Das Schulterblatt ist die Achillesferse des Nordens. Wird in der hellenischen Sage der Säugling Achilles von seiner Mutter Thetis an der Ferse gehalten in den Fluss Styx getaucht, ist es in der germanischen Mythologie das Lindenblatt, das dem im Blut badenden Siegfried zum Verhängnis wird.

Seit Fritz Langs monumentalem Stummfilm-Zweiteiler „Die Nibelungen“ von 1924 – einem Meilenstein des expressionistischen Kinos – ist das Epos um Siegfried in regelmäßigen Abständen auf die Leinwand zurückgekehrt. In den 1960er-Jahren verfilmte Harald Reinl den Stoff als farbenprächtiges Heldenepos, während italienische und amerikanische Produktionen wie „Sigfrido“ (1957) oder „The Dragon’s Blood“ die Sage in exotischere Gefilde verlegten.

2004 griff Uli Edel die Geschichte im spektakelreichen TV-Zweiteiler „Die Nibelungen“ (international „Dark Kingdom: The Dragon King“) neu auf mit Benno Fürmann als Siegfried. Im Oktober 2024 kam dann „Hagen – Im Tal der Nibelungen“ in die deutschen Kinos, eine Adaption von Wolfgang Hohlbeins Roman „Hagen von Tronje“ (1986). Aus dem nur mäßig erfolgreichen Film haben die Produzenten eine Langfassung kreiert, die jetzt bei RTL+ zu sehen ist.

Gemäß dem Hohlbein’schen Romanvorbild liegt der Fokus in der Adaption weniger auf Siegfried als auf Hagen. Die Serie zeichnet den Waffenmeister, der als Findelkind an den Wormser Hof gelangte, als tragische Figur, beherrscht von Pflichtbewusstsein für das Reich und der unerfüllten Liebe zur Königstochter Kriemhild (Lilja van der Zwaag).

Gemeinsam mit dem wankelmütigen König Gunter (Dominic Marcus Singer), der nach dem plötzlichen Tod seines Vaters Dankrat (Jörg Hartmann) zu Beginn der Serie inthronisiert wird, versucht Hagen (Gijs Naber) das von Feinden umzingelte Burgunder-Reich zusammenzuhalten. Neben den Sachsen im Norden droht insbesondere aus dem Osten Ungemach, wo die brandschatzenden Hunnen immer neue Flüchtlingsströme an die Grenzen Burgunds treiben. „Dieses Land ist Burgunderland. Kommt nie wieder zurück“, lässt Hagen die Vertriebenen zu Beginn wissen und schickt sie über den Rhein zurück.

Das politisch fragile Gebilde erfährt eine weitere Erschütterung, als plötzlich jener Siegfried von Xanten (Jannis Niewöhner) am Wormser Hof auftaucht und die Gastfreundschaft Gunters in Anspruch nimmt. Prompt stiftet der Fremde Chaos in der Stadt: Er säuft und hurt sich durch das dunkel-schmutzige – und KI-generiert wirkende – Worms, weckt nebenbei das Interesse von Kriemhild und setzt König Gunter den Floh von der sagenumwobenen Walküre Brünhild (Rosalinde Mynster) von „Isenland“ ins Ohr. „Kommt als Fremder in diese Stadt, fordert den König heraus ohne Grund. Ihr habt keinen Respekt. Ihr seid eine verlorene Seele“, sagt Kriemhild eingangs zu Siegfried, ehe sie ihm verfällt.

Als eine Schlacht gegen die Sachsen dank der Kampfkunst des Drachentöters gewonnen wird und dieser wenig später um Kriemhilds Hand anhält, schließen der Xantener und Gunter einen verhängnisvollen Händel: Siegfried darf Kriemhild unter der Bedingung heiraten, dass er mit Gunter nach „Isenland“ segelt, um ihm zu helfen, Brünhild als Gemahlin und Bündnispartnerin zu gewinnen. „Mit dieser Ehe werden wir ein Zeichen neuer unerreichter Stärke setzen“, schwadroniert der pausbäckige Gunter. „Den Hunnen wird das Blut in den Adern gefrieren.“

Das „dunkle“ Mittelalter

Zunächst auffällig wie gleichermaßen ermüdend an „Die Nibelungen: Kampf der Königreiche“ ist, wie konsequent die Serie in Dunkelheit und kalte, entsättigte Farben getaucht ist. Gerade in der ersten Hälfte der sechsteiligen Miniserie dominieren Nebel, Matsch und Schnee, ein Großteil der Szenen spielt in spärlich beleuchteten Burggemächern oder taubengrauen Wintereinöden. Erst später, als die Gefährten um Gunter, Hagen und Siegfried in „Herr der Ringe“-Manier durch die opulenten Landschaftspanoramen von „Isenland“ wandern – die Szenen wurden auf Island gedreht und das dortige Kultusministerium hat die Serie entsprechend gefördert – kommt Farbe auf den Bildschirm.

Damit erfüllt die Serie einmal mehr das stereotype Bild des Mittelalters, wie es sich durch Filme wie „Braveheart“ oder Serien à la „Game of Thrones“, „The Witcher“ oder „The Last Kingdom“ als so etwas wie dem internationalen Filmstandard etabliert hat. Demnach stehen Dreck, Rauch und Dunkelheit als Insignien für ein authentisches Mittelalter und dienen als Kontrastfläche zu einer aufgeklärten, „erleuchteten“ Gegenwart, obwohl die historische Realität angesichts bunt bemalter Burgen und Kirchen, farbenreicher Kleidungen und hell gekalkter Städte eine andere war. So mutet das dunkeldeutsche und nebelumsponnene Setting als vertane Chance an, um einmal mit den gängigen Genrekonventionen zu brechen.

Dass der englische Begriff für das Frühmittelalter „Dark Ages“ einmal mehr wörtlich genommen wird, hat aber auch seinen praktischen Nutzen: Dunkelheit lässt Kämpfe auf der Leinwand grundsätzlich plastischer wirken, kaschiert billige Kulissen und übertüncht schwache CGI-Effekte. Von Letzterem gibt es in „Krieg der Königreiche“ einige.

Siegfried, der Einzelgänger

Trotz der Ausrichtung auf Hagen ist es Siegfried, der die Akzente in „Die Nibelungen“ setzt. Jannis Niewöhner spielt diesen als anarchischen Einzelgänger außerhalb der herrschenden Ordnung, angetrieben vom Drang zur schöpferischen Zerstörung, der am Ende von der höfischen Welt der Institutionen und Traditionen vernichtet werden wird.

Mit seinem herausfordernd-fragendem Blick und seiner Fellkragenjacke wirkt Siegfried wie eine Mischung aus Tom Hardy in „Mad Max: Fury Road“ und James Dean in „Rebel Without a Cause“. Angesichts der Schwere des Stoffes und der grimmig-dunklen Ästhetik wirkt das ungemein entlastend. Dagegen erscheint der wortkarge, finster dreinblickende und Hagen als verschmähter Liebender und gewissenhafter Diener, dem das Wohl des Reichs wichtiger ist als sein eigenes, recht farblos.

Neben dem Perspektivwechsel auf Hagen fügt „Kampf der Königreiche“ dem Stoff Elemente hinzu, die in der Sage nur symbolisch existieren. Magische Wesen in Gestalt der „Nornen“, geheimnisvolle Kräfte und düstere Visionen verleihen der Serie ein Fantasy-Antlitz, das gerade in der zweiten Hälfte den Erzählfluss eher hemmt und zum Ende hin in ein Psychodrama am königlichen Hof ausartet.

„Die Nibelungen – Krieg der Königreiche“ ist eine solide erzählte Ritterserie, deren Achillesferse jedoch ihre Farblosigkeit ist – sowohl im buchstäblichen als auch übertragenden Sinne. Was nach der Betrachtung bleibt, ist ein gewisses ratloses Schulterzucken.

„Die Nibelungen – Kampf der Königreiche“, läuft auf RTL+.

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