend – ‚Max Frisch‘ sei Dank – um eine Million Euro reicher.
Der Schriftsteller, der mal Architekt war
Das Entwerfen und Planen von Bauwerken liegen eigentlich hinter ihm, als Frisch 1964 mit seiner damaligen Lebensgefährtin Marianne Oellers im Auto durch das Tessin fährt. Ihr Ziel: Berzona, ein Ort mit 82 Einwohnen im abgelegenen Valle Onsernone. Bei strömenden Regen besichtigen sie dort ein altes Bauernhaus, das Gemäuer verlottert, das Gebälk morsch.
Aus diesem Szenario des Verfalls entwickelt der gelernte Architekt eine Vision künftigen Wohnens, sieht hier Platz für eine Bibliothek, dort für ein Arbeits- oder Gästezimmer. Sein Leben lang sei er Mieter gewesen, habe seine Wohnsitze stets als provisorisch empfunden, jetzt wolle er ein Haus haben, aber nicht allein. Es solle vielmehr als Unterpfand für das Glück mit Marianne Oellers fungieren, gleichzeitig Monument und Schauplatz ihrer Zweisamkeit sein. In Berzona werden die beiden 1968 heiraten.
Zunächst aber dauert der aufwendige Umbau ein ganzes Jahr. Immer wieder besichtigt das Paar die Baustelle, sucht Fliesen und Böden aus und sieht, was dort entsteht: ein gemeinsames Werk. Als die beiden zu Frischs 54. Geburtstag einziehen, sind die Arbeiter noch da. Während die Hausherrin Suppe für alle kocht, sorgt er für Bier und Wein. Und hämmert gemeinsam mit den Handwerkern: „Wenn ich an der Schreibmaschine sitze, stören mich die klopfenden Arbeiter nicht, im Gegenteil: wir arbeiten.“ Der Vorarbeiter, so wiederum sie, sehe aus wie ein bäuerlicher Beckett. Als der Bauherr einen Kamin in seinem Studio für unnötig erachtet, hält der Beckett-Lookalike dagegen: Ein Schriftsteller müsse viel Papier verbrennen und brauche daher einen Kamin. Frisch gibt sich geschlagen und scheint zum ersten Mal sesshaft geworden zu sein.
Am Ende sind es die eigenen Schriften, die Frischs Ansässigkeit in Berzona durchkreuzen. Als er in das Tessiner Dorf zog, war Alfred Andersch schon da. Mit ihm war Frisch befreundet, bis er in seinem „Tagebuch 1966-1971“ Privates aus dessen Leben öffentlich machte. Und als Frisch 1975 in „Montauk“ ausführlich von einem Wochenendausflug mit einer deutlich jüngeren Frau an die Ostspitze von Long Island erzählt, kommt es mit Marianne Frisch-Oellers zu einem Streit über das Verhältnis von Öffentlichem und Privatem und zu einer zunehmenden Entfremdung, die 1979 zur Scheidung führt.
Als ob der nomadische Schriftsteller mit seinem Bekenntnisdrang und seinem „Gefühl der Unzugehörigkeit“ über den Baumeister mit seinem Begehr nach gemauerter Dauer obsiegt hätte.
Alles Schriftstellerleben sei Papier, heißt es. In dieser Reihe treten wir den Gegenbeweis an.
Thomas Wegmann ist Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Innsbruck. Seine Studie „Dichtung und Warenzeichen. Reklame im literarischen Feld 1850–2000“ ist bei Wallstein erschienen.
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