Nach außen möchte sich Donald Trump geradezu verzweifelt als Friedensstifter inszenieren – egal, ob im Nahen Osten oder in Osteuropa. Nach innen tritt er dagegen umso martialischer auf. In dieser Woche hat er die Polizeigewalt in der Hauptstadt Washington, D.C., an sich gerissen, weil die lokalen Behörden es seit Jahrzehnten nicht schaffen würden, der ausufernden Kriminalität Herr zu werden. Die MAGA-Bubble hat einen Videoschnipsel aus dem Jahr 1992 ausgegraben, in dem Joe Biden erzählt, dass er in Washington immer rote Ampeln missachtet und einfach weiterfährt, weil er fürchtet, sonst im Auto von Verbrechern attackiert zu werden.

Trump geht es heute aber vor allem um Obdachlose, die dem Weißen Haus zu nahe kommen und ihm – einem Posting auf „Truth Social“ zufolge – die Golf-Laune verdorben haben. Zwischen Obdachlosen und Kriminellen unterscheiden der Präsident und sein Hofstaat kaum. Trump-Sprecherin Karoline Leavitt drohte ihnen mit Gefängnis, wenn die wild zeltenden Menschen sich weigern, in regelgerechte Notunterkünfte umzuziehen.

Im MAGA-Zirkel ist offenbar nichts mehr übrig von der Romantisierung der Obdachlosigkeit, die die amerikanische Folklore durchzieht. Vor allem der Hobo, der Landstreicher, der auf fahrende Eisenbahnwagen aufspringt, um weitere Strecken zurückzulegen, ist in Liedern von Johnny Cash, Woody Guthrie oder Bob Dylan sehr präsent. Er ist einerseits eine existenzielle Metapher für die Unbehaustheit des Menschen, andererseits eine ziemlich konkrete Erinnerung daran, wie schnell man den Boden der Bürgerlichkeit unter den Füßen verlieren kann, wenn man finanzielle Fehlentscheidungen trifft oder voreilig zur Waffe greift und im Gefängnis landet.

Voller Trauer ist Bob Dylans 1963 komponiertes Lied „Only a Hobo“, in dem das lyrische Ich einen toten alten Landstreicher beschreibt, den es in einem Hauseingang sieht. Der Anblick könnte so auch aus dem Washington des Jahres 2025 stammen: „Sein Gesicht war auf den kalten Bürgersteig gepresst,/ er lag dort schon die ganze Nacht oder länger./ Eine Decke aus Zeitungspapier bedeckte seinen Kopf, der Bordstein war sein Kissen, die Straße sein Bett.“

Dylans „Ich“ liest im Gesicht des Hobos etwas über den „harten Weg“, den der Mann hinter sich hat, und es sieht die erbettelten Münzen. Aus all dem zieht es den Schluss, dass nicht viel nötig ist, um das Leben eines Mannes in eine Abwärtsspirale zu drehen, bis er die ganze Welt „aus einem Loch im Boden“ sieht. Das Mitgefühl Dylans, der in seinen Anfangsjahren die Legende verbreitete, er selbst sei als Hobo auf der Walz gewesen, unterscheidet sich maximal vom Blick Trumps auf solche Menschen.

Der Präsident sieht sie wohl eher so wie Frank Zappa, der in seinem Lied „Wonderful Wino“ von 1976 den Abstieg eines Ex-Hippies zum obdachlosen Trinker, der die Kontrolle über seine Körperfunktionen verliert, beschreibt: „Läuse in meinem Anzug. Ich kratze mich wie ein Hund. Lasse kein Wasser an meinen Körper und stinke wie ein Schwein.“ Bei Zappa war das eine zynische Dekonstruktion der Hobo-Romantik à la Dylan und Guthrie. Für Trump ist es wohl einfach ganz ohne doppelten Boden das, was er aus seiner Limousine sieht, wenn er zum Golfen fährt.

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