Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft. So sieht es die Partei in George Orwells Roman „1984“, und nicht nur sie. Donald Trump hat mit seinem Executive Order vom 27. März den Willen bekundet, die öffentliche Geschichtserzählung in Museen und Denkmälern so zu verändern, dass sie die Amerikaner „an unser außerordentliches Erbe erinnern, unseren ständigen Fortschritt hin zu einer perfekteren Union und unseren einmaligen Beitrag zum Fortschritt der Freiheit, des Wohlstands und der menschlichen Entfaltung.“

Man mag eine gewisse Ironie darin erkennen, dass die Trump-Regierung nicht müde wird, den Europäern ihren Mangel an Freiheit vorzuhalten, während sie selbst – über personelle, finanzielle und programmatische Eingriffe – das geschichtliche Narrativ und damit das Selbstverständnis der Amerikaner kontrollieren will.

Das Weiße Haus behauptet jedoch, sozusagen in Notwehr zu handeln: Staatliche oder staatliche geförderte Institutionen seien in den letzten Jahren unter den Einfluss einer „revisionistischen und rassenzentrierten Ideologie“ geraten, die „amerikanische und westliche Werte als in sich schädlich und unterdrückerisch“ darstelle. Gemeint sind Ideologien wie Postkolonialismus, Critical Race Theory, Spielarten des Feminismus, Intersektionalität und so weiter.

Die Wahrheit über die Geschichte der Schwarzen

Im Grunde geht es darum, ob die amerikanischen Bürger in der globalen Auseinandersetzung mit antiwestlichen Regimen und Ideologien Stolz auf ihr Land empfinden oder Scham; ob sie aus dem Studium der Geschichte das Gefühl gewinnen, das Land werde auch gegenwärtige Probleme überwinden und am Ende zu Recht obsiegen; oder die Lehre ziehen, das Land sei unrettbar verdorben durch Rassismus, Sexismus und andere Formen der Unterdrückung.

Im Zentrum der Kritik Trumps steht die Smithsonian Institution, eine Stiftung, die mit öffentlichen und privaten Geldern 21 Museen betreibt, davon allein in Washington 17, darunter das American History Museum, das African American Culture and History Museum, das American Indian (in Amerika darf man „Indianer“ sagen) Museum, das American Women’s History Museum sowie diverse Kunst- und Technikmuseen und außerdem den Nationalen Zoo.

Unabhängig davon, ob die Regierung das Recht hat, in die Gestaltung der Museen einzugreifen: Das hat sie, denn der Vizepräsident ist qua Satzung zusammen mit dem Vorsitzenden des Obersten Gerichts und sechs Mitgliedern des Kongresses Mitglied im „Regentenrat“ der Smithsonian, der zudem neun Nichtpolitiker angehören – aber hat die Regierung mit ihrer Kritik auch recht?

Nehmen wir das „Mission Statement“ des Museums für amerikanische Geschichte: Das Museum will „Menschen ermächtigen, eine gerechte und mitfühlende Zukunft zu schaffen, indem wir die Komplexität, unserer Vergangenheit untersuchen, bewahren und teilen.“ Hm. Nichts gegen Gerechtigkeit und Mitgefühl, schon gar nichts gegen Komplexität, aber „Freiheit, Wohlstand und menschliche Entfaltung“, um Trump zu zitieren, glänzen durch Abwesenheit.

Da sieht das Museum für afroamerikanische Kultur und Geschichte, von dem man ja durchaus Kritisches erwarten darf, seine Mission interessanterweise eher positiv: Es wolle die „ungeschminkte Wahrheit“ über die Geschichte der Schwarzen in den USA erzählen heißt es da, um „die Beiträge, Kämpfe und Triumphe“ zu zeigen, „die unsere Nation geformt haben.“ Es gehe darum zu zeigen, wie sich „amerikanische Werte wie Durchhaltevermögen, Optimismus und Spiritualität“ in der Geschichte und Kultur der Afroamerikaner spiegeln. Da dürfte Trump kaum etwas einzuwenden haben.

Hort der Fundamentalkritik an den USA?

Auch im Museum der Indianer gibt es eine Ausstellung, die den Beitrag dreier indigener Frauen zur Revolution von 1776 feiert, und eine weitere, die Native Americans feiert, die in den Streitkräften gedient haben. „Warum sollten Indianer einem Land dienen, das ihre Länder überrannt, ihre Kulturen unterdrückt und sie in Reservate eingesperrt hat?“, fragt zu Recht die Ausstellung, und gibt die Antwort: „Aus den gleichen Gründen wie andere Menschen: um ihren Patriotismus zu demonstrieren, um einen Job zu finden oder aus Abenteuerlust. Viele wurden auch eingezogen. Beigetragen haben aber auch die Kriegertraditionen der Stämme, vertragliche Verpflichtungen gegenüber den USA und die Verantwortung, die Heimatländer der Indigenen zu verteidigen …“

Das Museum der amerikanischen Frau illustriert ihre Event-Seite mit dem Bild dreier Bomberpilotinnen vor ihrer Maschine. Ausstellungen feiern „acht starke Frauen“, die es in der Wirtschaft „bis ganz nach oben schafften“, vier Frauen, die am Obersten Gericht dienten, den Beitrag der First Ladys und schwarze Frauen, die für die Bürgerrechtsbewegung aktiv waren.

Und so weiter und so fort. Es mag sein, dass es hier und da in den Museen der Smithsonian Institution Ausstellungen gibt, die modischen akademischen Marotten dienen; die Executive Order des Präsidenten nennt einige. Es ist sicher so, dass die „Mission“ des Geschichtsmuseums deutlicher formuliert werden sollte. Aber die Sache so darzustellen, wie es Trump tut, als wären ausgerechnet diese vom Staat mitfinanzierten und mitgestalteten Institutionen ein Hort der Fundamentalkritik an den USA und ihren Werten, ist offenkundig falsch und ungerecht und lässt die Frage offen, was Trump mit seinem Angriff wirklich bezweckt.

Trump will, dass die Denkmäler der amerikanischen Nationalreligion „ernst und erhebend“ sein sollen. Es wäre schon viel gewonnen, gingen der Präsident und sein Team unterwürfiger Jasager, Spindoktoren und Schönredner mit gutem Beispiel voran. Damit ist leider nicht zu rechnen.

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