Lilli Funke (Svenja Jung) besucht ihre jüngere Schwester auf Mallorca. Sie ist Wirtschaftsprüferin, das genaue Gegenteil der wenig bodenständigen Valle (Tijan Marei). Sorgen macht Lili schnell Valles frischgebackener Verlobter Manu (Victor Meutelet), den die auf einer Dating-App kennengelernt hat, und der Plan der Verliebten, in einer luxuriösen Finca ein Bed & Breakfast zu eröffnen. Das Geld soll nämlich nicht nur aus dem Erbe Valles, sondern aus dem Verkauf eines von der verstorbenen Mutter hinterlassenen Grundstücks kommen.
Doch Lilli sträubt sich – aus Verantwortung (Valles Erbe war für die Ausbildung gedacht) und aus sentimentalen Gründen (das Terrain mit Strandzugang ist alles, was von der Mutter blieb). Auch, dass Valle ihren Kreditrahmen ausgeschöpft hat, um einer Verwandten Manus „in Wisconsin“ mit einer Arztrechnung zu helfen, macht sie skeptisch.
In einer Disco lernt Lilli den – natürlich deutschen – Clubmanager Tom (Theo Trebs) kennen, der ihr nicht nur noch am selben Abend ins Höschen fasst, sondern sich auch als Nachbar der zum Gasthaus bestimmten Finca herausstellt. Klar, dass es nicht beim Petting auf der Clubterrasse bleibt. Und Tom bietet ihr an, sie mit einer Gutachterin zusammenzubringen, die ein Kaufangebot für das mütterliche Grundstück prüfen soll. Das stammt natürlich auch von einem Deutschen, dem alle Signale der Windigkeit aussendenden Nick (nomen est omen) Unterwalt.
Die Gutachterin rät zum Verkauf, was die beiden jungen Leute mit einem Sprung ins Meer und ausgiebigem Strandsex feiern. Eigentlich könnte sich jetzt alles in sea, sex and sun auflösen, wäre da nicht eine, natürlich deutsche, Ex von Manu, die auftaucht und angibt, ihm auch Geld gegeben zu haben. Der Verdacht: Manu ist ein Tinder-Schwindler. Und auch Tom scheint ein doppeltes Spiel zu spielen.
„Fall for Me“ (Regie: Sherry Hormann) ist ein Film, der sich irgendwo zwischen Venedig-Krimi, in dem noch der Commissario von einem deutschen Schauspieler gemimt werden muss, und New-Adult-Roman, inklusive „enemies-to-lovers“-Plot, bewegt, ein Inselabenteuer mit ein bisschen Crime und ein bisschen Cunnilingus. Dass der Film in der letzten Woche in über 40 Ländern die Nummer 1 der Netflix-Streaming-Charts belegte, überrascht da. Allerdings ist es nicht die erste Streamer-Eigenproduktion, die neuerdings erfolgreich Erotik und Crime verbindet.
2020 streamte Netflix die polnische Produktion „365 Dni“ (365 Tage) nach der Roman-Trilogie von Blanka Lipińska. Auch die anderen beiden Teile sind mittlerweile verfilmt. Die mit Liebeleid, Sex und Gewalt gespickte „Die Schöne und das Biest“-Variation – passenderweise hat Lipińska als Therapeutin, Nachtclub-Managerin und Kampfsport-Promoterin gearbeitet – dreht sich um eine junge Polin, die von einem italienischen Mafiaboss entführt wird: Ein Jahr soll sie bei ihm bleiben, falls sie sich bis dahin nicht in sie verliebt hat, darf sie wieder nach Hause. Bei dem Gangster handelt es sich um eine südländisch-kriminelle Version von Christian „Ich mache keine Liebe. Ich ficke“ Grey aus E.L. James’ „Fifty Shades of Grey“-Trilogy.
In den BDSM-Spielen des Multimillionärs mit der Literaturstudentin, die wie das polnische Rip-Off auf eines Widerspenstigen Zähmung hinauslaufen, wollte die israelische Soziologin Eva Illouz eine Kompensation für die Zumutungen erkennen, die die moderne Welt Männern (die Frauen außerhalb des Bettes als Ebenbürtige zu behandeln haben) und Frauen (die sich außerhalb des Bettes als Männern Ebenbürtige zu gerieren haben) aufbürdet. Aus solch spielerischem Umgang mit der Kluft zwischen Begehren und Emanzipation macht „365 Tage“ allerdings hässlichen Ernst. Das fängt schon mit der anfänglichen Freiheitsberaubung einer Frau durch einen Mann an und endet damit, dass die junge Frau ihren Mafioso, auch nachdem unzählige Geschlechtsakte vollzogen sind, noch beknien muss, eine Freundin zur Hochzeit einladen zu dürfen.
Eher „Hot Shots“ als „Neuneinhalb Wochen“
Weniger an Fan-Fiction und Mommy-Porn als an der großen Zeit des Erotic Thrillers in den 1980ern und 1990ern will sich wohl „Fall for Me“ orientieren. Also etwa an jenen Welterfolgen mit Michael Douglas, aus denen die amerikanische Feministin Jessa Crispin kürzlich zu erklären versucht hat, was bei den Männern ganz grundsätzlich falsch läuft: an „Eine verhängnisvolle Affäre“ (mit Glenn Close) oder „Basic Instinct“ (mit Sharon Stone).
Einen anderen Genre-Klassiker, „Neuneinhalb Wochen“ mit Kim Basinger und Mickey Rourke, zitiert „Fall for Me“ sogar explizit. Ohne frischgepressten Blutorangensaft auf Svenja Junges Bauch macht es die Regisseurin beim Küchensex nicht, wobei das Ganze so läppisch daherkommt, dass man an das von Charlie Sheen in Valeria Golinos Nabel zubereitete englische Frühstück in „Hot Shots“ denken muss. Vom Erbe des Film Noir, das die besten Erotik-Thriller antraten, ist in „Fall for Me“ nicht viel übrig: Alles muss hier wie im Ferienprospekt strahlen. Wo es einmal schummrig zugeht, ist von Atmosphäre nichts zu spüren.
Auf die Hochzeit der Filmgattung, die in den Zeiten von Aids oft auf raffinierte Art das Bewusstsein spiegelte, dass Sex und Gefahr nach den mehr oder minder unbeschwerten Zeiten, die die Pille der westlichen Konsumgesellschaft beschert hatte, wieder zusammengehörten, folgte übrigens eine Flut ziemlich stereotyper Klone für den Heimvideogebrauch und später für das Nachtprogramm im Kabelfernsehen. Gern zeigten sie noch mehr Haut, trugen Adjektive wie „verhängnisvoll“ im Titel, und ohne das damals unvermeidliche Saxofon kamen wenige von ihnen aus.
Wen wundert’s, dass Amazon Prime bereits letztes Jahr einen Film nach dem Drehbuch von Stefanie Sycholt, die sich auch „Fall for Me“ aus den Fingern gesaugt hat, ins Rennen schickte: In „Un/Dressed“ geht es um die Erbin eines Modeunternehmens (Lena Meckel), die sich zwischen ihrem Freund und einem sexuell potenten Bad Boy entscheiden muss.
Dass Sycholt genau die gleiche Geschichte erzählt wie jetzt im Mallorca-Film, darf man dreist finden: Bodyguard Thilo (Gerrit Klein) soll die Unternehmenserbin davon abhalten, dunkle Machenschaften aufzudecken. Wie sich aber herausstellt, hatte er eine schlimme Jugend und wird nun von Gangstern unter Druck gesetzt. Auch auf der Mittelmeer-Insel entpuppt sich Tom zunächst als falscher Fuffziger. Doch auch er handelt nur so, weil er eben muss – und nur so lange, bis er sich für die Liebe entscheidet.
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