Chia will Reiseschriftstellerin sein, Zikora Mutter und Omeologor bloß keine Bankerin mehr. Und Kadi möchte einfach nur, dass ihre Tochter ein gutes Leben hat. Nach zehn Jahren in den USA schauen die vier Frauen, welche Träume sich erfüllt haben und wo es doch ganz anders gekommen ist.

Was haben Chiamaka, Omeologor, Zikora und Kadiatou gemeinsam? Sie sind Afrikanerinnen und sie leben ihre Träume in den USA. Chia reist durch die Welt, verkauft ihre Artikel an Reisemagazine - und vergisst dabei oft zu erwähnen, dass sie ihren Altbau in Washington, D.C. und die Erste-Klasse-Flugtickets ihrem Vater, einem nigerianischen "Big Man", verdankt.

Chias Cousine Omeologor hat das korrupte Bankgeschäft in Abuja satt, das sie zur Millionärin gemacht hat und will sich in den USA den Traum von einer Promotion erfüllen. Zikora, Chias knallharte beste Freundin und Omeologors ewige Rivalin, lebt einen ganz anderen amerikanischen Traum. Als stets top gestylte Anwältin erklimmt sie die Karriereleiter und sucht nach dem richtigen Mann, nur um sich plötzlich als unverheiratete Single-Mom wiederzufinden.

Und dann ist da noch Kadiatou, genannt Kadi, deren Traum es war, in ihrem guineischen Dorf zu bleiben und ihren Cousin zu heiraten. Kadi, die das Leben nach Amerika spült und die sich plötzlich als Opfer eines Mahlstroms wiederfindet, der ihr Verständnis von der Welt übersteigt. Doch in zehn Jahren kann viel passieren.

Schwarz, aber nicht afroamerikanisch

Doch die Handlung von "Dream Count" ist eher zweitrangig, sie mäandert durch diesen großen, aber auch etwas sperrigen Roman, spoilern kann man ihn kaum. Chimamanda Ngozi Adichie schreibt von starken Familienverbänden und belehrenden Aunties. Und der Roman lebt von seinen Nebenfiguren: Zikoras Mutter zieht trotz sozialer Ausgrenzung bei ihrer Tochter ein, um den Jungen großzuziehen, den sie selbst nie bekommen hat. Chias wechselnde Partner erlauben Adichie einen Blick auf moderne Männlichkeit, während Chias Vater seine verwöhnte Tochter auf Händen trägt und ihr unkonventionelles Leben duldet und finanziert.

Und Omeologor findet sich nach dem Aus ihres Traumes ausgerechnet bei ihrer Freundin Hauwa wieder, die ihr die Welt der geheimen Sexpartys der reichen Hausfrauen von Abuja zeigt. Wer Adichie kennt, weiß, dass der Autorin immer der zielsichere Griff vorbei am Klischée gelingt. Mit messerscharfer Perfektion beschreibt sie die Brüche ihrer Protagonistinnen, ihre weißen Flecken, Glaubenssätze und Untiefen.

Adichies großem Talent und Handwerk ist es zu verdanken, dass sich das nie voyeuristisch liest. Sie kennt sich aus in ihren Welten, in den Igbo-Dörfern, den glitzernden nigerianischen Weltstädten und unangenehmen Doppeldates mit der besten Freundin und ihrer neuen Flamme. Adichie weiß, wie es ist, Schwarz zu sein, aber nicht afroamerikanisch. Sie lebt in den Zwischenwelten, die sie beschreibt und hüllt einen darin ein, bis man sich ganz geborgen fühlt, satt von all der Freundschaft und dem Jollof-Reis. Dabei führt sie ihre Figuren immer auch sanft vor, schwarze Männer mit Allgemeingültigkeitsanspruch und weiße Frauen mit performativer Empathie, dazwischen die modernen, reichen Afrikanerinnen, von denen man nie weiß, wo sie stehen, innerhalb der amerikanischen Täter-Opfer Dynamik des transatlantischen Sklavenhandels.

Adichie verschont ihre Protagonistinnen aber auch nicht mit der unbequemen Realität unseres Jahrzehnts. Während Omeologor nach Abuja zurückkehrt und die Corona-Pandemie sich im Hintergrund ausbreitet, wird Kadi Opfer eines Überfalls. Dieser ist dem echten Fall von Dominique Strauss-Kahn nachempfunden, der in einem Hotel ein Zimmermädchen sexuell angegriffen haben soll.

Der echte Dominique Strauss-Kahn wurde zwar freigesprochen, doch Adichie gönnt ihren Lesern hier nicht den Luxus des Zweifels. Wir erleben den Vorfall aus Kadis Perspektive, ungeschönt, schonungslos und uneitel. Damit reiht sie sich ein in eine wachsende Riege von Autorinnen, die sexuelle Gewalt als Gewalt mit sexueller Dimension beschreiben und - so viel sei verraten - ihre Figuren daran weder zerbrechen noch wachsen lassen.

Die Wunde der "Nicht-Zugehörigkeit"

Adichie ist seit ihrem Welthit "Americanah", spätestens aber seit sie Beyoncé als "nicht meine Art von Feministin" bezeichnete, ein Superstar der internationalen Literaturszene und des Feminismus. Sie lässt sich nie von einer Seite des politischen Spektrums vereinnahmen und prangert Korruption in Nigeria genauso an wie Rassismus in den USA. Wer einfache Antworten erwartet und solche Brüche nicht aushalten kann, ist bei ihr falsch.

Die wirkliche Kraft von "Dream Count" aber liegt in Adichies Art zu schreiben. Ihre Sprache ist stets einprägsam und wunderschön, wenn sie etwa schreibt: "Ich liebe den Zungenschlag des ländlichen Igbo, die direkten, schnoddrigen Gespräche, die keinerlei Geduld mit Dummheit haben." Dass diese Sprache auch im Deutschen klingt, dass die Igbo-Sprichwörter, der afroamerikanische Slang und die englischen Witze im Deutschen genauso wirken, ist in diesem Fall einem Übersetzer-Duo zu verdanken. Dem erfahrenen Übersetzer Jan Schönherr, der auch andere afrikanische Autor*innen wie NoViolet Bulawayo und Scholastique Musonga übersetzt, wurde hier die iranisch-deutsche Autorin Asal Dardan an die Seite gestellt.

Und so ist "Dream Count" ein Buch nicht nur für eine afrikanische und amerikanische Leserschaft, sondern für alle, die sich schon einmal nicht richtig zugehörig gefühlt haben, die im komplexen Geflecht von Migration und Privilegien leben. Für alle, die manchmal andere um ihren Reichtum beneiden, um ihre Schönheit und für alle, die schon einmal auf der falschen Party waren. Wer ein kluges und tröstendes Buch lesen möchte, das sich anfühlt wie ein Gespräch mit den Liebsten am Küchentisch, wo sich Klatsch und schwere Themen abwechseln, sollte "Dream Count" unbedingt eine Chance geben.

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