Der Frankfurter Professor Roland Kaehlbrandt setzt seine Mission einer Ehrenrettung der deutschen Sprache fort. 2022 hatte er mit „Deutsch. Eine Liebeserklärung“ die speziellen Vorzüge unserer Muttersprache populär erklärt. Es ging um Ausdrucksmöglichkeiten, die es so nur im Deutschen gibt. Traurig, dass solch ein Plädoyer notwendig war. Rezensenten sprachen gar von dessen „Superkräften“. Erfreulich, dass das Lesepublikum offenbar darauf gewartet hat. Das Buch wurde zum Bestseller.

Jetzt vertritt Kaehlbrandt eine vermeintlich noch steilere These. Er schwärmt von der Schönheit der deutschen Sprache. Vor allem bei Südeuropäern, die sich in ihren Sprachen an fetten, vollklingenden Vokalen mästen können, gilt das Deutsche ja als dünnes Süppchen, in dem überreichlich unverdauliche Konsonantenverhakungen schwimmen. Wie das für Ausländer klingt, hat Voltaire vorgeführt, als er in „Candide“ eine deutsche Stadt „Valdberghoff-trarbk-dikdorff“ nannte.

Voltaire blickte von außen auf die Sprache. Wer als Ausländer Deutsch gelernt hat, schätzt es in der Regel höher. Dazu gehören nicht nur Jorge Luis Borges oder Frederick Forsyth, sondern auch Mark Twain, der sein berüchtigtes Buch über „Die schreckliche deutsche Sprache“ in Wahrheit geschrieben hat, um damit anzugeben, wie sehr er deren Schwierigkeiten gemeistert hat.

All diese Menschen würden zustimmend nicken angesichts all der Argumente, die Kaehlbrandt nun in „Von der Schönheit der deutschen Sprache. Eine Wiederentdeckung“ (Piper Verlag, 14 Euro) anführt. Dazu gehört zuallererst die Freiheit der Wortstellung, die Gedichtanfänge wie „Seltsam, im Nebel zu wandern“ ermöglicht. Wie sehr gerade dieses deutsche linguistische Phänomen Schönheit fördert, zeigt Kaehlbrandt an Robert Seethalers Roman „Ein ganzes Leben“. Dessen Held wird mit drei Sätzen beschrieben: „Als Kind hatte Andreas Egger nie geschrien. Bis zu seinem ersten Schuljahr hatte er nicht einmal richtig gesprochen. Mit Mühe hatte er sich eine Handvoll Wörter gesammelt.“

Als Advokat des Deutschen übersetzt Kaehlbrandt diese Stelle in die „normale“ Wortfolge mit dem Subjekt am Satzanfang, die in vielen anderen Sprachen obligatorisch ist: „Andreas Egger hatte als Kind nie geschrien. Er hatte bis zu seinem ersten Schuljahr nicht einmal richtig gesprochen. Er hatte sich mit Mühe eine Handvoll Wörter zusammengesammelt.“ Er kommt berechtigterweise zum Schluss: „Das wirkt eintönig, spröde, reizlos.“ Andere Sprachen – das wissen wir Deutsche, die wir fleißig im Original lesen – haben andere Mittel, durch Abwechslung zu gefallen. Aber jene Freiheit, die Seethaler nutzt, hat eben nur das Deutsche.

Eine weitere schönheitsstiftende Superkraft des Deutschen ist die Wortbildung. Bei Zusammensetzungen denkt der Normalstammler an das oft bewitzelte Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz. Bei dem steht die Prominenz aber im umgekehrten Verhältnis zur tatsächlichen Bedeutung. Viel mehr als von solchen Bürokratiegeburten aus abseitigen Quellen wird das Deutsche von hilfreichen und schönen Zusammensetzungen geprägt. Der Grammatiker Peter Eisenberg zählte: „Das Substantivkompositum ist der verbreitetste Worttyp überhaupt.“

Dazu gehören nicht nur Dichterwörter wie Goethes „Sommerabendrot“ oder die „Selbstüberraschung“ der Lyrikerin Monika Rinck und Paul Celans „Zeitgehöft“, sondern auch gerade in der konkreten Sprache wirkt diese Möglichkeit Wunder. Ein Franzose muss das Wort hydrogène lernen, dessen Sinn sich zunächst nur Griechischkundigen erschließt. Ein deutsches Kind bekommt mit dem Wort Wasserstoff gleich die Erklärung, worum es sich eigentlich handelt. Der Franzose Georges-Arthur Goldschmidt urteilte darüber: „Es scheint, als ob die wissenschaftliche Forschung nie versucht hätte, sich vom Allgemeinverständlichen zu entfernen.“ Sein Landsmann, der Linguist Alfred Malblanc, feiert diese für das Deutsche so typischen „motivierten“ Sprachzeichen mit einer Gegenüberstellung: durchsichtig – transparent; scharfsichtig – perspicace; vorsichtig – prudent; undurchsichtig – opaque. Kein Wunder, dass die deutsche Sprache einen der größten Stilisten der Wissenschaftsprosa hervorgebracht hat: Sigmund Freud, dessen Fähigkeiten Kaehlbrandt in einem eigenen Kapitel preist.

Damit erschöpft sich natürlich sein Panorama deutscher Sprachschönheiten nicht. Er führt uns das Zustandspassiv am Beispiel Stefan Zweigs vor: „Alle Länder sind erforscht, die fernsten Meere zerpflügt.“ Er feiert die Möglichkeiten des langen Satzes nicht nur am naheliegenden Exempel Thomas Manns, sondern auch an dem des viel verachteten Hegel. Er macht klar, welche Möglichkeiten das nachgestellte „sich“ eröffnet. Er rühmt die starken Verbformen anhand „Flög ich zu dir“ oder „Was hülfe es dem Menschen, so er die ganze Welt gewönne und nähme Schaden an seiner Seele“. Und macht allen Mundartverächtern klar, welches Reservoir die Dialekte bieten: „Allein das Verb reden: snacken, sprekten, kosen, praten, küren, kallen, schwatzen, schwätzen, plaudern, schmatzen, brachten.“

Damit und mit 1001 anderen Beweisen mehr ist Kaehlbrandts Buch eine Gelegenheit, sich das für uns selbstverständliche, alltägliche und damit unsichtbar gewordene Wunderbare der deutschen Sprache bewusst zu machen.

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